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Magazin Mitbestimmung

Mein Arbeitsplatz: Gegen Unheil und Insekten

Ausgabe 05/2012

Sabir Novaber, 13, zieht als Räucherjunge mit Räucherwerk durch die afghanische Hauptstadt Kabul. Die Tradition, Samen der Steppenraute zu verkohlen und damit Unheil zu vertreiben, stammt noch aus vorislamischer Zeit. Sie ist ein Relikt des zoro­astrischen Glaubens.

Kabul, Zargona Road, Share Naw „Spand balaband! Diesen Reim rufe ich den ganzen Tag lang. Er bedeutet: Die Steppenraute bannt den bösen Blick! Mit dem Rauch, der beim Verkohlen ihrer Samen entsteht, vertreibe ich das Unheil und die Insekten gleich mit. Dafür bitte ich die Ladenbesitzer um einen kleinen Obolus. Schon seit alter Zeit gibt es Jungen wie mich. Aber viele Menschen wollen uns nicht – sie sagen, wir seien Bettler, jagen uns fort oder schlagen uns sogar. Wir treffen viele Leute, und man weiß nie, wem man trauen kann und wem nicht. Doch manchmal bekommen wir ein paar Münzen oder einen kleinen Schein. Hotels geben uns etwas Essen, falls etwas übrig ist oder weggeworfen werden soll. Ich lebe mit meinen Eltern und mit fünf Geschwistern in einem Zelt am Stadtrand von Kabul. Wir stammen aus Jalalabad. Mein Vater verkauft Nähnadeln auf der Straße, das bringt aber nicht so viel ein, dass wir davon leben können. Wir brauchen jeden Afghani, den wir kriegen können. Also helfen wir Kinder mit. Ich arbeite, seit ich vier Jahre alt bin.

Wenn es hell wird, stehe ich auf, mache ich mich frisch und ziehe los. Die Besitzer der Garküchen, die am Straßenrand Fleischspieße verkaufen, schenken uns Jungens etwas Glut. Wenn wir die Dosen herumwirbeln, leuchtet die Kohle so schön rot. Die Rautensamen muss ich kaufen. An einem Tag verdiene ich vielleicht 80 Afghani. Das ist weniger als ein Dollar. Ich bin sehr lange unterwegs, rund zehn Stunden, bis zur Dämmerung. Später läuft man besser nicht mehr draußen herum. Meine Eltern sind gut zu mir, auch wenn ich einmal wenig nach Hause bringe. Das meiste Geld gebe ich ab, ein bisschen darf ich aber für mich behalten. Sehr gerne würde ich eine Schule besuchen und einen richtigen Beruf erlernen, vielleicht Arzt oder Ingenieur. Aber das können wir uns nicht leisten. Besonders im Winter ist die Arbeit schwer. Dann schneit es, und es wird sehr kalt werden. Aber ich habe Schuhe und eine Jacke, und mit der Kohle kann man sich ein wenig die Hände wärmen. Aber man muss sparsam damit sein. Ich bin jedes Mal froh, wenn wieder Sommer ist und ich nicht mehr frieren muss.“ 

Textdokumentation: Kay Meiners / Foto: Karsten Schöne

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