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HBS Böckler Impuls

Erwerbsminderungsrente: Ohne Job oft keine Reha

Ausgabe 16/2012

Langzeitarbeitslose an der Schwelle zur Erwerbsminderungsrente bekommen seltener Reha-Maßnahmen der Rentenversicherung als Beschäftigte mit vergleichbaren Gesundheitsproblemen.

Rund ein Drittel der Erwerbsminderungsrentner, die zuletzt stabil beschäftigt oder nur vorübergehend arbeitslos waren, erhält gleich ein Ruhegeld – ohne vorher an einem medizinischen Reha-Programm der Gesetzlichen Rentenversicherung teilgenommen zu haben. Aber bei zwei Dritteln kommt der im Sozialgesetzbuch verankerte Grundsatz „Reha vor Rente“ zum Zug, selbst wenn es sich später als unmöglich erwiesen hat, die Erwerbsfähigkeit wieder herzustellen. Hingegen haben 60 Prozent der Erwerbsgeminderten, die schon Jahre vor ihrer Erwerbsminderung ohne Job waren, keine Reha-Maßnahme erhalten. 2004 waren es erst 50 Prozent. Das zeigen Berechnungen des Rentenexperten Martin Brussig vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ).

Dass Langzeitbeschäftigungslosen seltener Reha-Programme zugestanden werden, kompensiert die Rentenversicherung Brussig zufolge nicht durch eine großzügigere Bewilligung von Erwerbsminderungsrente. Wer gesundheitlich anhaltend beeinträchtigt ist und lange beschäftigungslos war, scheint „öfter als andere zwischen die Sicherungsnetze, die durch Rehabilitation und Erwerbsminderungsrente aufgespannt sind, zu fallen“, schreibt der Wissenschaftler im aktuellen Altersübergangsreport. Es gibt kaum Anzeichen dafür, dass die Arbeitsagentur, die als alternativer Kostenträger in Frage käme, die entstehenden Lücken vollständig schließt. All dies dürfte „zu dem hohen Anteil gesundheitlich Leistungsgeminderter unter den Arbeitslosen beitragen“, so Brussig.

Der IAQ-Forscher geht davon aus, dass die Bewilligungschancen von Reha-Anträgen mit den individuellen Arbeitsmarktaussichten zusammenhängen: Wer erwerbsgemindert und ohne Job ist, müsse nicht nur wieder gesund werden, sondern auch noch einen neuen Arbeitsplatz finden. Zudem sei das Erwerbsinteresse von Langzeitbeschäftigungslosen mit schlechter körperlicher Verfassung häufig nicht mehr sehr ausgeprägt – viele sehen sich selbst bereits mehr als Rentner denn als Arbeitsuchende, wie andere Studien zeigen.

Insgesamt war 2010 ein gutes Viertel der Neuzugänge in die Erwerbsminderungsrente vorher langzeitbeschäftigungslos. Nur ein Drittel kam aus einer stabilen Beschäftigung.

TEXTBOX

Erwerbsminderungsrente: Kein Ventil für den Arbeitsmarkt

Welchen Einfluss hat die Lage am Arbeitsmarkt auf Anträge und Bewilligungen von Erwerbsminderungsrenten? Dieser Frage ist der IAQ-Forscher Martin Brussig mithilfe von Regionaldaten der Rentenversicherung nachgegangen. Bei dieser für Deutschland erstmals vorgelegten Regionalanalyse zeigen sich erhebliche Differenzen. Während in Mecklenburg-Vor­pommern jährlich mehr als zehn Menschen je 1.000 Sozialversicherte in Erwerbsminderungsrente gehen, sind es im Raum Stuttgart nur gut drei. Daraus den Schluss zu ziehen, dass in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit schneller eine Erwerbsminderungsrente bewilligt werde, greife aber zu kurz, betont der Wissenschaftler. Seine Berechnungen zeigen zwar einen Zusammenhang zwischen regionaler Arbeitslosenquote und der Zahl der bewilligten Erwerbsminderungsrenten. Allerdings ist er nicht besonders stark. Um die regionale Streuung befriedigend erklären zu können, wären Brussig zufolge weitere Untersuchungen nötig. Jedenfalls sei „die Erwerbsminderungsrente in Deutschland kein relevanter Weg einer arbeitsmarktgetrieben Frühverrentung“. In Deutschland seien viele Menschen mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit arbeitslos, die in anderen Ländern eine Erwerbsminderungsrente oder eine andere Sozialleistung mit ähnlicher Funktion bekämen.

  • Rehabilitationsprogramme zur Wiederbelebung der Erwerbsfähigkeit sind nicht immer erfolgreich. Bei der Mehrheit Langzeitbeschäftigungslosen geht der Erwerbsminderungsrente jedoch gar kein Reha-Versuch voraus. Zur Grafik

Martin Brussig: Erwerbsminderung und Arbeitsmarkt, Altersübergangsreport 4/2012.

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