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Magazin Mitbestimmung

Heimische Bodenschätze: Deutschland ist Rohstoffland

Ausgabe 03/2013

Deutschland ist nur arm an bestimmten Rohstoffen. Kohle, Salz, Steine, Kalk, Ton sind in rauen Mengen vorhanden. Derzeit werden neue Minen exploriert, alte öffnen wieder. Von Stefan Scheytt

Rohstoffe für die deutsche Volkswirtschaft, so glauben viele, kommen ausnahmslos von weit, weit her: Die „tagesthemen“ berichten über Angela Merkels „weiteste Dienstreise ihrer Kanzlerschaft“ nach Chile, wo sie durch ein Rohstoffabkommen den Kupfernachschub für die deutsche Industrie sicherstellen will; die „Zeit“ erinnert ihre Leser daran, dass mehr als 70 Prozent der in Deutschland verbrauchten Steinkohle aus Kolumbien, der Russischen Föderation und den USA importiert werden, „und wenn 2018 die Kohlesubventionen auslaufen, werden es bald 100 Prozent sein“; „Spiegel online“ informiert über die Pläne zweier US-Unternehmen, die mithilfe von Satelliten eines Tages Platin, Nickel und andere seltene Metalle auf Asteroiden ausbeuten und zur Erde – und dann vermutlich auch nach Deutschland – bringen wollen.

Wie fest die Vorstellung, Deutschland sei ein rohstoffarmes Land, im Bewusstsein verankert ist, weiß auch Gerd Hellwig, Bergmann beim Kasseler Rohstoffkonzern K+S (früher Kali und Salz). Als Hellwig vor wenigen Jahren den Hamburger Hafen besichtigte, von dem aus das von K+S in Deutschland geförderte Kali unter anderem nach China und Brasilien verschifft wird, traf er in einer Hafengaststätte auf einen Wirt, der „einfach nicht glauben wollte, dass das Kali, das vor seiner Haustür umgeschlagen wird, nicht importiert, sondern exportiert wird“.

Franz-Gerd Hörnschemeyer, Industriegruppen-Sekretär bei der IG BCE, kennt diese Ignoranz: „Jahrelang hieß es bei uns, Deutschland sei ein rohstoffarmes Land, aber man müsste genauer sagen: Deutschland ist nur arm an bestimmten Rohstoffen.“ Kohle und Salz, Steine und Sand, Kies, Ton, Kalk oder Kreide sind hierzulande in rauen Mengen vorhanden und machen, so rechnet Hörnschemeyer vor, etwa drei Viertel der in Deutschland verbrauchten 1,1 Milliarden Tonnen mineralischer und energetischer Rohstoffe aus. „Wir sind in weiten Teilen Selbstversorger“, meint auch Thomas Nöcker, Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektor bei der K+S AG, „aber dieser Aspekt ist im Bewusstsein der Öffentlichkeit und lange Jahre auch in der Politik völlig in Vergessenheit geraten.“ Zu lange habe man sich eingeredet, nur Wissen und kluge Köpfe seien entscheidend, und vor allem der Dienstleistungssektor sei der Motor zukünftiger Entwicklung. „Es wird sehr viel über die Abhängigkeit von Seltenen Erden aus China geredet, aber ohne Kies, Sand und Steine gäbe es bei uns keine Straßen, keine Wohnungen und keine Industrieanlagen“, sagt Nöcker. Rechne man die indirekten Arbeitsplätze hinzu, seien in Deutschland mehr als 300 000 Menschen in der Rohstoffwirtschaft beschäftigt, die damit ein starker, aber eben oft unterschätzter Stützpfeiler der deutschen Volkswirtschaft sei.

K+S in Kassel – weltweit 14 000 Mitarbeiter, rund vier Milliarden Euro Umsatz, einziger Rohstoffwert im DAX – ist einer der ganz Großen in der Branche. Mit Düngemitteln aus Kali und Magnesium, mit Auftau-, Speise- und hochreinem Pharmasalz, mit Spezialsalzen für die Wasserenthärtung, für die Kunststoff-, Aluminium- oder Glasherstellung bis hin zum Katzenstreu hat sich die Gruppe zur weltweiten Nummer eins im Salzgeschäft und zur Nummer fünf in der Kaliproduktion aufgeschwungen. Und die Aussichten sind bestens: Der Nahrungsmittelbedarf einer wachsenden Weltbevölkerung bei gleichzeitig schwindender Ackerfläche lässt den Bedarf nach Produkten von K+S stetig steigen; mit seinen Produktions- und Vertriebsstandorten in Nord- und Südamerika, in Asien, Europa und Südafrika ist das Unternehmen, das schon jetzt mehr als die Hälfe seines Umsatzes außerhalb Europas erzielt, für die steigende Nachfrage gerüstet.

