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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Zu hoher Diplomatie verpflichtet“

Ausgabe 07+08/2012

Erika Mezger, stellvertretende Direktorin der Eurofound, erläutert im Interview wie europaweite Forschungskooperationen funktionieren und welche politischen Trends derzeit zu erkennen sind.

Fast alle EU-Staaten planen eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Lässt sich dieses Projekt mit den jüngsten eurofound-Daten untermauern?
Unsere aktuelle Erhebung zeigt, dass ein Großteil der Erwerbstätigen sich kaum vorstellen kann, im derzeitigen Job bis zum 60. Lebensjahr durchzuhalten. Wenn also das Rentenalter heraufgesetzt werden soll, dann müssen mehr Anstrengungen unternommen werden, um die Qualität der Arbeit zu verbessern.

Wie stark stehen Europas Arbeitnehmer angesichts der Wirtschaftskrise in vielen Ländern der EU unter Druck?
Die Studie bestätigt die Polarisierung am Arbeitsmarkt in vielen Aspekten – etwa durch die Zunahme von prekärer Beschäftigung oder die weiterhin vorhandenen Nachteile für Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Die Mittelklasse ist eindeutig unter Druck, wenn auch in unterschiedlicher Form in den 34 Ländern.

Haben Erkenntnisse von Eurofound Einfluss auf die EU-Politik?
Eurofound soll zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Europa beitragen. Dazu haben wir den Auftrag, politische Akteure auf europäischer Ebene mit guten und zugleich neutralen Daten zu versorgen. Wir verstehen uns dabei als unabhängige, wissenschaftsgestützte Politikberatung. Bei wichtigen Untersuchungen präsentieren wir die Ergebnisse in den zuständigen Ausschüssen des EU-Parlaments. So gehörten die Europa-Abgeordneten zu den Ersten, denen wir eine Analyse des aktuellen Survey vorgestellt haben. Doch die Frage konkreter Empfehlungen führt immer wieder zu Diskussionen. Formal sollen wir politische Optionen und Handlungspfade anbieten. Wir sind, auch sprachlich, zu hoher Diplomatie verpflichtet, eben weil es bei sensiblen Themen meist unterschiedliche Einschätzungen gibt.

Wie sieht die Arbeit der Stiftung im Detail aus?
Unser Kerngeschäft ist die Forschung über Lebens- und Arbeitsbedingungen in der EU. Dazu erstellen wir regelmäßig Analysen mittels eigener Beobachtungsinstrumente. Dazu zählen das „European Industrial Relations Observatory“ sowie das „European Working Conditions Observatory“, wo wir auf europäischer Ebene das machen, was das WSI-Tarifarchiv in Deutschland macht. Wir haben ein Netz nationaler Korrespondenten, die regelmäßig an uns berichten – für Deutschland hat dies ein Konsortium aus WSI und IW, dem Institut der deutschen Wirtschaft, übernommen. Hinzu kommen regelmäßige Erhebungen zu Arbeitsbedingungen, Lebensqualität und zur Restrukturierung in Unternehmen.

Eurofound konkurriert mit diesen Datenerhebungen mit nationalen Forschungsinstituten. warum konzentriert sich die Stiftung nicht stärker darauf, die nationalen Ergebnisse zusammenzuführen und europäisch vergleichend auszuwerten?
Wir konkurrieren nicht, sondern kooperieren mit nationalen Instituten im „Network of European Observatories“. So können wir sicherstellen, dass unsere europäisch vergleichende Perspektive mit nationalen Datensätzen angereichert wird. Unser Jahresbudget beträgt rund 20 Millionen Euro, davon gehen etwa acht Millionen in die Forschung und Forschungsförderung. Das ist ein vergleichsweise kleiner Etat. Auch aus diesem Grund müssen wir in Zukunft einen verbesserten Datenaustausch hinbekommen. Immer schon werten wir Daten auf nationaler Ebene aus und beziehen sie in unsere Analysen ein, und selbstverständlich kooperieren wir in einzelnen Themenfeldern mit nationalen Instituten. Ein Beispiel dafür ist der Themenbereich altersgerechtes Arbeiten und demografischer Wandel, wo wir seit vielen Jahren mit dem Institut für Gerontologie an der TU Dortmund zusammenarbeiten. Momentan arbeiten wir auch daran, unsere Daten mit denen des Europäischen Gewerkschaftsinstitutes sowie des Arbeitgeberverbands Business Europe zu synchronisieren.

Arbeitgeber, Gewerkschaften und Politik gemeinsam in einer Organisation – wie schwierig ist es da, zu gemeinsamen Ergebnissen zu gelangen?
Das hängt vom Thema ab. Gut gelungen ist es zum Beispiel beim Thema Jugendarbeitslosigkeit. Da gibt es inzwischen ein gemeinsames Programm der Sozialpartner.

Die Fragen stellte Guntram Doelfs / Foto: Juha Roininen/EUP-Images

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