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HBS Böckler Impuls

Tarifrecht: Leiharbeit: Mehr Mitbestimmung rechtens

Ausgabe 09/2012

Leiharbeit ist dazu gedacht, Auftragsspitzen abzufedern. Damit Betriebe nicht weite Teile der Stammbelegschaft durch Leiharbeiter ersetzen, sollen Betriebsräte mehr Mitbestimmungsrechte erhalten. Diese wären auch erstreikbar, zeigt ein Gutachten.

Seit Dezember 2011 ist das „Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung“ um einen wichtigen Passus ergänzt worden: „Die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend“, heißt es nun. Seitdem beschäftigen sich deutsche Arbeitsgerichte mit der Frage, wie „vorübergehend“ zu definieren ist. Arbeitnehmervertreter setzen sich dafür ein, dass Leiharbeiter von dem Unternehmen eingestellt werden, an das sie für längere Zeit entliehen werden.

Bei den jüngsten Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie ging es auch darum, Betriebsräten Widerspruchsrechte einzuräumen, wenn der Anteil der Leiharbeiter an der Beschäftigtenzahl eine bestimmte Quote übersteigt. Eine Begrenzung der Leiharbeit dürfte im Interesse der Zeitarbeiter sein. Denn im Vergleich zu einer Festanstellung befindet sich ein Leiharbeitnehmer regelmäßig in einer schlechteren Position, erläutert Rüdiger Krause, Professor für Arbeitsrecht an der Georg-August-Universität Göttingen:

Zum einen muss er sich öfter in neue betriebliche Strukturen einarbeiten. Zum anderen kann er jederzeit aus diesen Strukturen wieder herausgerissen werden. Sein Arbeitsplatz ist unsicherer, sein Gehalt in der Regel niedriger als das seiner Kollegen aus der Stammbelegschaft, schreibt der Rechtswissenschaftler. Leiharbeit beeinträchtige darüber hinaus auch die Interessen der Festangestellten: Diesen werde „die eigene Ersetzbarkeit vor Augen geführt“, zudem werde ihre „Verhandlungsmacht geschwächt“, so der Jurist.

Tarifverträge dürfen Leiharbeit auf Entleiherseite eindämmen

Doch darf ein Tarifvertrag überhaupt mehr Mitbestimmung beim Einsatz von Leiharbeitern festschreiben? Oder würden erweiterte Rechte für den Betriebsrat die unternehmerische Freiheit auf unzulässige Weise beeinträchtigen? Mit diesen Fragen hat sich Krause in einem Gutachten für das Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht beschäftigt – und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Tarifverträge dürften sämtliche Regelungen enthalten, „die auf der Entleiherseite den Umfang der Leiharbeit unmittelbar oder mittelbar begrenzen wollen“. Dazu zählt Krause Höchstquoten, Höchstüberlassungszeiten, Übernahmepflichten und auch eine Erweiterung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats. Solche tariflichen Regelungen wären damit auch erstreikbar.

Hintergrund der Abwägung ist das im Grundgesetz garantierte Recht auf freie Berufsausübung beziehungsweise Unternehmensautonomie. Dieses verlange „lediglich, dass Unternehmen steuerungsfähig bleiben“, schreibt der Jura­professor. Die Unternehmensautonomie bleibe gewahrt, wenn etwaige Blockaden seitens des Betriebsrats über die Anrufung der Einigungsstelle, einer tariflichen Schlichtungsstelle oder eines Arbeitsgerichts aufgelöst werden können.

Zudem zielten die angestrebten Regelungen lediglich auf eine Eindämmung der Leiharbeit ab. Der Arbeitgeber sei keineswegs daran gehindert, seinen Arbeitskräftebedarf durch Festanstellungen oder befristete Einstellungen zu decken. „Auch wenn die dadurch eintretenden höheren wirtschaftlichen Belastungen nicht unterschätzt werden sollen, können sie doch als solche nicht zur Unzulässigkeit tarifvertraglicher Beschränkungen der Leiharbeit führen.“

Die Grundrechte der Verleiher bilden ebenfalls keine Schranke für tarifliche Bestimmungen zur Begrenzung des Umfangs der Leiharbeit, zeigt Krauses Analyse. Dasselbe gelte für die europarechtliche Dienstleistungsfreiheit. Auch im Spannungsverhältnis von Kartellrecht und Tarifautonomie sieht der Jurist weder auf deutscher noch auf europäischer Ebene Probleme: Alle firmentariflichen Bestimmungen seien kartellrechtlich unbedenklich, da sie lediglich die betrieblichen Handlungsmöglichkeiten einzelner Entleiher steuern.

„Verbandstarifverträge verstoßen jedenfalls dann nicht gegen das Kartellverbot, wenn sie sich eindeutig auf die
Regelung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen beschränken“, stellt Krause klar. Und dies sei bei mehr Mitbestimmung für den Betriebsrat in Sachen Leiharbeit eindeutig der Fall.

  • In Deutschland waren im Sommer 2011 rund 900.000 Menschen als Leiharbeiter tätig. Sie verdienen deutlich weniger als andere Beschäftigte. Zur Grafik

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