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Magazin Mitbestimmung

Mein Arbeitsplatz: Stricken im Burgdorf

Ausgabe 07+08/2012

Stella Salvatelli, 56, bedient beim italienischen Kaschmirfabrikanten Brunello Cucinelli handbetriebene Strickmaschinen. Stella und ihre Kolleginnen fertigen in dem mittelalterlichen Burgdorf Solomeo bei Perugia die Prototypen für die Kollektionen.

Piazza Alberto dalla Chiesa, 06073 Solomeo „Mein Arbeitsplatz liegt in einer kleinen Werkhalle in einem der antiken Steinhäuser von Solomeo. In meinen Händen kommen zum ersten Mal die Schnittmodelle aus der Design-Abteilung und das Kaschmirgarn zusammen. Ich arbeite gerade an einem Abendkleid. Ich stricke den Kragen, der gleichzeitig die bereits fertigen Einzelteile nahtlos verbindet. Dafür hake ich Masche für Masche in die Nadeln der Maschine ein. Dann bewege ich mit der Hand langsam den Schieber mit dem Faden hin und her. Bei jeder Bewegung entsteht eine Reihe. Bei diesem Modell muss ich besonders vorsichtig sein, denn in das Garn sind Pailletten eingearbeitet. Wenn eine hängen bleibt, bildet sich ein Loch im Gestrick.

Ich mache meine Arbeit nach all den Jahren immer noch gern. Ich kenne meine Strickmaschine in- und auswendig. Es ist eine ganz andere Arbeit als an einer computergesteuerten Maschine. Man muss sich zwar sehr konzentrieren und bekommt davon manchmal auch Kopfschmerzen, aber jedes neue Strickmodell ist auch eine neue Herausforderung. In meinen Händen entsteht ein schönes Kleid, das es vorher nur auf dem Papier gegeben hat. Nach der Qualitätskontrolle kommt es zu einem externen Produzenten und wird dann genau so nachgestrickt, wie ich es vorgearbeitet habe. Die Kleider liegen in Boutiquen in den teuersten Flanierstraßen der Welt aus. Das macht mich manchmal richtig stolz.

Ich verdiene rund 1000 Euro im Monat. Viele Textilarbeiterinnen in Italien bekommen weniger. Wir arbeiten in einer schönen Umgebung, und hier im Borgo Solomeo, wo außer der Fertigung der Proto­typen auch das Design-Studio, die Qualitätskontrolle und die Verwaltung untergebracht sind, kennen wir uns fast alle untereinander. Ein Problem ist aber, dass es in meinem Beruf kaum Nachwuchs gibt. Es gibt in Italien nur noch wenige Strickwarenfabrikanten, die meisten produzieren inzwischen in China oder anderswo. Das tut mir leid, denn in der nächsten Generation wird es meinen Arbeitsplatz wahrscheinlich nicht mehr geben.“

Textdokumentation und Foto: Michaela Namuth

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