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Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: Über Treibhausgase und Lebensstandard

Ausgabe 12/2012

„Deutschland muss massiv in die Beschleunigung der Energieeffizienz investieren. Und dieses Tempo 40 Jahre durchhalten", sagt Andrew Watt, Abteilungsleiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK)

Die Erde läuft heiß. Was tun? Die Experten sind sich über vieles uneins. Konsens besteht aber darüber, dass eine drastische Reduktion der CO2-Emissionen wünschenswert wäre, um die Erderwärmung zu begrenzen. Die EU hat sich daher bis zum Jahr 2050 eine Reduktion um 80 Prozent gegenüber dem Wert des Jahres 1990 zum Ziel gesetzt. Das bedeutet pro Jahr vier Prozent weniger Emissionen. So schwierig dies in der Praxis sein wird – zumindest analytisch kann man sich die Sache erleichtern. Der Ausstoß von Treibhausgasen ist eine Folge wirtschaftlicher Tätigkeit. Man kann berrechnen, wie viel CO2 pro Milliarde Euro des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entsteht. Diese Zahl misst die Energieeffizienz einer Wirtschaft: je effizienter wir wirtschaften und konsumieren, desto niedriger der Ausstoß. Also her mit den Energiesparlampen und Fahrgemeinschaften, mit allen technischen und organisatorischen Maßnahmen, die die Energieeffizienz steigern!

Man kann auch zu dem Schluss kommen, dass es sinnvoll wäre, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu senken, damit die Emissionen sinken. Eine sinkende Produktion könnte jedoch fallende Einkommen und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge haben, zumal selbst in hoch entwickelten Volkswirtschaften die Produktivät pro Arbeitsstunde noch um etwa ein Prozent pro Jahr zunimmt. Doch muss dieser Fall nicht eintreten. Die Gesamtarbeitsstunden setzen sich ja aus der Anzahl der Beschäftigten und deren durchschnittlicher Arbeitszeit zusammen. Rechnerisch kann man die Arbeit also auf mehr Köpfe verteilen. Daraus ergäbe sich als wichtiger Faktor im Kampf gegen den Klimawandel eine alte gewerkschaftliche Forderung: eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung.

Solche Gedankenspiele können helfen, für ein Land wie Deutschland politische Alternativen aufzuzeigen. Schnell wird deutlich, dass dieses Land, will es seine Klimaziele bei steigendem materiellem Wohlstand erreichen, vor allem seine Energieeffizienz erheblich steigern muss. Sollte dieser Weg an technische oder politische Grenzen stoßen, würde der materielle Wohlstand weniger schnell wachsen oder sogar sinken. Vollbeschäftigung wäre nur möglich – wir unterstellen, dass der Trend zu steigender Produktivität anhält –, wenn die Arbeitszeit ständig reduziert wird. Eigene grobe Berechnungen zeigen: Bleibt die Steigerung der Energieeffizienz im Trend der letzten Jahre, dann müsste die Produktion bis 2050 um etwa 40 Prozent gedrosselt werden, wenn die Emissionen um 80 Prozent fallen sollen.

Um dann noch Arbeit für alle zu haben, dürfte jeder Erwerbsfähige im Schnitt nur rund zwölf Wochenstunden arbeiten. Und das ohne Lohnausgleich? Unvorstellbar! Schafft man es hingegen, die Steigerungsrate der Energieeffizienz um die Hälfte zu erhöhen, könnte man das BIP und damit den allgemeinen Lebensstandard ungefähr konstant halten. Die durchschnittliche Arbeitszeit fiele auf rund 20 Wochenstunden. Um den Lebensstandard weiter im Trend der letzten Jahren steigen zu lassen, müsste die Energieeffizenz sogar doppelt so schnell gesteigert werden wie bisher.

Die Schlussfolgerungen? Es geht nicht um einmalige Anstrengungen. Deutschland muss – wie alle hoch entwickelten Länder – massiv in schnellere Fortschritte bei der Energieeffizienz investieren und dieses Tempo 40 Jahre durchhalten. Die Energiepreise müssen steigen, um den sogenannten Rebound-Effekt auszuschalten, der dazu führt, dass trotz steigender Effizienz der absolute Energieverbrauch zunimmt. Gleichzeitig müssen alle hoch entwickelten Länder einen sozialen Wandel vorbereiten, der eine beschleunigte Reduzierung der Arbeitszeit gesellschaftlich trägt. Zumindest implizit erfordert dies eine beträchtliche Umverteilung der wirtschaftlichen Ressourcen von oben nach unten. Denn die notwendigen Arbeitszeitverkürzungen können zwar für die Wohlhabenden, nicht aber für die Armen mit entsprechenden Wohlfahrtsverlusten einhergehen. Außerdem müssen die Industrieländer die ärmeren, schneller wachsenden Länder durch den raschen Transfer ressourcenschonender Produktionsverfahren unterstützen. Das liegt letztlich in ihrem eigenen Interesse. Denn den Klimawandel zu ignorieren bedeutet nach dem heutigen Stand der Forschung das Aus für die Erde als lebensfähigem Planeten.

Mehr Informationen

Andrew Watt: WORK LESS TO POLLUTE LESS? What contribution can or must working time reduction play in reducing carbon emissions? ETUI-Working Paper 2012.08, Brüssel 2012.

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