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Magazin Mitbestimmung

: Politische Schattenwelt

Ausgabe 01+02/2012

DEMOKRATIE Eine Lobbyismus-Studie der Otto Brenner Stiftung berührt die Frage nach der Zukunft unserer demokratischen und wirtschaftlichen Ordnung. Von Warnfried Dettling

WARNFRIED DETTLING ist freier Autor in Berlin und am Bodensee

Es sind gerade einmal gut 20 Jahre vergangen, da haben viele nach dem Zusammenbruch des Kommunismus den Triumph von Demokratie und Marktwirtschaft gefeiert und mit Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ ausgerufen. Inzwischen drängt sich eine andere Bilanz auf: Gesiegt hat nicht die Marktwirtschaft, sondern ein entfesselter Kapitalismus, der den Primat der Politik unterläuft und die Demokratie gefährdet. Und so fängt die ganze Geschichte, wie man Freiheit und Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Fortschritt für alle sichern kann, wieder von vorne an. Die „Soziale Marktwirtschaft“, die Deutschland und Europa rund 50 Jahre lang mit guten Gründen als Antwort auf solche Fragen gegeben haben, kann man heute nicht mehr so ohne Weiteres beschwören, ohne sich dem Vorwurf des Zynismus auszusetzen.

Die vorliegende Denkschrift der Otto Brenner Stiftung über den Lobbyismus, seine Gefahren und Grenzen, verfasst von den Sozialwissenschaftlern Andreas Kolbe, Herbert Hönigsberger und Sven Osterberg, offenbart erst in diesem größeren Zusammenhang ihre Verdienste, aber auch ihre Grenzen. Die Autoren greifen ein zentrales Problem der real existierenden Demokratien heraus, machen konkrete Vorschläge, wie man diesem Problem zu Leibe rücken könnte. Diese Vorschläge gehören zum Besten, was man bisher dazu gelesen hat – auch wenn sie nicht hinreichend thematisieren, dass der wachsende und undurchsichtige Einfluss der Lobby nur eine der vielen Entwicklungen markiert, die insgesamt eine Korrosion der Demokratie bewirken: eine Art Schwindsucht und Erschöpfungszustand, die von innen kommen. Das ist ja der doppelte Unterschied zu früheren Zeiten, als etwa der Staatsrechtler Theodor Eschenburg schon in den 1950er Jahren die Frage nach der „Herrschaft der Verbände“ aufwarf: Zum einen hat sich das konkrete Problem des Lobbyeinflusses auf Parlament und Regierung nicht nur, aber vor allem bei den finanzstarken Interessen massiv verschärft. Doch selbst wenn diese Interessen mit den hier gemachten Vorschlägen an die demokratische Leine gelegt würden, wäre damit noch keine Entwarnung gegeben, was die Zukunft der Demokratie in einem anspruchsvollen Sinne betrifft. Es sind neue und andere Entwicklungen hinzugekommen wie etwa die Globalisierung und die Eurokrise, die Boulevardisierung und die Ökonomisierung der Politik, die einen Strukturwandel hin zu weniger Demokratie beschleunigen. Man kann freilich in einer Studie nicht alles auf einmal machen, und so bleibt es das Verdienst der Otto Brenner Stiftung und der Autoren, dass sie mit allem Nachdruck den Finger auf eine schwärende Wunde der zeitgenössischen Demokratie gelegt haben.

VORSCHLÄGE AUCH AN DIE GEWERKSCHAFTEN_ Um den Einfluss eines undurchsichtigen Lobbyismus im Halbschatten der Demokratie zu begrenzen, schlägt die Studie unter anderem den „Status des akkreditierten Lobbyisten beim Deutschen Bundestag“ vor. Die Voraussetzungen für die Akkreditierung sind „die Aufnahme in das Lobby- bzw. Transparenzregister des Deutschen Bundestages und die Vorlage und/oder Unterzeichnung eines vom Deutschen Bundestag akzeptierten Verhaltenskodex für Lobbyisten“. Alle Stellungnahmen, Gutachten und Expertisen, die von Lobbyisten zu einem Gesetzgebungsverfahren eingereicht werden, sollen vom Deutschen Bundestag an geeigneter Stelle veröffentlicht werden. „Bezahlte und ehrenamtliche Tätigkeiten für Körperschaften, die in der Transparenzliste aufgeführt sind, und das Bundestagsmandat sind unvereinbar.“ Für ehemalige Amts- und Mandatsträger werden Karenzzeiten eingeführt, die verhindern sollen, dass Kanzler, Minister, Abgeordnete direkt aus der Amtsstube die Seite wechseln und in der Privat- oder Staatswirtschaft endlich „Geld verdienen“, wie sie zu sagen pflegen. Schließlich werden „Leihbeamte“ in der Bundesverwaltung ebenso verboten wie das Auslagern der Erarbeitung von Gesetzen in Kanzleien, die sogenannten „Kanzleigesetze“.