VOLLLAST UNTER TAGE

Im Kalibergwerk Werra zwischen Fulda und Eisenach, einem der größten Kali-Abbaugebiete der Welt, ist Gerd Hellwig in 700 Metern Tiefe mit 50 km/h unterwegs. Eine Armlänge über dem offenen Dach seines Geländewagens zieht im Scheinwerferlicht das abgekratzte Salzgestein vorbei, abgesichert durch Millionen stählerner Gebirgsanker. Seit mehr als 100 Jahren wird hier unten, im Grenzgebiet zwischen Hessen und Thüringen, das Rohsalz aus der Erde gesprengt; immer weiter dringen die Kumpel in die Erde vor, das weit verzweigte Netz der Salzpisten tief unter der Erde hat inzwischen die Ausmaße des Großraums München. „Die Kollegen fahren zum Teil bis zu 40 Minuten vom Schacht bis zu ihrem Arbeitsplatz“, erklärt der Vize-Großrevierleiter. Rund die Hälfte der 4400 Beschäftigten im Werk arbeitet unter Tage, die Grube ist eine eigene Welt mit Tankstellen, Werkstätten, Lagern und Parkplätzen, mit eigenem Funknetz, Verkehrsschildern und Geschwindigkeitskontrollen, mit Messstationen und kilometerlangen Bandanlagen. Mehrere Hundert Fahrzeuge, vom computergesteuerten Sprenglochbohrwagen bis zum Sanitätsfahrzeug und zum Monsterlader mit 30-Tonnen-Schaufel, sind hier im Einsatz. Der millionenschwere Gerätepark will ausgelastet sein, und die Nachfrage gibt es her: „Wir arbeiten hier ständig unter Volllast im Drei-Schicht-Betrieb, auch samstags und sonntags“, sagt Großrevierleiter Hellwig, „und auch wenn Kollegen wegen Krankheit fehlen, muss am Ende jeder Schicht die Sollmenge an Rohsalz eingefahren sein.“

„Wir müssen mehr Kali produzieren, um von der weltweit steigenden Nachfrage profitieren zu können“, sagt Vorstand Thomas Nöcker. In Kanada investiert K+S deshalb in den nächsten Jahren mehr als drei Milliarden kanadische Dollar, die erste Tonne Kali soll Ende 2015 gefördert werden. Aber auch Standorte in Deutschland wie das Ende der 80er Jahre wegen Überkapazitäten geschlossene Kalibergwerk Siegfried-Giesen bei Hannover würde K+S gerne wiedereröffnen; derzeit wird geprüft, ob das Projekt genehmigungsfähig ist. „Wenn es gut läuft, wissen wir bis 2015, ob es genehmigt werden kann und mit welchen Auflagen“, sagt Nöcker. Aber wegen der danach zu erwartenden Klagen von Kommunen und Naturschützern rechnet Nöcker noch mit vielen Jahren bis zu einer möglichen Wiedereröffnung. „Bis dahin bin ich wohl schon im Ruhestand“, glaubt der 54-Jährige. Ein ähnlich langwieriger Prozess wäre zu erwarten, wenn sich K+S entschließen sollte, das zu DDR-Zeiten stillgelegte Kalibergwerk im thüringischen Roßleben wieder aufzumachen.

