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HBS Böckler Impuls

Bildung: Unis: Grenzen der Vereinheitlichung

Ausgabe 20/2012

Unterschiedliche Hochschulsysteme spiegeln die Besonderheiten verschiedener Wirtschaftsmodelle wider. Eine internationale Vereinheitlichung der Universitätslandschaft nach angelsächsischen Standards würde den Anforderungen der deutschen Wirtschaft nicht gerecht.

Soziologen unterscheiden verschiedene Arten des Kapitalismus. Ein Modell ist die liberale Marktökonomie, die sich durch kurzfristige Unternehmensfinanzierungen, kaum regulierte Arbeitsmärkte, starken Wettbewerb zwischen Unternehmen und wenig spezialisierte Arbeitskräfte auszeichnet. Den Gegenpol bilden koordinierte Marktökonomien, deren Strukturen eher auf langfristige Kooperation zwischen Banken, Unternehmen und Arbeitnehmern zielen. Typisch für dieses Wirtschaftsmodell sind stark differenzierte Berufsbilder. Michael Hölscher von der Universität Heidelberg hat untersucht, inwieweit sich die Hochschulsysteme beider Wirtschaftstypen unterscheiden. Für seinen Vergleich wählte der Soziologe Deutschland als koordinierte und Großbritannien als liberale Marktwirtschaft.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Ländern besteht früheren Studien zufolge bereits an der Nahtstelle zwischen Hochschulen und Arbeitsmarkt. Während in Deutschland häufig ein enger fachlicher Zusammenhang zwischen Studienfach und Job bestehe, sei in Großbritannien „die Verbindung zwischen Studium und Arbeitsmarkt sehr viel lockerer“, so Hölscher. Dies könnte eine logische Konsequenz der verschiedenen Wirtschaftstypen sein, so der Wissenschaftler:

In einer liberalen Marktwirtschaft wie Großbritannien sind die Beschäftigungsverhältnisse weniger stabil und deshalb generelle Kompetenzen wichtig, die jederzeit einen Job- und Branchenwechsel ermöglichen. Starke Spezialisierung ist für Arbeitnehmer hingegen mit einem hohen Risiko verbunden. Denn je spezieller die Qualifikation, desto schwieriger wird es nach einem Jobverlust, schnell wieder eine passende Stelle zu finden. Anders ist die Situation in einer koordinierten Marktwirtschaft mit starkem Wohlfahrtsstaat: Hier sind die Arbeitsverhältnisse stabiler. Beschäftigte sind durch das Arbeitsrecht besser vor Entlassung geschützt. Falls sie ihre Stelle aber doch verlieren, greift der Sozialstaat ihnen unter die Arme und gibt ihnen Zeit, eine Stelle zu suchen, die ihrer Ausbildung entspricht.

Ob sich dieses Erklärungsmuster empirisch bestätigen lässt, hat Hölscher mithilfe einer international angelegten Befragung von Akademikern überprüft. Der Datensatz ist repräsentativ für Hochschulabsolventen in Großbritannien und Deutschland, deren Abschluss 2005 fünf Jahre zurücklag. Erwartungsgemäß gaben Befragte aus dem Vereinigten Königreich häufiger an, allgemeine Kompetenzen zu besitzen, und die Deutschen betonten ihr spezifisches Fachwissen. So fühlen sich die Briten etwa besser ausgebildet, was Präsentations- und Kommunikationsfertigkeiten angeht, während die Deutschen zu größeren Teilen überzeugt sind, ihr Studienfach zu beherrschen.

Die Umfrage macht auch deutlich, dass die Anforderungen an die Hochschulen unterschiedlich sind: „In Großbritannien spielt es also sehr viel weniger eine Rolle, was genau man eigentlich studiert hat. Entscheidend ist, dass man studiert hat“, schreibt Hölscher. In Deutschland sei eine „höhere Kongruenz zwischen Studium und Beruf“ festzustellen.

Nach Ansicht des Wissenschaftlers haben diese Beobachtungen entscheidende Bedeutung für die Bildungspolitik. Denn die „internationale Angleichung von Hochschulsystemen, wie sie aktuell im Bologna-Prozess oder in der Diskussion um Schlüsselqualifikationen betrieben wird, macht vor diesem Hintergrund nur bedingt Sinn“. Solange Unterschiede zwischen den Kapitalismus-Spielarten bestünden, gebe es keinen Grund, die Bildungssysteme anzugleichen. Die Folge wäre eine „schwindende Funktionalität des Hochschulsystems für die Wirtschaft“. Wichtig sei dies gerade für Deutschland, wo die Debatte um Hochschulreformen von Leitbildern aus den liberalen Marktwirtschaften Großbritannien und USA geprägt sei – weil „eine Anpassung an internationale Vorbilder vor allem in koordinierten Marktwirtschaften zum Problem werden könnte“.

  • Im angelsächischen Kapitalismus sind allgemeine Qualifikationen wichtiger, in koordinierten Marktwirtschaften mit größerer Beschäftigungssicherheit lohnt sich das Risiko Spezialisierung. Zur Grafik

Michael Hölscher: Spielarten des Kapitalismus und Kompetenzen von Hochschulabsolventinnen und -absolventen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 3/2012.

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