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Magazin Mitbestimmung

Bundesregierung: Kritik von allen Seiten

Ausgabe 10/2012

Die Zusatzrente, wie sie Ministerin Ursula von der Leyen vorschlägt, würde kaum jemandem nützen. Die Anforderungen sind zu streng. Von Susanne Kailitz

Viel hat sich Ministerin von der Leyen in den letzen Monaten und Wochen über ihre Reformpläne anhören müssen. Ihr Rentenpaket enthielt ursprünglich sieben Bausteine, darunter Regelungen für verbesserte Erwerbsminderungsrenten, eine einfachere Kombination von Arbeit und Rente, ein verändertes Reha-Budget und verbraucherfreundlichere Riester-Renten. Diskutiert wurden vor allem zwei Vorschläge: die Zuschussrente für Geringverdiener und die obligatorische Altersvorsorge Selbstständiger. Die Zuschussrente, also gerade der Vorschlag, der sich am sozialsten anhörte, wird nun zerpflückt. Der Vizepräsident des Sozialverbandes VdK, Roland Sing, erklärte, die Vorschläge seien „kein Ansatz, um die drohende Altersarmut zu beseitigen“. Die Zuschussrente sei „ungerecht, falsch finanziert, bürokratisch, teuer und zur Bekämpfung von Altersarmut ungeeignet“, erklärte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt.

Auch die Parteien reagierten ablehnend. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast wetterte gegen die „Von-der-Leyen-Show“, die SPD-Linke kritisierte die Pläne von der Leyens als unzureichend – um dann festzustellen, dass der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel kurze Zeit später ein ähnliches Modell vorstellte. Sein Modell, ließ er verlauten, würde allerdings komplett über Steuern finanziert, mithin auf eine breitere Grundlage gestellt. Darum gab es Lob von der Arbeitsministerin, was wiederum für Ärger in der Regierungskoalition sorgte. FDP-Generalsekretär Patrick Döring warf von der Leyen „schäbige Spielchen“ und einen Flirt mit der SPD vor. Sein Fraktionschef Rainer Brüderle schloss die Zustimmung seiner Fraktion zur Zuschussrente ebenfalls strikt aus. Das Argument: Davon stehe nichts im Koalitionsvertrag.

EINE REFORM WÄRE BITTER NÖTIG

Die Grundidee hinter der Zusatzrente ist, dass Niedrigverdiener, die ihr Leben lang gearbeitet und vorgesorgt haben, im Alter besser dastehen als jene, die im Erwerbsleben keinen Grundstock fürs Alter gebildet oder sich gar nicht um ihre Alterssicherung gekümmert haben. Aus dem Ministerium heißt es dazu, es müsse für die Höhe der Rente „einen Unterschied machen, ob jemand jahrzehntelang Beiträge gezahlt und vorgesorgt hat oder nicht“. In einer Anfangsphase sollen Menschen Zugang zur Zuschussrente haben, die mindestens 40 Versicherungsjahre, also alle rentenrechtlichen Zeiten wie etwa Beschäftigung, Ausbildung, Studium, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Mutterschutz, und 30 Beitragsjahre aus Beschäftigung, Kindererziehung oder Pflege vorweisen können.

Ab dem Jahr 2023 sollen die Anforderungen steigen: Dann sind 45 Versicherungsjahre und 35 Beitragsjahre nötig. Wer in all dieser Zeit zu Niedriglöhnen gearbeitet hat und daher nur eine geringe Rente bekommt, für den soll unter strengen, allem Anschein nach zu strengen Voraussetzungen die Rente auf maximal 850 Euro aufgestockt werden. Damit will von der Leyen „Leistung vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Arbeitswelt und Gesellschaft in der Rente gerecht“ belohnen. Wer als Geringverdiener ein Leben lang gearbeitet habe, schaffe es oft nicht, eine Rente zu verdienen, die über der Grundsicherung liege: „Das ist ungerecht, da müssen wir nachbessern.“ Die Ministerin warnte, ohne Zusatzvorsorge drohe Beitragszahlern mit weniger als 2500 Euro brutto im Jahr 2030 eine Rente auf dem Niveau der Grundsicherung von 688 Euro. Doch Experten zweifelten diese Zahlen an. Der Verdacht: In der Berechnung stecke trotz eines wahren Kerns eine gute Portion Alarmismus. Der Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung, Franz Ruland, bemängelte, dass diese Zahlen weder die in Zukunft längere Lebensarbeitszeit berücksichtigten noch die private und betriebliche Altersvorsorge. Diese soll aber nach dem Willen von der Leyens sogar Voraussetzung für den Erhalt der Zuschussrente sein. Dass eine Rentenreform dringend nötig ist, wird der Arbeitsministerin jedoch von mehreren Seiten bescheinigt.

