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Magazin Mitbestimmung

Übernahme: Wenn Kommunisten einkaufen gehen

Ausgabe 07+08/2012

Die Beschäftigten des Baumaschinenherstellers Putzmeister waren geschockt, als die Firma Anfang 2012 an die chinesische Sany Group verkauft wurde. Unterstützt von Protesten, konnte die IG Metall einen Tarifvertrag zur Beschäftigungs- und Standortsicherung aushandeln. Von Gesa von Leesen

„Das war ein Überraschungserfolg.“ Gerhard Schamber, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates der Putzmeister Holding GmbH freut sich noch heute über den im April abgeschlossenen Tarifvertrag zur Beschäftigungs- und Standortsicherung. Neben dem Schutz vor verkaufsbedingten Kündigungen und der Standortgarantie bis 2020 wurde darin auch die weltweite Verteilung des Baumaschinenmarktes zwischen Putzmeister und dem Baumaschinenhersteller Sany festgeschrieben. Für Sieghard Bender, den Bevollmächtigten der für Putzmeister zuständigen IG Metall Esslingen, ist der Tarifvertrag wegweisend: „Wir werden in Zukunft sicherlich häufiger mit chinesischen Investoren zu tun haben, denn China betreibt eine langfristig angelegte Industriepolitik, bei der der deutsche Maschinenbau eine wichtige Rolle spielt.“

Der Verkauf der Putzmeister Holding mit 1200 Beschäftigten an den chinesischen Sany-Konzern Ende Januar schlug bundesweit Wellen. Erstmals hatte ein chinesischer Großkonzern einen gesunden deutschen Technologie-Weltmarktführer komplett erstanden. Putzmeister-Betonpumpen sind bekannt. Sie kommen weltweit beim Bau von Hochhäusern zum Einsatz, da sie Beton bis in 60 Meter Höhe pumpen können. In Fukushima wurden sie zur Kühlung der Atomkraftwerksruine eingesetzt. Die Beschäftigten – etwa 800 im Stammhaus in Aichtal bei Stuttgart und 400 im hessischen Gründau – sind stolz auf ihr Produkt, das Firmengründer Karl Schlecht entwickelt hat. Viele verehrten ihren 70-jährigen Chef, der lange als schwäbischer Vorzeigetüftler und -unternehmer galt. Dass ausgerechnet er den Betrieb über Nacht an einen Chinesen verkaufte und dass man dies aus der Zeitung an einem Samstagmorgen erfuhr, traf Belegschaft, Betriebsrat und Gewerkschaft wie ein Blitzschlag. Betriebsratschef Schamber: „Das war eine Sauerei ohnegleichen.“ Auf einer umgehend einberufenen Krisensitzung organisierten Betriebsrat und IG Metall binnen zweier Tage den ersten Protest: Für Montagmorgen wurden die Putzmeister-Frauen und -Männer vor das Werkstor gerufen – vor der Infoveranstaltung der Geschäftsleitung. Schamber: „Wir wollten schnell zeigen, dass wir uns auf kein Larifari mit der Geschäftsführung einlassen.“

Mehrere Hundert Kolleginnen und Kollegen folgten dem Protestaufruf. Vielen stand die Wut ins Gesicht geschrieben. „Das ist demütigend, so was aus der Zeitung zu erfahren. Die haben uns schließlich mitverkauft“, sagte eine Mitarbeiterin, während sie den Reden lauschte, in denen Betriebsrat Schamber und IG-Metall-Chef Bender klarstellten: Der Verkauf werde nicht einfach hingenommen, man fordere Sicherheit für die Arbeitsplätze.

JOBS GESICHERT, WELTMARKT AUFGETEILT

Der Sany-Konzern ist ein gut aufgestelltes Unternehmen. 2011 sorgten 70 000 Mitarbeiter in 150 Ländern mit dem Bau und Verkauf von Baumaschinen für einen Umsatz von fünf Milliarden Euro. Sany-Gründer und -Eigentümer Liang Wengen ist laut dem amerikanischen Wirtschaftsmagazin Forbes mit sieben Milliarden Euro der reichste Privatmann Chinas. Der 55-Jährige ist Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) und soll nach Zeitungsberichten als erster Privatunternehmer überhaupt im Herbst ins Zentralkomitee der KPCh aufsteigen. Auch das schürte bei Putzmeister Unsicherheit. Ein chinesischer Großkonzern mit kommunistischem Chef kauft für 520 Millionen Euro ein schwäbisches mittelständisches Familienunternehmen mit einem Jahresumsatz von zuletzt 575 Millionen Euro – wie sollen diese unterschiedlichen Kulturen miteinander klarkommen? Wollen die Chinesen das Know-how abziehen? Wollen sie ihren direkten Konkurrenten vom Weltmarkt verbannen?

