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HBS Böckler Impuls

Lohnpolitik: Deutschland schadet dem Euro

Ausgabe 06/2013

Seit dem Beginn der Währungsunion sind die französischen Löhne im Einklang mit den Eckdaten der wirtschaftlichen Entwicklung gestiegen. Anders in Deutschland: Hier verletzte die Lohnentwicklung das Preisziel der Europäischen Zentralbank.

Europa ist sich weiterhin uneinig darin, was die Eurokrise verursacht hat und wie sie zu bewältigen ist. Seit einer Weile kursieren Schaubilder aus einem Vortrag des Chefs der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, vor den Staats- und Regierungschefs der EU. Sie scheinen zu belegen, dass Länder mit einem Leistungsbilanzüberschuss wie Deutschland oder die Niederlande eine höhere Produktivität verzeichneten als Defizitstaaten wie Spanien oder Frankreich. Und vor allem: Die Löhne seien in Staaten mit einem Leistungsbilanzdefizit stärker gestiegen als in den Überschussländern.

Andrew Watt, Leiter des IMK, hat sich Draghis Grafiken genauer angeschaut. Sein Ergebnis: Der EZB-Präsident vergleicht Äpfel mit Birnen. „Draghis Produktivitätsmaß zeigt an, wie viel mehr ein durchschnittlicher Beschäftigter im Jahr 2012 real produziert hat, verglichen mit dem Jahr 2000“, erläutert Watt. „Bei der Lohnentwicklung hingegen zeigt Draghi nominale Werte – mit anderen Worten: Das Produktivitätsmaß berücksichtigt die Teuerungsrate, die Entgeltentwicklung tut dies nicht.“ Damit blende der EZB-Chef die schwache deutsche Lohnentwicklung aus, einen wichtigen Grund für die wirtschaftliche Instabilität des Euroraums – und führe Politiker auf einen gefährlichen Irrweg.

In einem Land, das die nominale Lohn- an die reale Produktivitätsentwicklung koppelt, würde der Anteil der Löhne am Volkseinkommen permanent zurückgehen, kritisiert der IMK-Forscher. Wäre die Inflation höher als der nominale Lohnzuwachs, würden sogar die preisbereinigten Löhne fortlaufend sinken. Nur dort, wo die Reallöhne sich in Anlehnung an die Produktivität entwickeln, bleiben die Anteile der Arbeits- und der Kapitaleinkünfte am Volkseinkommen konstant.

Bei einer Inflationsrate im Einklang mit dem Preisziel der EZB – unter, aber in der Nähe von 2 Prozent – müsste die nominale Lohnentwicklung jährlich um etwa 1,9 Prozent höher als das Produktivitätswachstum sein, so Watt. Innerhalb der zwölf Jahre seit Beginn der Währungsunion wäre dieses Plus auf fast 28 Prozent angeschwollen.

Gute Nachrichten für das von Draghi an den Pranger gestellte Frankreich: Hier liegt der Unterschied zwischen nominalem Lohnwachstum und realer Produktivität bei 32 Prozent – „das Land erfüllt die Vorgaben also nahezu perfekt“, erläutert der Wissenschaftler. Auch in anderen Defizitländern würde sich der von Draghi monierte Wettbewerbsnachteil entsprechend reduzieren. Unter Berücksichtigung der Zielinflationsrate der EZB wäre er damit nicht verschwunden, aber um einiges kleiner.

Viel wichtiger jedoch: „Deutschland hat die Stabilitätsvorgaben für ein ausgeglichenes Wachstum in einer Währungsunion systematisch unterlaufen – und damit entscheidend zur Eurokrise beigetragen.“ Denn die deutschen Nominallöhne wuchsen über Jahre hinweg nur mit der realen Produktivität, also ohne jeglichen Inflationsausgleich.

  • Frankreich erfüllt beim Unterschied zwischen nominalem Lohnwachstum und realer Produktivität nahezu perfekt die Vorgaben. Deutschland hingegen hat die Stabilitätsregeln systematisch unterlaufen. Zur Grafik

 

Andrew Watt: Mario Draghi’s Economic Ideology Revealed? In: Social Europe Journal, 26. März 2013.

 

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