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Magazin Mitbestimmung

: Zur Sache

Ausgabe 01+02/2012

Dorothea Voss über Minijobs: „Eine Abschaffung des Sonderstatus Minijob würde der Zweiklassengesellschaft bei Löhnen und sozialen Rechten die Grundlage entziehen.“

Dorothea Voss leitet ein Referat in der Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung.

Politisch kommt gegenwärtig Bewegung in die Regulierung von Minijobs: Die Regierungskoalition will die Verdienstgrenzen von 400 auf 450 Euro ausweiten. Damit gäbe es mehr Beschäftigung ohne eigenständige soziale Absicherung und mehr Niedriglohnrisiko. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat den Vorschlag einer Stundenbegrenzung für Minijobs in den Bundesrat eingebracht. Wer mehr als zwölf Wochenstunden arbeitet, soll automatisch sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein. Aber wer kontrolliert die Stundenzettel von rund 7,4 Millionen Minijob-Beschäftigten? Beide Vorschläge drehen, wie schon so oft, an einer Stellschraube, der Sonderstatus Minijob selbst wird nicht infrage gestellt.

Vor allem werden beide Vorschläge der Realität auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht gerecht: Mittlerweile ist jedes fünfte Beschäftigungsverhältnis auf dem deutschen Arbeitsmarkt ein Minijob, der oftmals strategisch zur Personalkostensenkung eingesetzt wird: Neben Entgelten für die normale sozialversicherungspflichtige Beschäftigung existiert in vielen Betrieben eine zweite Entgeltstruktur mit niedrigeren Löhnen für Minijobs. Minijob-Beschäftigte erhalten von vornherein weniger Stundenlohn, sie müssen davon schließlich keine Steuern und sozialen Abgaben zahlen, heißt es.

Der rasante Anstieg von Minijobs und die Verfestigung des Niedriglohnsektors sind zwei Seiten einer Medaille: Fast 90 Prozent der ausschließlich geringfügig Beschäftigten, davon sind zwei Drittel Frauen, arbeiten zu Niedriglöhnen. Fast 60 Prozent aller Minijob-Beschäftigten arbeiten für weniger als sieben Euro pro Stunde. Besonders niedrig sind die Stundenlöhne der rund 700 000 Minijob-Beschäftigten, die gleichzeitig ALG II beziehen. Die Vermutung liegt auf der Hand, dass die Grundsicherung hier als Lohnsubvention in Anspruch genommen wird, Lohndumping also auf Kosten der Allgemeinheit betrieben wird. Die Fakten machen deutlich, dass es illusorisch ist anzunehmen, Beschäftigte machten im Minijob ein gutes Geschäft. Faktisch wird der Minijob zur Niedriglohnfalle.

Minijob-Regelungen sehen vor, dass keine bzw. kaum Ansprüche für die eigene soziale Absicherung aufgebaut werden. Besonders problematisch wirkt sich dies für die große Gruppe mit sogenannten prekär-diskontinuierlichen Erwerbsverläufen aus. In ihren Erwerbsbiografien kumulieren Risiken von niedrigen Einkommen, Arbeitslosigkeit und sozialen Sicherungslücken. Angesichts zunehmender Berichte über individuelle und gesellschaftliche Folgeprobleme von sozialen Sicherungslücken muss man sich fragen, ob der Sonderstatus Minijob sozialpolitisch verantwortbar ist.

Problematisch ist, dass Minijobs missbrauchsanfällig bei der Gewährung von gesetzlich verbrieften sozialen Rechten sind – wie dem Recht auf bezahlten Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Zuschlägen für die Arbeit zu besonderen Zeiten. Diese mühsam errungenen Standards drohen vor allem dort zu verschwinden, wo Belegschaften überwiegend in Minijobs arbeiten und Betriebsräte nicht vorhanden oder in der Defensive sind. Minijobs untergraben soziale Standards in der gesamten Arbeitswelt und ersticken betriebs- und tarifpolitische Ansätze für gute Arbeit in manchen Branchen bereits im Ansatz. Angesichts dieser Bilanz stellt sich die Frage, ob der steuer- und sozialversicherungsrechtliche Sonderstatus Minijob als Lockmittel in die besonders kurze Teilzeit überhaupt etwas in einer modernen Erwerbsgesellschaft zu suchen hat oder ob er nicht – wie mittlerweile von einigen Gewerkschaften, Wissenschaft und Verbänden gefordert – abgeschafft werden sollte.

Was würde passieren, wenn jede Arbeitsstunde auf dem Arbeitsmarkt steuer- und sozialversicherungsrechtlich gleich behandelt würde? Nach wie vor könnten kleine Teilzeitstellen angeboten werden, wobei viele Studien belegen, dass Beschäftigte mit kurzen Arbeitszeiten besonders häufig ihre Arbeitszeiten ausdehnen wollen. Eine Abschaffung des Sonderstatus Minijob würde aber der Zweiklassengesellschaft bei Löhnen, der sozialen Sicherung und sozialen Rechten zumindest die Grundlage entziehen. Die Erosion sozialer Normen in Teilen des Arbeitsmarktes könnte aufgehalten werden, auch zugunsten von Unternehmen, die sich an den gesetzeswidrigen Praktiken nicht beteiligt haben. Vor allem wäre die Abschaffung der Minijobs ein deutliches Zeichen, dass es ein ernst gemeintes politisches Ziel ist, für Frauen und Männer gleiche Chancen auf vollwertige Beschäftigung mit eigener sozialer Absicherung zu schaffen.

Foto: Karsten Schöne

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