Heute sind etwa zwei Prozent aller Deutschen im Rentenalter auf die Grundsicherung angewiesen. Doch für die Zukunft rechnen fast alle Experten mit steigenden Zahlen. Eric Seils, Sozialversicherungsexperte am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, hat ausgerechnet, dass heute 13,3 Prozent der Personen über 65 Jahren armutsgefährdet sind – das heißt, dass sie weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Im vergangenen Jahr waren das für Alleinstehende 848 Euro im Monat. Die Quote liegt noch etwas unter dem Durchschnitt aller Altersgruppen. Dieser betrug 15,1 Prozent. Doch seit 2005 hat diese Quote unter Senioren deutlich stärker zugenommen als bei Jüngeren – ein erstes Alarmsignal. Auch eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die den staatlichen Schutz vor Altersarmut in Europa vergleicht, zieht eine kritische Bilanz des deutschen Rentensystems – dieses sei „nur unzureichend auf atypische Beschäftigungsverhältnisse und weitere Flexibilisierungstendenzen“ eingestellt. Davon seien besonders Frauen betroffen. „Seit Jahren warnt die IG Metall vor der Gefahr drohender Altersarmut“, erklärt Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied und Sozialexperte der Gewerkschaft. Die Vorschläge der CDU-Ministerin für eine Zuschussrente seien jedoch kein Beitrag zur Lösung der Probleme. „Frau von der Leyen ruft ‚Feuer‘, hat aber kein Wasser zum Löschen, sondern nur den Brandbeschleuniger ‚Rente mit 67‘.“

DAS KONZEPT WIRD NOCH MODIFIZIERT

Die Pläne für eine Zusatzrente sind auch bei den Liberalen und Teilen der CDU, insbesondere der Jungen Union unbeliebt – wenngleich aus ganz anderen Gründen. Diese Kritiker, die eher der Regierungsbank nahestehen, wenden ein, dass eine solche Rente mit einem Grundprinzip der Rentenversicherung breche: dem Äquivalenzprinzip, das besagt, dass sich die Höhe der Altersbezüge nach den gezahlten Beiträgen richtet. In einem Positionspapier der Jungen Union heißt es, eine über Beitragsmittel finanzierte Mindestrente führe das Prinzip ad absurdum: „Es ist unfair für diejenigen, die sich selbst eine Rente von 1000 Euro erarbeitet haben, wenn kleine Renten mit ihren Beiträgen auf 850 Euro aufgestockt werden.“ Sie argumentieren, der jüngeren Generation würde zu viel aufgebürdet, und die Sozial- und die Rentenpolitik würden in unangemessener Weise miteinander verquickt. Die meisten Liberalen wollen gar keine Mindestrente jenseits der Grundsicherung.

Eigentlich hätte das Bundeskabinett schon Ende August dieses Jahres das neue Rentenpaket absegnen sollen. Doch angesichts der massiven Kritik auch aus Union und FDP blieb bei der Sitzung im Kanzleramt von den sieben Bausteinen des Vorhabens am Ende nur einer übrig: So sollen zum 1. Januar 2013 die Rentenbeiträge von derzeit 19,6 Prozent auf voraussichtlich 19 Prozent sinken. Welche Zahl am Ende im Gesetz stehen wird, entscheidet sich erst in diesem Monat. Dann rechnet der Schätzerkreis der Rentenversicherung aus, wie viel Spielraum es angesichts der guten Arbeitsmarktentwicklung und sprudelnder Einnahmen gibt – Experten halten auch einen Satz von 18,9 Prozent für möglich. Für die Beitragszahler bedeutet das im Schnitt eine Ersparnis von sieben bis acht Euro monatlich.

Die Ministerin wird diesen Gesetzentwurf als Erfolg verkaufen. Dabei folgt er lediglich einem Automatismus der Rentenversicherung, nach dem die Beiträge sinken müssen, wenn die Rücklagen einen bestimmten Wert überschreiten. Dass alles kommt, wie geplant, ist allerdings längst nicht ausgemacht: Der Bundesrat kann das Projekt noch stoppen, wenn sich zwei Drittel der Länder dagegen aussprechen. Ein Scheitern des Projekts ist also nicht ausgeschlossen. Doch die Arbeits- und Sozialministerin bleibt kämpferisch. Sie werde auch weiter „gegen die drohende Welle der Altersarmut in der Zukunft“ arbeiten, ließ sie im Anschluss an die Kabinettssitzung im August wissen – und erklärte damit den Kritikern innerhalb der Koalition den Kampf: „Ich erwarte bis Ende Oktober eine positive Entscheidung innerhalb der Koalition über die Zuschussrente.“ Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat unterdessen schon verkünden lassen, das Konzept der Arbeitsministerin werde „sicherlich Modifikationen bekommen“.   

Zusatzrente

Das CDU-Konzept: Die CDU will die Renten langjähriger Niedriglöhner bis auf maximal 850 Euro aufstocken. Diesen Betrag soll jeder erhalten, der mindestens 35 Beitragsjahre vorweisen kann, zudem privat vorgesorgt hat und trotzdem mit seiner Rente nicht über die Grundsicherung hinauskommt. Er erhält dann den Rentenzuschuss und darf die Zahlungen aus der privaten Vorsorge behalten. Von der Leyen will auch Kindererziehungszeiten und Pflegezeiten anrechnen. Finanziert werden soll das bis 2025 mit einem Mix aus Beitrags- und Steuergeldern, danach allein aus Steuergeldern.

Das SPD-Konzept: Auch die SPD will jedem Arbeitnehmer eine Mindestrente von 850 Euro garantieren – allerdings schon dann, wenn er 30 Jahre lang Beiträge gezahlt hat. Der Zuschlag soll komplett aus Steuermitteln finanziert werden. Wer die Mindestrente beansprucht, darf dann nicht zusätzlich Geld aus der privaten Vorsorge kassieren. Möglich wird der Renteneintritt nach 45 Versicherungsjahren, unabhängig vom tatsächlichen Alter. Unabhängig von der Zusatzrente soll für Arbeitnehmer eine obligatorische Betriebsrente eingeführt werden, die staatlich bezuschusst wird. 

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