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Magazin Mitbestimmung

Arbeitswelt: Mehr Stress bei der Arbeit

Ausgabe 07+08/2012

Ein gemischtes Bild über die Arbeitsbedingungen in Europa zeichnet die neue Erhebung von Eurofound, der europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen. Während die Arbeitszeit sinkt, wachsen Arbeitsintensität und psychischer Druck. Von Guntram Doelfs

Bereits seit 1990 erforscht die EU-Stiftung mit Sitz im irischen Dublin im fünfjährigen Turnus die Arbeitsbedingungen in Europa. In dem nun vorgelegten fünften „European Working Conditions Survey“ befragten die Forscher 44 000 Arbeitnehmer und Selbstständige in 34 europäischen Ländern – in den 27 EU-Ländern sowie in Albanien, im Kosovo, in Kroatien, Montenegro, Mazedonien, Norwegen und der Türkei. Auch wenn die Studie selbst kein eindeutig negatives Bild zeichnet, ist ein Ergebnis ziemlich ernüchternd: Seit Beginn der Erhebungen haben sich die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten nach Auffassung der EU-Forscher nicht grundlegend verbessert, trotz einiger Verbesserungen im Detail. Dagegen ist die subjektive Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen mit erstaunlichen 80 Prozent über die letzten 20 Jahre sehr konstant geblieben. Relativierend weisen die Forscher darauf hin, dass Zufriedenheit nicht als Indikator für gute Arbeitsbedingungen angesehen werden könne, denn neben objektiven Faktoren werde die Zufriedenheit stark geprägt auch von persönlichen und kulturellen Dispositionen. Will sagen: Hohe Zufriedenheitsgrade setzen nicht notwendigerweise gute Arbeitsbedingungen voraus.

Zu den Fortschritten zählt die Studie den Rückgang der durchschnittlichen Arbeitszeit. Sie reduzierte sich in der EU von 40,5 Stunden (1991, 12 Mitgliedstaaten) auf 37,5 (2010, 27 Mitgliedstaaten). Auch der Anteil der Beschäftigten, deren Arbeitswoche 48 oder mehr Stunden beträgt, sank von 18 auf zwölf Prozent, gleichzeitig stieg die Teilzeitarbeit stark von 17 auf 27 Prozent an. Etwas gesunken ist das Arbeiten zu untypischen Zeiten, etwa an den Wochenenden. Dennoch: 2010 arbeiteten 23 Prozent aller Arbeitnehmer an mindestens drei Sonnabenden im Monat, für zehn Prozent galt das auch für die Sonntage.

Keinerlei Fortschritt registrierten die Forscher hingegen bei den gesundheitlichen Risiken, im Gegenteil. Während bei den körperlichen Arbeitsrisiken das Niveau nahezu unverändert geblieben ist, wachsen die psychosozialen Risiken beständig an. Beispiel Arbeitsintensität: Immerhin 62 Prozent aller Befragten arbeiten unter engen Zeitvorgaben, 59 Prozent sogar mit hohem Tempo („high speed“). „Unsere Ergebnisse ergeben durchaus Anlass für Besorgnis“, schreiben die Autoren. Inzwischen klagt auch fast ein Fünftel aller Erwerbstätigen darüber, Job und Privatleben nicht mehr unter einen Hut zu bekommen.

ÜBEREINSTIMMUNG MIT NATIONALEN BEFUNDEN

Trotz des Ansteigens der Arbeitsintensität sinkt die Autonomie im Arbeitsprozess besonders für Erwerbstätige mit niedrigem Qualifikationsniveau weiter ab. Analog dazu stehen die Chancen, sich am Arbeitsplatz weiterzuqualifizieren. Auch dort gilt: Je höher die Qualifikation und das Jobniveau, desto eher besteht die Möglichkeit zur Weiterqualifizierung. Ein beachtlicher Teil der Beschäftigten insbesondere im Finanzdienstleistungssektor sowie in den sozialen Berufen betont, dass weitere Qualifizierung benötigt würde, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Alle diese Faktoren führen mit dazu, dass inzwischen rund 20 Prozent aller Befragten mit psychischen Problemen kämpfen. Besonders ausgeprägt ist dieser Trend vor allem im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Bildungssektor. Überraschend sind diese Ergebnisse allerdings nicht; sie decken sich mit jenen von vielen nationalen Erhebungen.

Dass statistische Durchschnittswerte den Blick auf die Wirklichkeit allerdings auch trüben können, zeigt etwa die Frage an Erwerbstätige, ob sie glauben, auch noch mit 60 Jahren oder älter ihren Job ausführen zu können. Im Durchschnitt beantworteten dies 59 Prozent mit Ja. Differenziert man jedoch die Angaben nach Berufsgruppen, Sektoren und Ländern, variieren die Zahlen erheblich. Manager, Akademiker, viele Selbstständige liegen deutlich darüber, Beschäftigte mit körperlich anstrengenden Jobs deutlich darunter. Für Erika Mezger, stellvertretende Direktorin von Eurofound, ist das ein klares Indiz, dass „wir angesichts der europaweiten Debatte um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit viel stärker über eine Verbesserung der Qualität der Arbeit nachdenken müssen.“

Text: Guntram Doelfs, Journalist in Berlin / Foto: Ute Grabowsky/photothek.net

Eurofound: Eine europäische Stiftung

Gegründet wurde die Einrichtung 1975 von der EU, damals Europäische Gemeinschaft, als „European Foundation for the Improvement of Living und Working Conditions“, als Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, kurz Eurofound. Zu ihren Aufgaben gehört es, europaweit die Lebens- und Arbeitsbedingungen zu analysieren und zu bewerten. Ziel ist es, zur Verbesserung der Lebensqualität in Europa beizutragen. Die Verwaltungsstruktur von Eurofound ist tripartistisch, im Verwaltungsrat sitzen zu je einem Drittel Vertreter der europäischen Arbeitgeberverbände, der Gewerkschaften sowie der nationalen Regierungen. Jedes der aktuell 27 Mitgliedsländer der EU entsendet damit drei Mitglieder in den Verwaltungsrat. Als vierter Akteur ist die Europäische Kommission mit dabei. Die Stiftung wird vollständig aus Steuergeldern finanziert und hat ihren Sitz in der irischen Hauptstadt Dublin. Derzeit zählt die Stiftung rund 100 Beschäftigte, davon 40 wissenschaftliche Mitarbeiter.

Mehr zu Eurofound und den Ergebnissen der aktuellen Erhebung gibt es auf der Internetseite von Eurofound.

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