Bei der morgendlichen Kundgebung vor dem Tor riefen Bender und Schamber den Geschäftsführer von Putzmeister Norbert Scheuch zu umgehenden Verhandlungen auf. Der wollte erst nicht. „Ich verstehe die Ängste der Belegschaft“, erklärte Scheuch damals. „Aber die sind unbegründet.“ Kurz darauf hieß es dann: Man könne verhandeln, aber eine Arbeitsplatzsicherung bis 2020 sei viel zu lang. Dann kam der Umschwung. Plötzlich fanden Bender und Schamber sich in Verhandlungen wieder, in denen die Geschäftsleitung sich ausgesprochen offen zeigte. Nach wenigen Wochen stand der Tarifvertrag. Danach darf bis 2020 niemand entlassen werden, weil zum Beispiel ein Produkt von Putzmeister zu Sany verlagert wird. Sollten aber wegen einer Wirtschaftskrise Aufträge wegbrechen, könnte Personal abgebaut werden. Zumindest theoretisch. Denn es wurde auch festgehalten, was getan werden muss, bevor Leute vor die Tür gesetzt werden können: Kurzarbeit, Fortbildungsangebote, Arbeitszeitverkürzungen mit Lohnzuschlägen. Betriebsrat und IG Metall nutzten die Verhandlungen zudem, um die Ausbildung zu sichern. Die Ausbildungsquote steigt von 4,5 auf fünf Prozent, die Ausgebildeten werden in der Regel unbefristet übernommen – ein Novum für den nicht tarifgebundenen Betrieb. Die Quote für Leiharbeiter wurde auf sieben Prozent begrenzt, sie erhalten das gleiche Grundgehalt wie Festangestellte und werden nach einer bestimmten Zeit – zunächst befristet – eingestellt.

Ein Novum für den örtlichen IG-Metall-Chef Bender ist die tarifvertragliche Festschreibung der Produktpolitik: Montage und Fertigung von Betonpumpen werden in Aichtal und Gründau bleiben. Man vereinbarte zudem, Putzmeister werde generell zuständig für Betonpumpen auf allen Märkten außerhalb Chinas und Zentralafrikas sein. Bender: „Dass wir das in den Vertrag bekommen, hatte ich nicht erwartet. Allerdings muss man sehen, dass dies natürlich auch der Geschäftsleitung in Aichtal entgegenkommt. Unsere Interessen haben sich überschnitten.“ Schließlich könne der Geschäftsführer nur Geschäftsführer bleiben, wenn auch Putzmeister bestehen bleibe. Anweisungen aus China habe Scheuch für die Verhandlungen wohl nicht bekommen, meint Schamber. „Aber es gab von dort klare Signale: Der Putzmeister-Deal muss unter allen Umständen ein Erfolg werden. Schlechte Presse war nicht erwünscht.“ Entsprechend prophezeite Sany-Boss Liang Wengen bei einer großen Pressekonferenz im April bei Putzmeister: „Der Zusammenschluss von Sany und Putzmeister wird ein Vorbild der Zusammenarbeit zwischen chinesischen und deutschen Unternehmen sein.“

PLANVOLLES UND STRATEGISCHES INVESTMENT

Der Kauf von Putzmeister durch Sany zeigt exemplarisch, wie China strategische Industriepolitik betreibt. Der gesamte Baumaschinenmarkt befindet sich seit Jahren in einem Konzentrationsprozess. Putzmeister galt als „hidden champion“, als verborgener Meister im hochwertigen Maschinenbereich, ist in Industrieländern gut aufgestellt. Chinas großen Baumaschinenfirmen fällt es schwer, außerhalb des eigenen und des zentralafrikanischen Marktes Fuß zu fassen. Ihnen haftet das Image der Billigproduktion an. Seit einiger Zeit kaufen chinesische Firmen deshalb etablierte Firmen in Europa. 2008 erwarb das chinesische Staatsunternehmen Zoomlion den italienischen Baumaschinenhersteller CIFA. Beim deutschen Betonpumpenhersteller Schwing stieg kürzlich der chinesische Baumaschinenhersteller XCMG als Mehrheitseigner ein. „Mit Putzmeister ist Sany jetzt in der Lage, weltweit mit einem Komplettprogramm aufzutreten“, so Bender.

Der chinesische Staat fördere den Kauf ausländischer Unternehmen, erklärt Wan-Hsin Liu. Die Volkswirtin aus Taiwan arbeitet am Institut für Weltwirtschaft in Kiel und war im Frühsommer mehrere Wochen in China. Sie erklärt, dass im „Katalog für Industrien und Zielländer der Direktinvestitionen im Ausland“ des chinesischen Ministeriums für Handel Branchen vorgeschlagen werden, um die sich chinesische Unternehmen in bestimmten Ländern bemühen sollten. Danach ist Deutschland interessant für Maschinenbau, Werkzeugmaschinenbau, Chemie- und Pharma-Industrie. Wer hier investiere, könne mit Zuschüssen der chinesischen Regierung aus Förderfonds rechnen, so die Volkswirtin. Dahinter steht das Interesse Chinas, technologisch voranzukommen. Die Zeiten des Kaufens, um zu kopieren, seien vorbei, sagt Liu. Mit der Produktion von Billigware lässt sich nicht mehr das notwendige Wachstum erwirtschaften, um den Wohlstand der 1,3 Milliarden Einwohner zu erhöhen. Der aktuelle Fünfjahresplan sieht vor, die Ausbildung massiv zu fördern, und so verlassen derzeit etwa fünf Millionen junger Leute jährlich die Universitäten. Liu: „Inzwischen hat man erkannt, dass das Wissen nicht in den Produkten steckt, sondern in den Köpfen. Man will langfristig wirtschaften.“

