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Magazin Mitbestimmung

Marketing: Gelbe Klinkenputzer

Ausgabe 05/2012

Auf der Suche nach neuen Einnahmequellen erweitern Post und Postbank zunehmend ihre Produktpalette. Die Mitarbeiter sollen die neuen Produkte, etwa Zeitschriften-Abos und Stromverträge, verkaufen. Macht das ihre Arbeitsplätze sicherer? Von Jan-Martin Altgeld

Dieser Pilotversuch könnte Wellen schlagen. Darüber waren sich die Verantwortlichen der Postniederlassung im bayerischen Freising wohl im Klaren. Sonst hätten sie den Maulkorb, den Briefträger eigentlich gerne an bissigen Hunden sehen, wohl kaum kurzerhand ihren Zustellern verpasst. „Machen Sie bitte zu dem Test keine Aussagen gegenüber Redakteuren/Kunden, und leiten Sie Kundenkritik an uns weiter!“, heißt es in einem internen Schreiben der Deutschen Post AG an Mitarbeiter. Der Hintergrund: In einem zweiwöchigen Modellprojekt sollten Briefträger im Raum Freising den Hundehaltern unter den Postempfängern ein Freiexemplar der Zeitschrift „Dogs“ überreichen und sie auf die Möglichkeit eines Abonnements hinweisen. Noch zwei weitere Male, so fordert es eine interne schriftliche Richtlinie, sollten die Zusteller nachfragen, wie den Belieferten denn die Zeitschrift gefallen habe und ob bereits die beigefügte Abo-Karte ausgefüllt wurde. Die Zusteller sollten den Fortgang der Werbe­aktion penibel dokumentieren. Auf Karteikarten sollte der Erfolg der Hausbesuche festgehalten werden.

Eine ungewohnte Interpretation des vertrauensvollen Verhältnisses von Zusteller und Kunde. Oft sind Postzusteller über mehrere Jahrzehnte im selben Bezirk tätig und kennen die Belieferten mitunter gut. Der morgendliche Plausch mit dem Postboten gehört für viele zum Alltag, auch wenn dafür immer weniger Zeit bleibt. Die Kunden konnten sich bisher darauf verlassen, dass die Zusteller das Postgeheimnis wahrten und nicht etwa weitersagten, wer mal wieder eine Mahnung bekommen hat, wer einen Brief von der Kripo erhält oder Bescheide von der Agentur für Arbeit. Kurz: Postzusteller gelten als seriös. „Genau mit diesem Vertrauen kalkuliert das ‚Dogs‘-Projekt“, erklärt Hedwig Krimmer, ver.di-Sekretärin in Bayern und zuständig für Postdienste, Speditionen und Logistik. „Damit, dass ein Postzusteller – nicht irgendein Klinkenputzer – das aufgebaute Vertrauensverhältnis benutzt, um etwas zu vermitteln, was mit der Zustellung selbst erst mal nichts zu tun hat. Das spürt der Zusteller, das spürt der Empfänger, nur die Post spürt es leider nicht.“ Fürs Erste ist der Modellversuch beendet, die Post hat sich noch nicht erklärt, ob es weitere Anläufe geben soll.

Nach Angaben von ver.di Bayern zeigten sich viele Zusteller hinsichtlich ihrer neuen Aufgabe alles andere als begeistert. Öffentlich äußern mögen sich die allermeisten nicht. Hatte eine Zustellerin noch Ende März ihre Meinung im TV-Magazin „Quer“ des Bayerischen Rundfunks kundgetan, wollte sie nun nicht mehr Stellung beziehen. In dem „Quer“-Beitrag hatte sie davon berichtet, wie schwer ihr persönlich die Aufgabe fiel: „Ich kenne meine Kunden persönlich. Sie vertrauen mir. Da will ich nicht die Vertreterin sein, die ihnen Zeitschriften-Abos andreht, nur weil die Post sich immer neue Sachen einfallen lässt, um Geschäfte zu machen.“

Nicht nur eine Ausbeutung des Vertrauensverhältnisses führen die Kritiker ins Feld, sondern auch Datenschutzbedenken. Wenn Daten in einer Dateikarte erfasst würden, so müsste für diese Datenerfassung die schriftliche Einwilligung der Betroffenen vorliegen, meint ver.di-Sekretärin Krimmer. Sie unterscheidet diesen Fall vom regulären Postgeschäft: „Es wird automatisch von einer solchen Einwilligung der Briefempfänger ausgegangen, wenn es darum geht, dass lediglich für die Zwecke der Postzustellung Adressen erfasst werden. Aber hier geht es eben nicht rein um diese Zwecke.“

ARBEITSPLATZSICHERHEIT HAT PRIORITÄT

Auf ver.di-Bundesebene sieht man den „Dogs“-Pilotversuch gelassener. Sigrun Schmid, bei der ver.di-Bundesverwaltung für den Bereich Postdienste zuständig, sieht die Vermittlung von Zeitschriften-Abos als Mittel gegen eintönige Zustellungsarbeit: „Wir unterstützen Dienstleistungen, die es den Menschen ermöglichen, auch mal kurz vom schweren Tragen und Rennen Abwechslung zu bekommen – zum Beispiel dadurch, dass man mit dem Kunden spricht.“ Diese positive Bewertung könnte damit zu tun haben, dass von Jahr zu Jahr weniger Briefe verschickt werden. Und die Postboten immer weniger zu tun haben.

