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Magazin Mitbestimmung

Mein Arbeitsplatz: "Ich muss mich mit meinen Schülern verstehen"

Ausgabe 12/2012

Camilla Wolf, 51, ist Lehrerin an der Miriam-Makeba-Grundschule in Berlin-Moabit. In Thüringen aufgewachsen, hat sie parallel zum Abitur eine Ausbildung zur Zootechnikerin gemacht und später Deutsch und Russisch fürs Lehramt studiert

Berlin, Zinzendorfstraße 15–16 „Viele meiner Schüler kommen aus sehr großen Familien. Außerhalb der Schule sprechen sie kaum Deutsch, auch die deutschen Kinder haben sich ein geradebrechtes Deutsch angewöhnt. Ungefähr 75 Prozent der Kinder an unserer Grundschule haben einen Migrationshintergrund. Oft werden die Jungen zu Hause stark bevorzugt. Die Mädchen müssen im Haushalt mitarbeiten und auf kleinere Geschwister aufpassen. Daher sind vor allem die Mädchen für Streicheleinheiten und Aufmerksamkeit sehr zu haben – und ich bin eine Lehrerin zum Anfassen.

Wir arbeiten eng mit den Eltern zusammen. Am Anfang befürchtete ich, dass mich vor allem die Väter nicht für voll nehmen, aber das stimmt nicht: Ein Lehrer gilt als Persönlichkeit, die man zu respektieren hat. Das wird den Kindern auch zu Hause beigebracht. Bei vielen deutschen Kindern in sozialen Brennpunkten, zum Beispiel in Marzahn, wo ich früher gearbeitet habe, ist das nicht der Fall. Auch Zustände wie in der Rütli-Schule gibt es hier nicht. Hier bei uns sind die Schüler jünger – obwohl es in der sechsten Klasse auch mehrere 15-Jährige gab.

Seit mehreren Jahren haben wir an unserer Schule ein Streitschlichterprojekt. Die Kinder werden richtig gut ausgebildet, wie man Gespräche führt und Konflikte ohne Gewalt löst. Klar gibt es mal Prügeleien oder Wortgefechte. Aber wir kriegen das an unserer Schule ganz gut in den Griff, ohne dass wir Lehrer uns jedes Mal reinhängen müssen.

Entscheidend ist, dass eine Klassengemeinschaft entsteht. Ein wichtiger Faktor dafür ist, dass die Lehrer gewisse Regeln verabreden und durchsetzen – zum Beispiel, dass wir keine Schimpfwörter dulden, ein freundlicher Umgangston herrscht und keiner ausgelacht wird. Die Kinder merken, ob jemand gerne zu ihnen in die Klasse kommt und ein offenes Ohr für sie hat. Sie erzählen dann auch von zu Hause, und wenn man interessiert ist, bekommt man viel mit. Ich muss mich mit meinen Schülern verstehen, sonst funktioniert Schule und Lernen nicht.“ 

Textdokumentation: Annette Jensen

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