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HBS Böckler Impuls

Verteilung: Zehn Jahre Verluste für die breite Masse

Ausgabe 18/2012

Die preisbereinigten Nettoeinkommen sind im vergangenen Jahrzehnt um fast 50 Prozent gestiegen – für das oberste Hundertstel der Haushalte in Deutschland. Die untere Hälfte hat real verloren.

Die Vorzeichen der ersten fünf Zehntel sind negativ. Erst das sechste Dezil der nach ihrem Einkommen gestaffelten Haushalte brachte es zwischen 2000 und 2009 auf ein kleines Plus. Um etwa ein Prozent nahm das durchschnittliche reale Nettoeinkommen dieser Gruppe zu. Selbst das neunte Zehntel konnte seine Kaufkraft mit einem Zuwachs von knapp drei Prozent kaum steigern. Nennenswerte Anstiege weist die Statistik nur am oberen Ende der Einkommensskala aus, wie Wirtschaftsprofessor Hagen Krämer und Christina Anselmann von der Hochschule Karlsruhe in einer aktuellen Untersuchung feststellen.

Nach aus dem Jahr 2010 stammenden Daten aus dem Sozio-oekonomischen Panel, einer jährlich wiederholten, groß angelegten Befragung privater Haushalte in Deutschland, stieg das Nettodurchschnittseinkommen des höchsten Zehntels in der neunjährigen Zeitspanne um gut 13 Prozent. Je weiter man sich der Spitze der Einkommenspyramide nähert, desto höher fallen die Zuwächse aus: Die oberen fünf Prozent nahmen 2009 fast 20 Prozent mehr ein als 2000. Beim reichsten Hundertstel beträgt die Steigerung des realen Nettoeinkommens 48 Prozent. Die Autoren sprechen von der „Schlagseite der Einkommensverteilung“. Würden die Einkommensunterschiede in einer Gesellschaft zu groß, könnten sich daraus Spannungen ergeben, „die letztlich eine Gesellschaft in ihrem Zusammenhalt bedrohen“, so die Wissenschaftler. Historische Erfahrungen belegten dies.

Zudem verweisen Anselmann und Krämer auf ökonomische Studien, die zu dem Schluss kamen, dass ausgeprägte Einkommensungleichheit das Wirtschaftswachstum beeinträchtigt. „Das Risiko, das von einer Fortsetzung des Trends eines wachsenden Anteils der Spitzeneinkommen ausgeht, sollte daher nicht unterschätzt werden“, schreiben sie.

Der Überblick der beiden Ökonomen zeigt auch: Die Spanne zwischen hohen und niedrigen Einkommen wächst seit langem. Aber: Um die Jahrtausendwende hat sich die Zunahme der Ungleichheit beschleunigt. Während der Gini-Index – ein Maß, das angibt, wie stark die Einkommen streuen – zwischen 1983 und 1995 um einen Prozentpunkt zunahm, betrug der Anstieg von 1995 bis 2009 drei Prozentpunkte. Allerdings weist eine aktuelle Erhebung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung keinen weiteren Anstieg und teilweise sogar einen leichten Rückgang der Einkommensungleichheit in Deutschland ab 2005 aus. Der Anstieg der Einkommensdifferenzen vollzog sich damit überwiegend in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts.

Maßgeblich für die Vergrößerung der Ungleichheit war nicht ausschließlich der Rückgang der Einkommen in der schlechter verdienenden Hälfte der Bevölkerung, konstatieren Anselmann und Krämer. Sehr stark wirkte sich der Anstieg der Spitzeneinkommen aus. Selbst die jüngste Finanzkrise habe diesen Trend kaum brechen können. In den USA beispielsweise verdient die Gruppe mit den höchsten Einkommen inzwischen wieder so viel wie vor der Krise, wie neuere Untersuchungen zeigen.

Zwei Ursachen sind der Studie zufolge für die Entwicklungen in der Nettoeinkommensverteilung Deutschlands verantwortlich: Erstens hat die Spreizung der Primäreinkommen – der Einkommen vor staatlicher Umverteilung – stark zugenommen. Von allen Bruttoeinkommen flossen 2009 etwa 38 Prozent an das obere Zehntel der Haushalte; so hoch hatte der Anteil zuletzt Anfang der 1930er-Jahre gelegen. In der Phase der „Großen Kompression“ nach dem Zweiten Weltkrieg bis Ende der 1980er-Jahre schwankte er lediglich zwischen 30 und 32 Prozent. Zweitens hätten verschiedene Reformen die ausgleichende Wirkung des Steuer- und Abgabensystems reduziert.

Die Wissenschaftler weisen auf eine Empfehlung der Industrieländer-Organisation OECD hin, die Steuersysteme zu nutzen, um die gewachsene „steuerliche Belastungsfähigkeit der Einkommensbezieher an der Spitze“ auszuschöpfen. Das heißt etwa, Besserverdienern die Möglichkeit zu nehmen, die steuerliche Bemessungsgrundlage durch verschiedenste Abzugsmöglichkeiten zu schmälern. Zudem erinnern Anselmann und Krämer daran, dass die Spitzensteuersätze in den entwickelten Ländern in den unmittelbaren, wirtschaftlich erfolgreichen Nachkriegsjahrzehnten noch „weit jenseits der 50-Prozent-Marke lagen.“

  • Nennenswerte Zuwächse hatten nur die Reichsten zu verzeichnen. Zur Grafik

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