KONTAKT ZU DEN KOLLEGEN IN CHINA

„Für unsere Firmen bedeutet das, sie müssen lernen, mit dem globalen technologischen Wettbewerb umzugehen“, meint Eberhard Sandschneider von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. Eine neue weltweite Arbeitsteilung sehe er durch Chinas Engagement noch nicht, aber: „In Europa hat man den fulminanten Wettbewerb, der da auf uns zukommt, noch nicht auf dem Schirm.“ Dieser werde sich allerdings vor allem um Marktanteile bei Rohstoffen drehen. Den Plan, auch technologisch führend zu werden, hält der Sinologe für schwierig: „Aktuell erleben wir vor dem Parteitag im Herbst eine heftige Personaldebatte. Wie sich China weiterentwickelt, ist nicht vorauszusagen. Das Land hat enorme innere Probleme, ökologische und soziale. Es gibt etwa 120 000 soziale Unruhen jährlich. Der Sturz der letzten Dynastie des Kaiserreichs wurde 1911 durch einen lokalen Aufstand eingeleitet – das wissen die heutigen Machthaber ganz genau.“

Einen spontanen Streik habe es auch in der Putzmeister-Niederlassung in China gegeben, als der Verkauf publik geworden war, berichtet Betriebsrat Schamber. „Die hatten Angst, dass Putzmeister China geschlossen wird.“ Nach Verhandlungen und Versicherungen, dass Putzmeister bleiben werde, hätten die chinesischen Arbeiter schließlich eine Sonderzahlung erhalten und seien wieder an die Arbeit gegangen. Schamber: „Da hatten wir kurz Kontakt mit einigen Kollegen, aber danach nicht mehr. Das ist schwierig, weil die ja keinen Betriebsrat oder eine Gewerkschaft haben, wie wir das kennen. Aber wir wollen Verbindung aufnehmen, das haben wir uns fürs Spätjahr vorgenommen.“ Bislang besteht Kontakt nach China nur auf Managementebene, immerhin ist Geschäftsführer Scheuch in den Vorstand des Sany-Konzerns aufgestiegen. Interkulturelle Seminare, wie sie für die Geschäftsführung angeboten werden, fordert der Betriebsrat nun auch für die Kollegen aus der Montage und dem Verkauf. Wenn demnächst Kollegen von Sany kommen, um Putzmeister kennenzulernen, ist das in Schambers Augen normal: „Wir sind ja jetzt ein Unternehmen.“ Der Alltag im Betrieb habe sich seit dem Verkauf nicht geändert, die Auftragslage sei hervorragend, man merke bereits, dass aus dem Ausland Aufträge kommen, die bislang Sany erhalten habe. „Wir suchen Mitarbeiter. Putzmeister wird wachsen.“ Und sollte es wieder zu einer Krise wie 2008/09 kommen, als Putzmeister die Hälfte der Aufträge einbüßte, sei der Betrieb mit dem neuen Besitzer besser aufgestellt, glaubt Schamber. „Mit dem alten war da nicht viel anzufangen, der wollte gleich entlassen. Mit einem Konzern kann man vielleicht einfacher verhandeln. Außerdem sind wir, die Belegschaft, professioneller geworden und wissen, wie wir unsere Interessen durchsetzen.“

INTERESSIERT AN DEUTSCHEM ORGANISATIONSTALENT

Auch Metaller Bender ist zufrieden mit der Entwicklung bei Putzmeister: „Mit Sany sind wir wahrscheinlich besser dran als mit irgendeinem Hedgefonds. Skeptisch bleibe ich trotzdem. Wenn die Chinesen wollen, können die unseren gesamten Maschinenbau aufkaufen.“ Er bewundere die strategisch ausgerichtete Industriepolitik Chinas: „Davon ist die deutsche Politik weit entfernt.“ Spannend sei der Verkauf von Putzmeister allemal, denn mit chinesischen Investoren habe er noch nicht zu tun gehabt, sagt der 58-Jährige und stellt fest: „Die Chinesen haben einen Heidenrespekt vor uns, vor unserer Technologie, vor unserem Organisationstalent.“ Bei einem Essen mit dem baden-württembergischen SPD-Wirtschaftsminister Nils Schmid habe er den Chef der Sany-Industriesparte Wenbo Xiang kurz kennengelernt. „Der hat sehr interessiert nach der Rolle der Gewerkschaften gefragt“, erinnert sich Bender. „Und er fand die Idee, in Branchen gleiche Löhne zu zahlen, damit der Preis der Produkte nicht über Lohndumping gedrückt wird, ziemlich einleuchtend.“

Text: Gesa von Leesen / Foto: Daniel Maurer/dapd

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