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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Die Fixierung auf die Arbeitskosten ist falsch“

Ausgabe 03/2013

Ressourcenproduktivität kann man nicht verordnen. Dazu gehört „ein ständiges Innovieren, das Schauen rechts und links des Pfades, Intelligenz und Glück“, sagt Tomas Nieber, Abteilungsleiter Wirtschafts- und Industriepolitik beim IG-BCE-Vorstand. Die Fragen stellte Carmen Molitor

Tomas Nieber, Sie bearbeiten und verantworten das Thema Ressourceneffizienz bei der IG BCE. Welchen Stellenwert hat das?
Wir müssen heute neue Wege begehen, um eine lebenswerte Umwelt und unsere Ressourcen auch für künftige Generationen zu erhalten. Schon seit den 70er Jahren hat uns stark beschäftigt, dass mit unkontrollierten industriellen Produktionsprozessen Umweltschäden und Gesundheitsgefahren für die Beschäftigten einhergingen. Um Umweltschäden zu minimieren oder möglichst gar nicht entstehen zu lassen, wurde in Deutschland in großem Stil in „End of Pipe“-Umweltschutztechnologien investiert. Das hat zu erheblichen Verbesserungen im Bereich der Luftreinhaltung und der Wasserqualität geführt. Daran haben auch Gewerkschaften erfolgreich mitgewirkt.
 
Inwiefern kann heute ressourcensparsames Produzieren dazu beitragen, Arbeitsplätze und Standorte zu erhalten?
Material- und Energieaufwand sind ein immer größerer Kostenblock in produzierenden Unternehmen. Von daher ist die Fixierung der Unternehmen auf die Senkung der Arbeitskosten einfach falsch. Um exzellente Dienstleistungen und umweltverträgliche Produkte herzustellen, muss Arbeit gut bezahlt sein und unter guten Arbeitsbedingungen stattfinden. Das ist unsere feste Überzeugung, und das ist übrigens auch im Sinne der Nachhaltigkeit. Gute Arbeit macht Produkte und Dienstleistungen besser.

Können Arbeitnehmervertreter nachhaltige Produktionsverfahren voranbringen?
Es gibt eine Menge Ansatzmöglichkeiten für Arbeitnehmervertreter, um ökologische Punkte stärker auf die Agenda in den Unternehmen zu setzen – in den Aufsichtsräten und in den Betriebsräten. Wir machen das teilweise schon. Ich würde aber selbstkritisch sagen, dass wir als Gewerkschaften und als Arbeitnehmervertreter vielleicht noch systematischer und konzentrierter an diese Fragen herangehen müssen. Wir sollten uns stärker in die unternehmensstrategischen Fragen einmischen und mitdiskutieren, in welche Richtung sich Unternehmen entwickeln und welche Produkte und Dienstleistungen sinnvoll sind. Das geschieht, aber noch zu wenig.

Wenn Sie speziell die chemische Industrie betrachten: Sind deren Unternehmen in der Lage, weitgehende Sprunginnovationen hin zu effektiveren Produktionsverfahren zu entwickeln? Oder geht es im betrieblichen Alltag in der Regel eher um kontinuierliches Verbessern?
Für die deutsche chemische Industrie haben Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und die Umweltverträglichkeit ihrer Produkte einen zentralen Stellenwert. Wenn die Möglichkeit besteht, über Sprung­innovationen völlig neue Verfahren und Produkte zu entwickeln, dann wird das sicherlich sofort gemacht. Vielfach hat ja derjenige einen wirtschaftlichen Vorteil, der diese Produkte anbieten kann. Allerdings kann man Sprunginnovationen weder verordnen noch einfach abrufen. Man muss dafür einen hohen Aufwand an Forschung und Entwicklung betreiben, und es braucht ständiges Innovieren, das Schauen rechts und links des Pfades, Intelligenz und Glück, um wirkliche Neuerungen zu entwickeln. Zentral dafür ist also ein Umfeld in den Unternehmen, das ständige Optimierung ermöglicht. Von daher sind auch die kleinen Schritte, die täglich in Betrieben geschehen, von Bedeutung.

