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HBS Böckler Impuls

Gesundheit: Psychostress im Job weltweites Problem

Ausgabe 16/2012

Psychische Belastungen am Arbeitsplatz können krank machen. Dem lässt sich entgegenwirken: Durch Prävention im Betrieb, Gelegenheit zum lebenslangen Lernen und sozialstaatliche Absicherung.

Wer im Job häufig psychosozialen Stress erlebt, trägt ein erhöhtes Risiko, krank zu werden. Das belegen zahlreiche Studien aus dem In- und Ausland, die Johannes Siegrist in den vergangenen Jahrzehnten aufgearbeitet oder selbst veröffentlicht hat. Für eine neue Untersuchung hat der Professor für Medizinsoziologie an der Universität Düsseldorf zusammen mit seinem Kollegen Nico Dragano Daten aus fünf internationalen Befragungen ausgewertet, die in Europa, den USA, Japan und Südkorea Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen und Gesundheit älterer Beschäftigter beleuchten. Damit kann sich die von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie der beiden Professoren auf Auskünfte von mehr als 16.000 Beschäftigten im Alter von 50 bis 64 Jahren stützen.

Depressionen und Herzprobleme. Die Daten zeigen: Psychosoziale Arbeitsbelastungen sind über Ländergrenzen und Kontinente hinweg eine Gesundheitsgefahr. Zwei Typen von psychischen Belastungen, die sich mit den Methoden der Medizinsoziologie gut abgrenzen lassen, gelten als besonders problematisch: Der erste liegt vor bei Beschäftigten, die große Arbeitsmengen bewältigen müssen, ohne dass sie entsprechende Einfluss- oder Entscheidungsmöglichkeiten besitzen. Der zweite betrifft Arbeitnehmer, die für ihre Arbeitsleistung keine angemessene Gegenleistung in Form von Gehalt, Anerkennung, Aufstiegschancen oder Arbeitsplatzsicherheit erhalten und so eine „Gratifikationskrise“ erleben. Nach Siegrists und Draganos Analyse leiden ältere Arbeitnehmer, die von solchen Belastungen betroffen sind, weltweit signifikant häufiger an depressiven Störungen. Sie schätzen ihre Gesundheit auch merklich schlechter ein als andere Beschäftigte. Außerdem berichteten die Stress-Betroffenen während eines zweijährigen Beobachtungszeitraums deutlich häufiger über Herzbeschwerden als Vergleichspersonen.

Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik wirken sich aus. Jenseits des globalen Befundes, dass psychosoziale Belastungen im Job das Krankheitsrisiko erhöhen, beobachten die Wissenschaftler deutliche Unterschiede zwischen den untersuchten Staaten. Offenbar haben auch die Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt und das soziale Sicherungssystem Einfluss darauf, wie verbreitet psychosoziale Belastungen sind – und in welchem Maße sie sich auf die Gesundheit auswirken.

Mit komplexen statistischen Verfahren haben die Forscher relevante Faktoren identifiziert: In Ländern, in denen viele Ältere weitergebildet werden, ist der Anteil der psychisch belasteten älteren Beschäftigten vergleichsweise gering. Der gleiche Trend zeigt sich laut Studie bei Staaten mit einer hohen Erwerbsquote von Menschen über 55 Jahren. Mögliche Erklärung: „Länder, die explizites Interesse an einer höheren Erwerbsbeteiligung älterer Menschen haben“, könnten „mehr unternehmen, um belastende und restriktive Arbeitsbedingungen abzubauen“, so die Wissenschaftler. Außerdem zeigt die Datenanalyse, dass der Zusammenhang zwischen beruflichen Gratifikationskrisen und depressiven Störungen in Ländern weniger ausgeprägt ist, die eine weit reichende sozialstaatliche Absicherung von wirtschaftlichen Existenzrisiken aufweisen.

Im Ländervergleich schneiden die süd- und osteuropäischen Staaten am schlechtesten ab, wenn es um die Verbreitung psychosozialer Belastungen am Arbeitsplatz geht. Dagegen geben ältere Beschäftigte in Schweden und Dänemark, den Niederlanden und der Schweiz vergleichsweise selten an, von seelisch ungesunden Arbeitsbedingungen betroffen zu sein. Relativ gut fallen auch die Werte für die USA aus. Das könnte aus Sicht der Forscher mit einer recht hohen Weiterbildungsquote in den Staaten zusammenhängen. Deutschland rangiert im Mittelfeld.

Um Beschäftigte vor den gesundheitlichen Risiken chronischer Stresserfahrungen zu schützen, empfehlen die Wissenschaftler Verbesserungen in den Betrieben. Dazu zählen sie mehr Teamarbeit, Job-Rotation, eine gezielte Qualifikation Älterer und eine „faire Entlohnung unter Beachtung von Lebensarbeitszeit und Betriebstreue“. Zusätzlich halten die Forscher aber auch Investitionen in überbetriebliche arbeits- und sozialpolitische Programme für notwendig, um gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen zu stärken. Das komme gerade in einer alternden Gesellschaft auch den Unternehmen zugute, betonen sie: „Bessere Qualität der Arbeit bedeutet auch längere und gesündere Beschäftigungsfähigkeit der von diesen Maßnahmen profitierenden Beschäftigten.“

  • Psychosoziale Arbeitsbelastungen sind in vielen Ländern eine Gesundheitsgefahr. Ältere Beschäftigte in süd- und osteuropäische Ländern klagen oft über Belastungen, skandinavische Staaten schneiden relativ gut ab. Deutschland liegt im Mittelfeld. Zur Grafik

Johannes Siegrist, Nico Dragano u.a.: Arbeitsbedingte Gesund­heitsgefahren bei älteren Beschäftigten im Spannungsfeld zwischen Markt und Staat: Eine internationale Studie, Abschlussbericht, Juli 2012.

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