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Magazin Mitbestimmung

Landfill Mining: Die Halde wird angebohrt

Ausgabe 03/2013

Metalle, Kunststoff, Dünger – Mülldeponien und Industriehalden sind wertvolle Rohstofflager. Wissenschaftler und Unternehmen erkunden die Möglichkeiten, die Schätze zu heben. Von Christian Sywottek

Eine trübe Mischung aus Schlamm, Erde und Geröll, versetzt mit Plastikfetzen, Holzstücken, Farbdosen, Kabeln, Blechresten und Papier – appetitlich ist es nicht, was der stählerne Greifer aus den Tiefen des Dyckerhoffbruchs bei Wiesbaden ans Tageslicht holt. Und doch schlägt das Herz von Stefan Gäth höher beim Blick auf den Unrat aus einer der größten Hausmülldeponien Deutschlands. „Deponien sind Minen“, sagt der Gießener Professor für Abfall- und Ressourcenmanagement, „sie bergen Schätze, die wir nutzen können. Was ich hier mache, ist Exploration für die Zukunft.“

Gäth ist einer der Pioniere des „Landfill Minings“ – er will Rohstoffe aus Mülldeponien, aus Bergbau- und Industriehalden bergen und nutzen. Seit März 2012 lässt er bis zu 40 Meter tief in den Dyckerhoffbruch bohren und analysiert den Wertstoffgehalt. Bundesweit graben sich Forscher und Deponiebetreiber bereits in rund 60 Müllhalden. Plastikmüll und Holzreste, so ihre Vision, könnten Öl als Brennstoff ersetzen. Phosphate könnten wertvollen Dünger liefern, Steine und Erden als Baumaterial dienen. Vor allem aber geht es um Metalle. „Kupfer, Aluminium, Eisen“, meint Gäht, „nicht zu reden von seltenen Erden – diese Güter werden in Zukunft besonders knapp.“

Müllhalden könnten die Lücken zum Teil füllen. Deutsche Siedlungsabfalldeponien bergen schätzungsweise 26 Millionen Tonnen Alteisen, 850 000 Tonnen Kupferschrott, 500 000 Tonnen Aluminium, zudem seltene Metalle – laut Gäth könnte Deutschland seinen Metallbedarf allein aus dem Müll für bis zu zwei Jahre sichern. Dabei sind die Rohstoffe auf Abraumhalden etwa des Kupferbergbaus oder von Eisenhütten noch nicht berücksichtigt.

TONNEN VON METALLEN

Angesichts dieses Potenzials hat auch das Bundesforschungsministerium die Chancen des Landfill Minings erkannt und fördert deutschlandweit elf Projekte mit rund 16 Millionen Euro. „Für die Politik ist das ein wichtiger Baustein einer umfassenden Rohstoffstrategie der Bundesregierung“, sagt Lothar Mennicken, Referent für Ressourceneffizienz und Rohstofftechnologie beim BMBF. „Gemessen am gesamten Importbedarf ist das Potenzial zwar überschaubar, aber gerade die Rohstoffsuche auf Industrie- und Bergbauhalden könnte sich lohnen.“

Denn dort auf den Industrie- und Bergbauhalden sind Metalle zu finden, und anders als auf Hausmülldeponien liegen sie in höherer Konzentration vor – etwa im Gichtgasschlamm aus der Hochofengasreinigung. Bis zu 20 Millionen Tonnen lagern auf deutschen Halden, zu rund einem Viertel bestehen sie aus Metallen wie Eisen, Blei und Zink. Ähnlich ist es auf Bergbaudeponien, deren Gehalt an seltenen Erden bislang nur rund zur Hälfte genutzt wurde.

Große Mengen in relativ reinem Grund – das senkt die Bergungskosten, welche die Rohstoffverwertung aus dem chaotischen Mischmasch alter Hausmülldeponien hingegen auf längere Zeit rein ökonomisch unattraktiv machen, liegen sie pro Tonne Wertstoff doch zumeist höher als dessen Preis auf dem Weltmarkt. Ein Fakt, der Franz-Gerd Hörnschemeyer, bei der IG BCE zuständig für Rohstofffragen, eher skeptisch werden lässt beim Thema Landfill Mining. „Alles hängt von den Rohstoffpreisen ab“, sagt er, „und die haben sich in letzter Zeit wieder beruhigt.“ Langfristig hingegen sieht auch Hörnschemeyer durchaus Chancen. „In zehn, 20 Jahren kann die Situation natürlich ganz anders sein. Rohstoffsuche in Industriedeponien oder Stahlwerksschlacken – darüber sollte man nachdenken.“