Es heißt, die Chemieindustrie würde auch die Ressourcen- und Energieeffizienz anderer Branchen beeinflussen. Inwiefern?

Die Chemie als zentraler Vorleistungsproduzent vieler Branchen ist ein ganz wichtiger Treiber auf dem Gebiet. Das reicht von modernen Kunststoffen, die zur Gewichtseinsparung in Fahrzeugen und Flugzeugen beitragen, über die Entwicklung von hocheffizienten Dämmstoffen bis hin zur Elektromobilität, bei der die Chemie eine zentrale Rolle spielt – für die Entwicklung leistungsfähiger Batterien.
 
Welche Nachhaltigkeitsstrategie halten Sie für die deutsche Wirtschaft für bedeutsam?
Strategisch ist eine stärkere Kreislaufwirtschaft ein ganz zentrales Element und eine der großen Herausforderungen: Man muss sich den Lebenszyklus von Produkten genauer anschauen, um möglichst viele verarbeitete Wertstoffe wieder in einem neuen Kreislauf zu nutzen. Die deutsche Materialeffizienzagentur geht davon aus, dass man 20 Prozent des gesamten Materialeinsatzes in der deutschen Wirtschaft einsparen könnte, wenn man das systematisch machen würde. Es gibt gute Beispiele, wo das schon funktioniert: in der Papierindustrie mit der Wiederverwertung des Altpapiers oder in der Glasindustrie. Aber in anderen Bereichen geschieht es noch unzureichend.

Die Bundesregierung hat sich die Verdopplung der Rohstoffproduktivität bis 2020 auf die Fahnen geschrieben. Ist das realistisch?

Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel; zumindest in Teilbereichen der Wirtschaft halte ich es für äußerst ambitioniert. Die Unternehmen haben bereits eine Menge an Optimierungen vollzogen, allein aus Kostengründen kann man jetzt nicht einfach als abstraktes Ziel definieren: Ich will, dass du da noch mal eine Verdopplung der Ressourcenproduktivität erreichst. Ein Beispiel ist die Aluminiumindustrie. Da spielen die Energiekosten eine exorbitante Rolle, und es wird wirklich alles getan, um möglichst wenig Energie zu verbrauchen. Da kann ich nicht einfach noch mal 50 Prozent weniger Energieeinsatz verlangen, um die entsprechende CO2-Einsparung zu erzielen. Das hält kein Unternehmen durch, das sich im internationalen Wettbewerb bewegen muss. Dann wird diese Produktion irgendwo anders gemacht, wo es diese Rahmenbedingungen nicht gibt und wo unter Umständen mehr CO2 emittiert oder mehr Schadstoffe freigesetzt werden. Das nützt der Umwelt nichts.

Wie können denn trotzdem noch weitere Einsparungsziele erreicht werden?

Dies gelingt ja bereits. Die deutsche Industrie hat ihre Energie- und Rohstoffproduktivität kontinuierlich steigern können. Diesen Pfad müssen wir weitergehen. Unbestritten ist aber, dass wir weitere erhebliche Innovationsprozesse benötigen, und das nicht nur in technologischer Hinsicht. Dazu müssen wir in Deutschland unsere Aufwendungen für Forschung und Entwicklung erhöhen und noch mehr im Bereich der Wissenschaft machen. Damit wären ein paar Voraussetzungen geschaffen, um weitere technologische Sprünge erzielen zu können.

Gehört dazu auch eine Beteiligungs- und Innovationskultur in den Unternehmen?
Ja, es ist genauso wichtig, möglichst vielen Menschen zu ermöglichen, sich aktiv an der Gestaltung einer ressourcenschonenden und nachhaltigen Wirtschaftsweise zu beteiligen. Das geht nur über bessere Bildungs- und Partizipationsmöglichkeiten, und die sind wiederum eng verknüpft mit Fragen von gesellschaftlichem Zusammenhalt und sozialer Gerechtigkeit.

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