Man sieht auf den ersten Blick: Die Autoren der Otto Brenner Stiftung nehmen ihr Anliegen ernst. Manche Kritiker der Vorschläge haben denn auch gleich von einer „Regelungswut“ gesprochen. Aber auch „fortschrittliche“ Kritiker haben auf das Dilemma einer „Überregulierung“ des Einflusses der Lobby aufmerksam gemacht: Die finanzstarken Interessenverbände werden immer Mittel und Wege finden, noch so detaillierte Vorschriften zu umgehen, Möglichkeiten, die kleinere, schwer organisierbare Interessen gerade nicht haben. Und so würde sich die gute Absicht am Ende womöglich in ihr Gegenteil verkehren.

Man kann es auch anders sehen. Eine Ordnung für die Verbände (man muss nicht immer gleich von „Marktordnung“ reden; niemand käme auf die Idee, die Demokratie eine „Marktordnung“ für die Parteien zu nennen) macht nur Sinn, wenn nicht von vornherein zwischen „guten“ Interessen, die dem Gemeinwohl verpflichtet sind, und „schlechten“ Interessen, die nur auf den eigenen materiellen Vorteil bedacht sind, unterschieden wird. Es ist gut, dass die Autoren und ihr Auftraggeber dieser Versuchung nicht nachgegeben haben. Das freilich dürfte innerhalb der Gewerkschaften lebhafte Diskussionen auslösen. Einer der Vorschläge läuft darauf hinaus, dass auch die hauptamtlichen Funktionäre für die Dauer ihres Bundestagsmandats die gewerkschaftliche Tätigkeit ruhen lassen und auch nicht als Teilzeitjob fortsetzen – ein Vorschlag, der natürlich nicht nur Zustimmung in ihren Reihen auslöst. Die Gewerkschaften tun sich wie jede andere Organisation schwer damit, die Zipfel der Macht loszulassen, die sie glauben in Händen zu haben.

ES STEHT VIEL AUF DEM SPIEL_ Es ist wohl die entscheidende Frage für die Zukunft nicht nur der Gewerkschaften, ob dieses eher traditionelle Konzept der Interessenvertretung noch zukunftstauglich ist. Es könnte ja sein, dass gegenwärtig mehr auf dem Spiel steht, als sie selbst glauben, mehr auch, als diese Studie vermuten lässt. Eine Demokratie und eine Wirtschaftsordnung, deren Sinn und Zweck von den Akteuren vor allem darin gesehen wird, möglichst viel für das eigene Interesse herauszuschlagen, haben ihre destruktiven Züge längst und in der jüngsten Zeit besonders nachhaltig bewiesen. Das allgemeine Interesse, früher altmodisch Gemeinwohl genannt, hat keinen Anwalt mehr, wenn Politik auf das Verfolgen des eigenen Vorteils verkürzt wird. Es dürfte inzwischen auch klar sein, welche Interessen sich am Ende in solch „postdemokratischen“ Zuständen dann durchsetzen. Wenn der „Geist der Demokratie“, der gemeinsame Sinn für die öffentlichen Angelegenheiten, in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft schwinden, dann helfen am Ende auch keine Interessenvertretung und keine Lobbyordnung mehr. Andere haben weniger Probleme mit einer solchen Transformation der Demokratie; sie sehen am Horizont bereits ein neues Modell der Wirtschaft und des Wirtschaftens auftauchen: eine Art „Staatskapitalismus“. Doch der braucht am Ende, um erfolgreich und stabil zu sein, keine Gewerkschaften mehr – und auch keine Demokratie.

Die Karten werden neu gemischt. Die vorliegende Lobbystudie ist weit mehr als eine Untersuchung über den Einfluss der Interessengruppen und wie man ihn zähmen kann. Sie führt die Gewerkschaften und die politische Öffentlichkeit ganz nah an die Frage heran, wie es – ein knappes Vierteljahrhundert nach dem scheinbaren Triumph – mit unserer demokratischen und wirtschaftlichen Ordnung weitergehen kann und soll.

Mehr Informationen

Andreas Kolbe/Herbert Hönigsberger/Sven Osterberg: MARKTORDNUNG FÜR LOBBYISTEN. Wie Politik den Lobbyeinfluss regulieren kann – Ein Vorschlag der Otto Brenner Stiftung. OBS Arbeitsheft 70, Frankfurt/Main 2011

Kostenloser Download der Studie, Materialien und Stellungnahmen sowie Diskussionsforum unter www.lobby-studie.de

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