Thomas Koczelnik, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats Deutsche Post AG, argumentiert ähnlich. Tätigkeiten während des Zustellgangs, die es erlauben, sich Zeit für ein Gespräch mit dem Kunden zu nehmen, würden ausdrücklich begrüßt. „In dieser Logik sehen wir auch das Pilotprojekt mit der Hundezeitschrift“, so Koczelnik. Grundsätzlich steht der Konzernbetriebsrat der Aktion also positiv gegenüber. Ein gutes Zustellnetz zeichne sich dadurch aus, dass es flächendeckend und zuverlässig sei, und je besser es ausgelastet sei, desto rentabler sei es auch. Unmissverständlich macht Koczelnik klar: „Wir sind weder ein Produktbeirat noch die oberste Datenschutzbehörde. Wir sind für die Arbeitsbedingungen zuständig, und uns interessiert die Sicherheit und Perspektive unserer Kolleginnen und Kollegen.“

Warum ist die Post überhaupt auf den Hund gekommen? Auch sie begründet die Marketing-Aktion mit dem Ziel, die Arbeitsplätze im Konzern zu erhalten. Der Konzern erhoffe sich dadurch eine spätere regelmäßige Zustellung der beworbenen Zeitschriften durch die Postboten, erklärt Postsprecher Erwin Nier. Die Auflage des Arbeitgebers für seine Zusteller, nicht über die Aktion zu sprechen, rechtfertigt er mit dem „Schutz der Mitarbeiter vor Falschaussagen und Fehlinterpretationen“. Gesamtzusammenhänge und wirtschaftliche Aspekte einer Testphase, so Nier, könnten nicht von jedem einzelnen im operativen Bereich tätigen Mitarbeiter im Detail nachvollzogen und entsprechend korrekt kommuniziert werden. Die auf Karteikarten angelegten Daten über die Hundehalter hätten, so Nier, innerbetrieblichen Zwecken gedient. Die datenschutzkonforme Vernichtung der Statuskarten wurde bereits angekündigt. Der Verlag Gruner + Jahr, in dem „Dogs“ erscheint, habe niemals die von Zustellern angelegten Daten über die Hundehalter bekommen, teilt Nier mit.

EIN STROMVERTRAG VON DER POST

Dass Mitarbeiter von Post und Postbank branchenfremde Produkte bewerben, ist nur für die Zusteller neu. Das Schalterpersonal kennt solche Marketing-Methoden schon länger. Bereits seit zehn Jahren machen die Beschäftigten der bundesweit rund 850 Finanzcenter der Postbank ihre Kunden auf das Angebot des Ökostromanbieters LichtBlick aufmerksam. Bei Interesse an einem Stromanbieterwechsel wird der Auftrag an LichtBlick vermittelt. „Mit diesem Angebot schaffen wir weitere Kundenfrequenz für unser Kerngeschäft“, sagt Postbanksprecher Ralf Palm. Die Möglichkeit, dass sich Beschäftigte durch Stromverkaufsgespräche als fachfremde Tätigkeit überfordert fühlen könnten, sieht Palm nicht. Schließlich gäbe es für die Mitarbeiter diverse Schulungsmaßnahmen zum Verkauf der Stromprodukte.

Auch Strom der EnBW-Tochter Yello kann man bei der Post ordern. Stromverkaufsgespräche am Schalter, auch wenn der Kunde nur eine Briefmarke kaufen will, sind üblich und gehören mittlerweile zum festen Aufgabenprofil. „Die Anzahl der an LichtBlick vermittelten Aufträge wird unsererseits erfasst und reportet“, sagt die Postbank dazu. Die Nachfrage, ob nur die Gesamtanzahl der an LichtBlick übertragenen Aufträge festgehalten wird oder auch die Anzahl jener Aufträge, welche die einzelnen Mitarbeiter in einem festen Zeitraum vermittelt haben, will das Unternehmen nicht beantworten. Immerhin: Der Post-Gesamtbetriebsrat teilt sinngemäß mit, dass neben der Grundvergütung, die unabhängig vom Vertriebserfolg gezahlt wird, ein variabler Bestandteil existiert, der an den Erfolg gebunden ist, aber nach oben gedeckelt ist.

„Wir möchten, dass die Menschen in Vollzeit und ein Leben lang arbeiten können“, sagt Sigrun Schmid von der ver.di-Bundesverwaltung. Der Stromverkauf könne helfen, dieses Ziel zu erreichen. Zudem sei es keineswegs so, dass die Beschäftigten sich solchen Aufgaben massenhaft verweigerten.

Mit der Deutschen Post AG sowie mit der Postbank hat ver.di sogenannte Rationalisierungsschutz-Tarifverträge ausgehandelt. So sind bei der Post betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2015 ausgeschlossen. Ein Ziel war es, Outsourcing von Tätigkeiten zu verhindern. „Diese Verträge erhöhen den Druck auf Arbeitgeberseite, sich Gedanken darüber zu machen, mit was denn die Mitarbeiter eigentlich beschäftigt werden“, sagt Sigrun Schmid: „Ja, die Post soll neue Geschäftmodelle mit dem vorhandenen Personal austesten. Das fordern wir ja ständig.“

Text und Foto: Jan-Martin Altgeld, Journalist in Meerbusch

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