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Magazin Mitbestimmung

Stahlindustrie: Meister in Effizienz

Ausgabe 03/2013

Die Stahlindustrie ist in Sachen Materialeffizienz schon weit vorangekommen. Jetzt geht es um die Energieeffizienz – hierbei bewegen mitbestimmte Initiativen einiges und fahren Preise ein. Von Karin Flothmann

Grob gesagt sind Stahlwerke riesige Recyclinganlagen. Nahezu alles, was hier verarbeitet wird, kann weitergenutzt werden. Das Gichtgas aus Hochöfen treibt Turbinen zur Stromerzeugung an, die Abwärme fließt in das Fernwärmenetz von Kommunen, und die Schlacke der Hochöfen wird im Straßenbau verwendet.

Stahl wird in Deutschland zu zwei Dritteln aus Eisenerz gemacht – im Hochofen, wo das Roheisen entsteht, über den Stahlkonverter, wo Roheisen zu Stahl wird, bis hin zum Walzwerk, wo der Stahl zu Blechen und Trägern wird. Bei diesen Prozessschritten gehen keine Rohstoffe verloren. Denn auch die Abfälle, die etwa im Walzwerk anfallen, werden erneut aufgearbeitet. „Entscheidend ist, wie viel Ausschuss anfällt, der als Schrott wieder in die Produktion eingespeist wird, und vor allem wie viel Energie man für die Stahlerzeugung braucht“, erläutert Ralf Löckener, Geschäftsführer der Beratungsfirma Sustain Consult. Während die Kosten für Eisenerz und Koks bei über 50 Prozent der Gesamtkosten liegen und hier der Weltmarkt die Preise festlegt, sind heute im Stahlwerk Energieeinsparungen der entscheidende Optimierungshebel. „Und da ist auch in Deutschland einiges wirtschaftlich machbar“, betont Löckener.

GEWINNBETEILIGUNG

Das gilt auch für die Stahlwerke, die keine Hütte betreiben, sondern Stahl aus Schrott machen. „Wir recyceln alles, was vom Schrotthändler kommt, wir recyceln Autos, und wir recyceln Industrieschrott“, erzählt Ludwig Sandkämper, Betriebsratsvorsitzender der Georgsmarienhütte in Niedersachsen. Kurz nach der Übernahme 1993 hatte der Unternehmer Jürgen Großmann das Stahlwerk vom Hochofen auf den Gleichstrom-Elektrolichtbogenofen umgestellt. Seither wird in der Georgsmarienhütte Schrott zu Stahl. Und das frisst Strom. „Wir verarbeiten rund 800 000 Tonnen Schrott im Jahr und verbrauchen 400 bis 500 Kilowattstunden Strom pro Tonne“, erklärt Sandkämper. „Unser Standort verbraucht etwa so viel Strom wie die Stadt Osnabrück mit ihren 166 000 Einwohnern“, ergänzt Felix Osterheider, seit 2010 Arbeitsdirektor der Georgsmarienhütte. Das führte in diesem montanmitbestimmten Unternehmen zu der Überlegung, das Thema Energiesparen als einen von vier Faktoren in die Gewinnbeteiligung der Beschäftigten einfließen zu lassen. Eine entsprechende Betriebsvereinbarung gilt seit 1. Januar 2013.

Am schwierigsten war es, dies gerecht hinzubekommen. Denn den allermeisten Strom verbraucht der Elektroofen, während die Mehrzahl der Kollegen keinen Einfluss auf dessen Verbrauch hat. Aber auch dank Mitbestimmung fand man Lösungen. Seither kümmern sich die Kollegen darum, dass der Allgemeinstrom nicht in die Höhe schießt. Außerdem achten alle auf die Druckluft. „Wenn’s bei uns in der Anlage leise zischt, dann weiß doch jeder, da geht Druckluft verloren“, sagt Sandkämper. Heute werden diese Leckagen schnell repariert und zack, schon wieder wurde Energie eingespart. „Um so weit zu kommen“, berichtet Arbeitsdirektor Osterheider, „haben wir in den vergangenen Jahren zunächst ein Energiemanagement aufgebaut.“ An Hunderten von Orten im Betrieb wurden Messstellen installiert, die den Stromverbrauch feststellten. Zwei Drittel der Belegschaft haben außerdem inzwischen eine Umweltschulung mitgemacht. Und was früher das betriebliche Vorschlagswesen war, heißt in der Georgsmarienhütte heute Ideenmanagement. Das wurde im vergangenen Jahr zum zweiten Mal in Folge vom Deutschen Institut für Betriebswirtschaft (dib) ausgezeichnet. „Inzwischen bekommen wir immer mehr Vorschläge zum Energiesparen“, erzählt Osterheider. Die besten werden um die Weihnachtszeit bei einer Verlosung prämiert.