Zehn, 20 Jahre – die Pioniere des Landfill Minings ficht das nicht an. „Landfill Mining ist nichts, was wir in wenigen Jahren industriell und profitabel betreiben können“, meint auch Daniel Goldmann, Professor für Rohstoffaufbereitung und Recycling an der TU Clausthal, „aber gerade deshalb müssen wir jetzt einsteigen.“ Das ist Pionierarbeit, denn Vorbilder gibt es nicht – selbst für vergleichsweise unkomplizierte Bergbauhalden. Für Goldmann sind sie mit ihren Vorkommen etwa an Zink oder seltenen Metallen wie Indium oder Gallium wahre Schatzkammern – deren genaue Standorte er jedoch zurzeit erst suchen und dokumentieren muss. Welche Rohstoffe in welchen Mengen sie enthalten – auch das wird Goldmann untersuchen. Und sich anschließend Gedanken über Techniken ihrer Bergung machen. „Jahrhundertealte Halden verschieben sich, oxidieren, Bakterien arbeiten darin – da kann man nicht einfach mit dem Bagger ran. Und um die Rohstoffe aus der Masse zu lösen, brauchen wir neue Trennverfahren.“

Es sind Probleme, die sich bei der Rohstoffgewinnung aus Hausmülldeponien eher noch steigern, müssen sich die Rohstoffenthusiasten ihre Wertstoffe doch mühsam herauspicken und dabei Gefahrstoffe wie Asbest oder Altöl sichern. Hinzu kommen Gesundheitsgefahren etwa durch Methangas, Lösemitteldämpfe und Schimmelsporen, was Atemwegserkrankungen und Hautreizungen hervorrufen kann. All das lässt sich nach Meinung der Fachleute in den Berufsgenossenschaften zwar mit den etablierten Vorschriften in den Griff bekommen. Allerdings treiben sie die Kosten des Landfills Minings abermals in unattraktive Höhen.

EINE CHANCE FÜR DEN UMWELTSCHUTZ

In der Tat sind die derzeit hohen Kosten das größte Hindernis für diese industrielle Wertstoffsuche der Zukunft. Doch Preise können sich ändern, und für Forscher wie Daniel Goldmann greift die Fixierung auf den reinen Rohstoffwert ohnehin zu kurz, vor allem bei defekten Deponien, deren Haltekosten beträchtlich seien: abdichten, belüften, Emissionen einfangen, Sickerwasser ableiten. „Statt jahrelanger Nachsorge Rückbau und Erlöse durch Landfill Mining, das kann sich bereits jetzt lohnen“, sagt Goldmann. Ähnlich sieht es auch Matthias Buchert vom Öko-Institut in Darmstadt, der Landfill Mining als Chance für aktiven Umweltschutz begreift. „Auch stillgelegte Deponien kosten Geld. Und gerade bei alten Industriehalden mit ihren mitunter unzureichenden Umweltstandards wäre ein derartiger Rückbau ein Schritt in die richtige Richtung.“ Landfill Mining sei unter Umweltaspekten zwar vor allem bei Hausmülldeponien „wahrlich nicht trivial“, meint Buchert. „Aber mit ausgefeilter Planung und Technik kann man die Probleme lösen. Deshalb muss man es in Pilotprojekten ausprobieren.“

Landfill Mining kann Rohstoffe sichern und mehr. Bundesweit engagieren sich schon heute Kommunen, Deponiebetreiber und Entsorgungsunternehmen. So geht es für die Entsorgungsbetriebe der Landeshauptstadt Wiesbaden (ELW) bei den Arbeiten auf dem Dyckerhoffbruch vorrangig um einen Rückbau zur Flächengewinnung, etwa für Gewerbebetriebe. Entsorgungsunternehmen wie Tönsmeier aus Porta Westfalica wollen erste Deponien verwerten, um Techniken zu entwickeln, die sie später auch andernorts anbieten können. Und beim BMBF denkt man an den Export entsprechender Anlagen deutscher Hersteller ins Ausland. Dorthin, wo weitere Milliarden Tonnen Müll und Abraum ihre so dringend benötigten Rohstoffe freigeben könnten. 

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