Seine pessimistischen Einschätzungen stützt Thomas Nöcker unter anderem auf den Streit um eine gut 60 Kilometer lange Pipeline in Osthessen für die Entsorgung von Abwässern aus dem Salzbergbau in die Werra, die noch in diesem Jahr in Betrieb gehen soll. „Die Auseinandersetzung wurde schon geführt, als ich 2003 bei K+S anfing, und obwohl die Pipeline genehmigt ist, wird auch jetzt noch geklagt“, kritisiert Nöcker. Die mangelnde Rechtssicherheit sei nicht nur ökonomisch nachteilig fürs Unternehmen, sondern auch ökologisch gesehen „Wahnsinn“: Solange die Pipeline nicht gebaut ist, werden die Salzabwässer per Lkw und Bahn zur Werra gefahren. In einem anderen Streitfall um die Erweiterung riesiger Rückstandshalden aus der Kaliproduktion („Land der weißen Berge“) rechnet Nöcker mit einem Verfahren von acht bis zehn Jahren.

Derlei Erfahrungen veranlassen Nöcker zu der grundsätzlichen Aussage, dass das Bewusstsein für den Industriestandort Deutschland in weiten Teilen der Bevölkerung reaktiviert werden müsse: „Jede industrielle Tätigkeit hat Auswirkungen auf die Menschen und die Natur. Aber wenn die Wirtschaft so häufig das Nachsehen hat, sägen wir an dem Ast, auf dem wir alle sitzen.“ Selbst im Ruhrgebiet aufgewachsen, wisse er, dass industrielle Tätigkeit Belastungen mit sich bringe, die man auch nicht kleinreden dürfe. „Aber bei vielen fehlt das Grundverständnis dafür, dass man gewisse Belastungen auch ertragen muss, wenn man den Wohlstand halten will.“ So würden in der Rohstoffwirtschaft viele geologisch interessante Lagerstätten nicht angegangen, weil andere Nutzungen für Wohnbebauung, Gewerbeflächen, Verkehrsprojekte oder Schutzgebiete pauschal Vorrang haben: „In einigen Bundesländern stehen heute mehr als 60 Prozent der Fläche unter Naturschutz, während in ganz Deutschland nur ein halbes Prozent von der Rohstoffgewinnung in Anspruch genommen wird.“

„KEIN FREIZEITPARK“

Mit dieser Kritik sieht sich Nöcker „Seit an Seit“ mit der IG Bergbau, Chemie, Energie. Deren Rohstoffexperte Franz-Gerd Hörnschemeyer beklagt die oft zehn, 15 Jahre langen Vorlaufzeiten für Abbauprojekte auf oder unter deutschem Boden. Ein Rohstoffsicherungsgesetz, für das die IG BCE seit Jahren kämpft – erfolglos –, würde potenzielle Abbaustätten vor der Nutzung durch andere Zwecke schützen. „Die Bundesregierung hat erkannt, dass die planerische Sicherung einer langfristigen Rohstoffversorgung wichtig ist“, sagt der Gewerkschaftssekretär mit Blick auf bilaterale Rohstoffpartnerschaften mit Ländern wie der Mongolei (2011), Kasachstan (2012) und gerade erst mit Chile. Ein Bundesgesetz zur Sicherung auch von inländischen Rohstoffen sei deshalb überfällig. „Es kann nicht sein, dass der Landschaftsschutz so gut wie immer Vorrang hat, Deutschland ist kein Freizeitpark“, meint Hörnschemeyer. Deshalb sei die IG BCE auch gegen eine pauschale Ablehnung der Gasgewinnung durch die (stark umstrittene) Fracking-Methode. „Wir müssen ergebnisoffen prüfen, ob das ein Weg auch für Deutschland sein kann.“ Auch der Ausstieg aus den Subventionen für den deutschen Steinkohleabbau sei rohstoffpolitisch falsch. „Es wäre sicher verfrüht, heute zu sagen, dass wir in Deutschland nie wieder die umfangreichen Steinkohlelagerstätten nutzen“, sagt Hörnschemeyer.

Und dennoch tut sich einiges in Deutschland, auch wenn nicht ausgemacht ist, ob sich die Projekte jemals tatsächlich bis zur Abbauphase entwickeln werden – und das hängt nicht nur vom Widerstand von Naturschützern und Behörden ab, sondern maßgeblich von der Preisentwicklung der jeweiligen Rohstoffe. Im südbrandenburgischen Spremberg erkundet eine Tochter der in Washington sitzenden lateinamerikanischen Bergbauholding Minera die Möglichkeiten für den Bau eines Kupferbergwerks; in etwa 1000 Metern Tiefe sind 130 Millionen Tonnen Kupfererz im Wert von vielen Milliarden Euro nachgewiesen, ein Bergwerk könnte einmal bis zu 1000 Arbeitsplätze schaffen. Im vergangenen Sommer begann das Raumordnungsverfahren, das freilich noch längst keine verbindliche Abbaugenehmigung darstellt, sondern nur ein Prüfverfahren ist. Frühestens 2020 könnte der Förderbetrieb beginnen.

