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Magazin Mitbestimmung

Altstipendiatin: Die Weltveränderin

Ausgabe 03/2012

Kritiker heften Andrea Moses gerne das Etikett „politische Regisseurin“ an. Denn die Leitende Regisseurin an der Staatsoper Stuttgart bringt die großen Fragen des Lebens auf die Bühne.

Von Susanne Kailitz

Warum es unbedingt das Theater sein musste? „Na, das ist doch klar“, sagt Andrea Moses und lacht. „Ich will spielend die Welt verändern!“ Gerade ist die 39-Jährige mit Pudelmütze und großer Sonnenbrille in das Berliner Café im Friedrichshain gekommen, schon ist sie mittendrin in ihrem Lebensthema.

Mit Musik, sagt sie leidenschaftlich, könne man „Emotionen transportieren, die nicht inszenierbar sind; das ist die Folie, auf der alles steht“. Andrea Moses lebt Theater und Oper. Seit 1996 inszeniert sie an verschiedenen Staatstheatern, unter anderem in Dresden, Hannover und Berlin Schauspiel, seit 2006 in Meiningen, Weimar und Bremen auch Musiktheater. 2009 ging sie als Chefregisseurin an das Anhaltische Theater Dessau. Gerade hat sie den vorläufigen Höhepunkt ihrer Karriere und damit das Ende „dieses Reisezirkus’“ erreicht: Seit dieser Saison ist Moses Leitende Regisseurin an der Staatsoper Stuttgart, wo sie mit „Fausts Verdammnis“, einer schwierigen Oper von Hector Berlioz, ihren hochgelobten Einstand gab. Zum Durchatmen, zum Genießen dieses Erfolgs war bislang keine Zeit: Nach ihrer ersten Inszenierung arbeitet die Regisseurin parallel an vier weiteren Stücken, die in dieser und der nächsten Saison Premiere haben sollen.

Der Weggang aus Dessau fiel ihr nicht leicht. Zwei Jahre hatte sie in der ostdeutschen Provinz für ihre Vorstellung von Kultur gekämpft, in schwierigen finanziellen Verhältnissen und mit einem Publikum, für das moderne Operninterpretationen zu Beginn ein schwieriges Terrain waren. Das Angebot, nach Stuttgart zu wechseln, habe sie in einen Gewissenskonflikt gestürzt, sagt sie. Sie ging nach langem Überlegen schließlich mit Bedauern, aber ohne schlechtes Gewissen. „Eigentlich sagt man, dass es vier Jahre dauert, so ein Haus gut aufzubauen. Wir haben es in zwei Jahren geschafft, Dessau überregional bekannt zu machen und auf ein solides Fundament zu stellen.“ Beweis dafür sind nicht zuletzt die vielen Kritikernominierungen als „Bestes Theater außerhalb der Theaterzentren“, mit denen das Anhaltische Theater für die Spielzeit 2010/2011 ausgezeichnet wurde.

Nun liegen zwischen ihrer alten und der neuen Wirkungsstätte gut 500 Kilometer – und manchmal eine ganze Welt. In Stuttgart hat es Moses mit Zuschauern zu tun, die „ihre Stücke sehr gut kennen“ und interessante Lesarten auf höchstem Niveau gewöhnt sind. Das ist, bei aller Wertschätzung, die ihrer Arbeit entgegengebracht wird, eine große Herausforderung. Zugute kommt der gebürtigen Dresdnerin ihre Ost-Prägung: „Das ist so eine Art, die Dinge und die ganze Welt immer in Zweifel zu ziehen, nichts einfach unhinterfragt hinzunehmen. Das charakterisiert meine Arbeit und wird geschätzt.“

Das Etikett der „politischen Regisseurin“, das ihr viele Kritiker in den vergangenen Jahren angeheftet haben, erscheint ihr übertrieben. „Es gibt offensichtlich immer ein Bedürfnis, zu kategorisieren, Künstler einordnen zu müssen. Aber für mich ist politisch zu sein oder politisch zu inszenieren weder ein Makel noch eine besondere Leistung, es ist schlicht notwendig. Jeder vernünftige Mensch hat doch ein politisches Interesse.“ So lässt sie ihr Stuttgarter Premierenstück im Ungarn unserer Tage beginnen und damit beunruhigend aktuell werden: „Das sind wichtige Fragen: Was passiert neben uns mitten in Europa? Wie korrumpierbar sind wir, und wodurch lassen wir uns wozu verführen?“

Andrea Moses will die großen Fragen des Lebens auf die Bühne bringen. „Ihre“ Oper ist niemals elitär, sie soll Lehrstück für jeden sein. „Ich will die Fabel so erzählen, dass sie von ganz normalen Menschen nachvollzogen werden kann.“ Dass sie das heute auf großer Bühne tun kann, verdankt Andrea Moses nicht nur ihrem Talent und einer überbordenden Begeisterung für ihr Genre. „Eigentlich ist daran auch die Hans-Böckler-Stiftung schuld“, sagt sie lachend. „Ohne das Stipendium hätte ich mir den Wechsel von den theoretischen Fächern in die Praxis vielleicht nicht zugetraut.“

So aber schloss sie an ihr Studium der Germanistik, Geschichte und Theaterwissenschaft in Leipzig und Berlin die Regieausbildung an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin an. Die Hans-Böckler-Stiftung habe damals ein Auge zugedrückt – mit einem intellektuellen Vater und einer Mutter, die als Sachbearbeiterin in einem Baustoffbetrieb arbeitete, habe sie gar nicht richtig zur eigentlichen Zielgruppe der Stiftung gehört. Dass man sie dennoch angenommen hat, habe es ihr ermöglicht, sich, anders als viele Kommilitonen, ganz auf ihr Studium konzentrieren zu können, ohne nebenbei jobben zu müssen. „Und jetzt kann ich mein gesellschaftliches Engagement auf die Bühne bringen. Damit ist das damals investierte Geld doch genau richtig angelegt, oder?“

Foto: Gesa von Leesen

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