„Wenn man etwas verändern will, dann geht es darum, die Mitarbeiter zu begeistern“, weiß auch Max Heumann, Leiter der Anlagentechnik bei den Deutschen Edelstahlwerken (DEW) in Witten. Die DEW wurden 2010 mit dem zweiten Preis der IG-BCE-Stiftung Arbeit und Umwelt für ihre Initiative zur Energieeffizienz und Energieeinsparung ausgezeichnet. Im Kontext dieser Infokampagne, die vom Unternehmen gemeinsam mit dem Betriebsrat angestoßen wurde, erhielt jeder Beschäftigte auch ein Strommessgerät und eine Broschüre mit Energiespartipps für zu Hause. „Inzwischen haben wir ein eigenes Budget für Energieeffizienz und eine Abteilung Umwelt- und Klimaschutz“, berichtet Heumann. An den Standorten der DEW gibt es Energiebeauftragte. Und wie in der Georgsmarienhütte kommen die meisten Ideen zum Einsparen von Energie mittlerweile von den Beschäftigten. „Von 2009 bis 2011 haben wir rund 50 Projekte zum Einsparen von Energie umgesetzt“, erzählt Heumann. Das verursachte Projektkosten zwischen 5000 und 380.000 Euro. „Und sie haben uns jährliche Einsparungen in Höhe von 45 Millionen Kilowattstunden Strom und Erdgas gebracht“, berichtet Heumann. Nicht zu vergessen: „Unsere CO2-Emissionen konnten wir um 13 000 Tonnen jährlich reduzieren.“

TOPGAS-RECYCLING VORERST ABGEBLASEN

In Eisenhüttenstadt wollte der Konzern ArcelorMittal Gleiches tun. In einem Versuch konnte Gichtgas in einem sogenannten „schwedischen Forschungshochofen“ zurückgeführt werden, wodurch sich der Kokseinsatz im Hochofen und der CO2-Ausstoß reduzierten. Topgas-Recycling nennt sich das Verfahren. ArcelorMittal wollte in Eisenhüttenstadt dessen industrielle Einsatzmöglichkeiten testen. Ein Projekt, an dem auch dem Betriebsrat sehr gelegen war, da diese Innovation die „Flüssiglinie“ am Standort gesichert hätte. Zwischenzeitlich wurde dieses Projekt dem weltweit größten Stahlunternehmen zu teuer, auch wenn der Bund 30 Millionen zu den Projektkosten von insgesamt rund 110 Millionen Euro beisteuern wollte, berichtet Michael Bach, Konzernbeauftragter der IG Metall für ArcelorMittal.

„Wenn ein Konzern in angespannten Zeiten wie diesen 80 Millionen Euro übrig hat“, sagt Bach, „dann investiert er die anderswo.“ Ausgezahlt hätten sich die Investitionen vermutlich erst in sieben bis acht Jahren. Das dauerte ArcelorMittal zu lang. „Zumal die Emissionszertifikate derzeit für kleines Geld zu haben sind, wenn man sie braucht“, sagt Bach. „Das heißt, die mögliche Innovationsfähigkeit macht sich derzeit gar nicht sonderlich bezahlt.“ Noch stehe das Thema Topgas-Recycling auf der Agenda des Aufsichtsrats von ArcelorMittal. Zunächst wolle man jedoch abwarten, wie sich die politischen Rahmenbedingungen entwickeln.

HKM – SCHLACKE ZU SAND

Die Politik spielt derzeit auch beim Recycling der Hochofenschlacke eine nicht unbedeutende Rolle. „Wir machen im Jahr 5,5 Millionen Tonnen Stahl“, erklärt Ulrich Kimpel, Betriebsratsvorsitzender der Hüttenwerke Krupp Mannesmann in Duisburg. „Da fallen 1,2 Millionen Tonnen Schlacke an.“ Diese Schlacke wird seit über 100 Jahren im Straßenbau weiterverwertet. Sie ging von Duisburg aus in die Niederlande zum Bau von Deichen. Doch jetzt gibt es Bestrebungen der Bundesregierung, die Ersatzbaustoffverordnung bundesweit neu zu regeln, bisher war das Ländersache. „Zurzeit wird diskutiert, dass Schlacke künftig nicht mehr offen verbaut werden soll“, erklärt Kimpel, „und das hieße, sie dürfte im Straßenbau nicht mehr verwendet werden.“ Grund hierfür sind Fälle von Havarien mit erheblicher Verschmutzung des Grundwassers. Was dann stattdessen verbaut werden soll, ist unklar. Immerhin hat Schlacke die Angewohnheit, sich zu verdichten – was im Deich- wie im Straßenbau sehr geschätzt wird. Kimpel hält nicht viel davon, die Schlacke künftig auf großen Deponien zu horten. Doch das würde im Fall des Falles nötig werden. Zumindest für einen Teil der Schlacke.

Ein Großteil des Hüttenabfalls wird schon heute in Duisburg in einem Granulatverfahren zu Sand gerieben. Und an diesem Hüttensand ist die Zementindustrie interessiert. „Rund drei Viertel der Hüttenschlacke aus den Hochöfen wird heute zu Zement weiterverarbeitet“, erklärt Ralf Löckener von Sustain Consult. Denn auch die Zementindustrie unterliegt dem Emissionshandel. Und die Verarbeitung von Kalkstein ist sehr CO2-intensiv. Seit der Einführung des Emissionshandels ist daher die Hochofenschlacke bei der Zementindustrie gefragt. In Duisburg ist ein Zementwerk aktuell sehr daran interessiert, sich direkt auf dem Hüttenwerk anzusiedeln. Betriebsrat Kimpel findet das gut: „Das wäre doch höchst ressourceneffizient.“ 

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