SELTENE ERDEN IN SACHSEN

Auch andere Projekte basieren auf Lagerstätten in der ehemaligen DDR, die nie abgebaut oder schon vor langer Zeit eingestellt wurden – und die nun wegen gestiegener Rohstoffpreise und neuer Erkundungs- und Abbautechniken wieder lohnend werden könnten. „Deutschland ist ein Rohstoffland“, sagt Thomas Gutschlag, Vorstand der Deutschen Rohstoff AG (DRAG), eines Unternehmens, das in Heidelberg über dem Büro der örtlichen IG Metall residiert. Nach dem Ausscheiden von Preussag und der Metallgesellschaft aus dem Bergbausektor sah die 2006 gegründete DRAG die Chance, in Deutschland wieder ins Rohstoffgeschäft einzusteigen. Das Unternehmen ist auch international unterwegs, fördert zum Beispiel Öl in Colorado, exploriert Blei-, Zink- und Silbervorkommen in Kanada, untersucht aber auch (mit Partnern) Öl- und Gaslagerstätten im Rheingraben und Zinnvorkommen im Erzgebirge und im Vogtland.

Das spektakulärste DRAG-Projekt aber ist im sächsischen Storkwitz bei Leipzig, wo rund 40 000 Tonnen seltene Erden lagern sollen – also jene begehrten Metalle, die in Katalysatoren, Hybridmotoren, Windkraftanlagen, PC-Festplatten oder Flachbildschirmen unentbehrlich sind und auf die China heute faktisch das Monopol hält. Im Frühjahr 2012 hat die DRAG in der größten bislang bekannten Lagerstätte Mitteleuropas ein Bohrprogramm begonnen und wartet nun auf das Gutachten. „Wir sind optimistisch, denn die bislang vorliegenden Daten bestätigen die Berechnungen aus DDR-Zeiten“, sagt Vorstand Thomas Gutschlag. In einem nächsten Schritt würde dann untersucht, welche weiteren Investitionen nötig wären, wie die Weiterverarbeitung der Rohstoffe aussehen könnte und woher die Arbeitskräfte kämen.

GRAPHITMINE WIEDER RENTABEL

In Kropfmühl im Bayerischen Wald ist man schon ein entscheidendes Stück weiter. Dort wurde 2006 die Mine der Graphit Kropfmühl AG geschlossen, der Weltmarktpreis hatte den Graphitabbau unrentabel gemacht. Doch seit Mitte 2012 holen sechs Kumpel den wertvollen Hightechrohstoff, der in Batterien, Brennstoffzellen, in Keramikprodukten und in Dämmmaterialien verwendet wird, wieder aus dem Berg. 2013 sollen in Deutschlands einzigem Graphitbergwerk 1300 Tonnen gefördert werden – vergleichsweise wenig, gemessen an den 25 000 Tonnen, die aus Minenbeteiligungen in Afrika und Asien zur Weiterverarbeitung an den Stammsitz nach Kropfmühl gebracht werden. Doch der Betriebsratsvorsitzende Peter Fesl ist zuversichtlich, dass die Mine bei fallenden Preisen nicht auch schnell wieder geschlossen werden könnte: „Dafür hat die Firma zu viel Geld für die Wiedereröffnung in die Hand genommen, Graphit gilt jetzt als strategischer Rohstoff.“ Während der Stilllegungsphase waren die sechs verbliebenen Kumpel für die Erhaltung des Bergwerks oder über Tage eingesetzt worden. Jetzt gehen sie täglich wieder unter Tage, und es ist geplant, auf zehn Bergleute aufzustocken. „Der Bergmannsberuf ist in unserer Region wieder ein Beruf mit Zukunft“, glaubt Peter Fesl, „vor Kurzem hat ein junger Mann hier seine Ausbildung als Hauer begonnen.“ 

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