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HBS Böckler Impuls

Corporate Governance: EU-Grünbuch vernachlässigt deutsches Modell

Ausgabe 13/2011

Die EU-Kommission diskutiert über gute Unternehmensführung. Allerdings recht einseitig. Das deutsche Modell mit mitbestimmten Aufsichtsräten kommt beispielsweise kaum vor.

Wie sieht gute Unternehmensführung – Corporate Governance – aus? Und wo sollte die EU dafür Vorgaben fixieren? Diese Frage hat die Europäische Kommission Experten in ganz Europa gestellt. Wissenschaftler, Gewerkschaften und Verbände konnten Stellungnahmen zu einem geplanten EU-Grünbuch abgeben. Auch die Corporate-Governance-Fachleute der Hans-Böckler-Stiftung ­haben das getan.

Das Team aus Juristen und Ökonomen hält es für wahrscheinlich, dass sich die Kommission demnächst über neue Empfehlungen oder Richtlinien in die Regulierung von Unternehmensführung einschalten will. Aus Sicht der Experten der Stiftung eine problematische Entwicklung. Denn der Entwurf des Grünbuchs lege nahe, dass die Kommission über einheitliche Vorgaben für Europa nachdenkt, dabei aber relativ einseitig das angelsächsische Modell im Blick hat. In diesem „monistischen“ System der Unternehmensführung sitzen operativ verantwortliche Manager und Unternehmenskontrolleure in einem gemeinsamen Gremium, dem Board.

Dagegen werde das in Deutschland und anderen mitteleuropäischen Ländern dominierende „dualistische“ System weitgehend vernachlässigt, kritisieren die Experten der Stiftung. Das trennt zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, also zwischen operativem Geschäft und Unternehmenskontrolle. Die Mitbestimmung von Arbeitnehmern im Aufsichtsrat komme im geplanten Grünbuch lediglich in einer Fußnote vor.

„Diversity“ durch Arbeitnehmervertreter. Dabei liefert das dualistische, mitbestimmte Unternehmensmodell nach Analyse der Böckler-Experten Antworten auf zentrale Fragen, welche die Kommission nun anspricht. Beispielsweise sei hier eine „klare Trennung der Zuständigkeiten“ von Vorstandschef und oberstem Kontrolleur von jeher angelegt. Dass in mitbestimmten Aufsichtsräten zur Hälfte gewählte Vertreter der Arbeitnehmer sitzen, diene wiederum einem in der Debatte um Corporate Governance oft postulierten Ziel: Gute Unternehmensentscheidungen müssten auf einer Vielfalt („Diversity“) der Kompetenzen aufbauen.

Industriesoziologische Untersuchungen zeigen, dass die Mitbestimmung im Aufsichtsrat spezielles Know-How liefert: Betriebliche Arbeitnehmervertreter kennen die internen Abläufe im Unternehmen und die Belegschaft besonders gut. Gewerkschaftsvertreter ergänzen das durch intensive Branchen- und Fachkenntnisse. Die besonderen Kompetenzen der Arbeitnehmer brächten mehr Vielfalt in die Unternehmensführung als es Vorschriften könnten, die bestimmte formale Qualifikationen verlangen, betonen die Corporate-Governance-Experten.

Antrieb für nachhaltige Unternehmensführung. Auch in puncto Nachhaltigkeit der Unternehmensstrategie setze Mitbestimmung positive Impulse. Schließlich hätten die Beschäftigten „ein essentielles Interesse am langfristigen Bestand des Unternehmens und dessen Arbeitsplätzen“. Daher brächten gerade deren Vertreter „eine auf Nachhaltigkeit gerichtete Perspektive ein und bilden so ein Korrektiv zu rein kurzfristiger Renditeorientierung“, schreibt das Böckler-Team.

Mehr Frauen in die Aufsichtsräte. Zudem sorgt die Arbeitnehmerpartizipation nach Untersuchungen der Stiftung und anderer Forscher für mehr Frauen in den Aufsichtsräten: So saßen in Deutschland Anfang 2011 bei den 160 wichtigsten börsennotierten Unternehmen gut 70 Prozent der weiblichen Aufsichtsratsmitglieder auf der Arbeitnehmerbank. Um den Frauenanteil auf Seiten der Anteilseigner zu erhöhen, halten die Experten feste Quoten für rechtlich unproblematisch. Geht es um Leitlinien für die Arbeitnehmervertreter, die zum Großteil aus der internen Belegschaft gewählt werden, müsse darauf geachtet werden, dass sich das zahlenmäßige Verhältnis von Frauen und Männern im Unternehmen auch im Aufsichtsrat widerspiegelt.

Fazit der Böckler-Experten: Der Grünbuch-Entwurf zeige, dass bei der Corporate Governance EU-Regelungen, etwa ein europäischer Kodex, unnötig und tendenziell schädlich seien. Unternehmensrecht und Unternehmensorganisation in Europa seien zu vielfältig. Auch eine Verschärfung der Erklärungspflichten zum deutschen Corporate-Governance-Kodex halten die Fachleute für falsch. Börsennotierte Unternehmen, die einzelne Empfehlungen des deutschen Kodex´ nicht umsetzen wollen, seien schließlich schon heute verpflichtet, die Abweichung zu begründen. Mehr Verbindlichkeit lasse sich nur über detaillierte gesetzliche Vorgaben erreichen, nicht über Kodex-Empfehlungen.

  • Die EU-Kommission diskutiert über gute Unternehmensführung. Allerdings recht einseitig. Das deutsche Modell mit mitbestimmten Aufsichtsräten kommt beispielsweise kaum vor. Zur Grafik

Stellungnahme der Hans-Böckler-Stiftung zum Grünbuch der Europäischen Kommission vom 5. April 2011:
Europäischer Corporate Governance-Rahmen“ (pdf).

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