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HBS Böckler Impuls

Junge Beschäftigte: Stress im Job als Privatsache

Ausgabe 12/2011

Ob Krankenpfleger oder Bankkauffrau: Beschäftigte zwischen 25 und 35 identifizieren sich stark mit ihrer Arbeit. Sie schätzen ein hohes Maß an Selbstbestimmtheit – den steigenden Stress im Job verstehen sie als Problem, mit dem sie allein zurechtkommen müssen.

Die Arbeit in vielen Dienstleistungsbranchen steht zunehmend unter Ökonomisierungsdruck – sei es im Gesundheitswesen, in den Sozialdiensten oder in Banken und Versicherungen. Dennoch äußern sich deren junge Beschäftigte eher zufrieden mit ihrer Arbeit und nehmen eine optimistische Haltung ein, ergab die Untersuchung einer Forschergruppe um den Tübinger Professor Josef Held. Bei wachsendem Zeit- und psychischen Druck am Arbeitsplatz setzen sie stärker auf ihre eigenen Kräfte als ältere Beschäftigte. Solidarisches Handeln sehen sie eher als Strategie für das private Umfeld; weniger als Weg, um problematische Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Ausgangspunkt des Forschungsprojekts war die Erfahrung von Arbeitnehmervertretern in den Dienstleistungsbranchen, dass sich 25- bis 35-jährige Kollegen nur schwer für die Mitbestimmung in Betriebs- oder Personalräten gewinnen lassen. Die Wissenschaftler befragten daher in Baden-Württemberg und der Region Berlin/Brandenburg in den Jahren 2008 und 2009 knapp 1.300 Beschäftigte dieser Altersgruppe in Banken und Versicherungen, dem IT-Bereich, dem öffentlichen Dienst sowie dem Gesundheitswesen – plus einige Jüngere und Ältere, quasi zur Kontrolle. Zusätzlich führten die Forscher vertiefende Interviews.

Zu viel Autonomie kann überfordern. Dabei zeigt sich: Für die in der standardisierten Umfrage geäußerte positive Sicht auf die eigene Situation liefern die ausführlichen Interviews eine interessante Erklärung, so die Tübinger Forschungsgruppe: eine „Bewältigungsstrategie, die darin besteht, über Belastungen hinwegzusehen und eine positive Einstellung zu kultivieren“. Eine junge Frau führt im Interview genau auf, was sie an einem Tag alles macht, zeitlich genau getaktet: die Versorgung ihres Kindes, der Halbtagsjob als Sozialpädagogin, Hausarbeit, Sport: „Es ist wirklich schwer, das alles unter einen Hut zu bekommen. Und das schlägt sich eben im Alltag nieder.“

Viele Entscheidungsmöglichkeiten – sowohl bei der Arbeit als auch im Privatleben – würden zwar eine autonome Lebensführung bedeuten, so die Wissenschaftler. Dies könne aber leicht in Überforderung und damit Unfreiheit umschlagen. „Entsprechend empfinden die jungen Beschäftigten weniger einen Druck von außen, sondern haben eher den Eindruck, dass sie sich den Druck selbst machen.“

Mit dem Begriff „Solidarität“ können Beschäftigte dieser Altersgruppe oft wenig anfangen, so die Forscher. In der Regel siedeln sie solidarisches Handeln im privaten Bereich an: Kinderbetreuung für eine kranke Kollegin oder Mitmenschlichkeit im Allgemeinen. Im Arbeitsleben spiele solidarisches Handeln eine eher geringe Rolle. Allerdings weisen die Untersuchungsergebnisse gleichzeitig darauf hin, dass dies nicht als generelle Ablehnung von Mitbestimmung oder gewerkschaftlichen Aktivitäten zu interpretieren sei, betonen die Wissenschaftler. Vor allem bei Streiks habe die Forschungsgruppe beobachten können, wie das Interesse der Beschäftigten für Gewerkschaften rapide steigt.

„Solidarisches Handeln entsteht in der Praxis.“ Solidarität entsteht bei den jüngeren Beschäftigten vor allem bei Aktionen vor Ort: Die Jungen legen großen Wert darauf, ihr Leben selbstbestimmt zu führen, erläutern Held und Co. „Es ist deshalb auch nicht überraschend, dass bei den Streikaktionen im Sommer 2009 erstaunlich viele junge Beschäftigte spontan Gewerkschaftsmitglieder wurden“, zum Beispiel bei den Streiks der Erzieherinnen und im Gesundheitswesen.

Die Aktion allein genügt jedoch nicht, es braucht auch den sozialen Austausch über die eigene Situation und über den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang, so die Forscher. Die große Vielfalt der Lebens- und Arbeitssituationen lasse die Interessen ebenfalls auseinander gehen. Dadurch rückten Gemeinsamkeiten wie der Wunsch nach Anerkennung eher in den Vordergrund.

  • Solidarität entsteht bei den jüngeren Beschäftigten vor allem bei Aktionen vor Ort, wie zum Beispiel Streiks. Dabei rücken Gemeinsamkeiten wie der Wunsch nach Anerkennung eher in den Vordergrund von sozialen Kämpfen. Zur Grafik
  • Mit dem Begriff „Solidarität“ können Beschäftigte zwischen 25 und 35 oft wenig anfangen. In der Regel siedeln sie solidarisches Handeln im privaten Bereich an. Im Arbeitsleben spielt Solidarität eine eher geringe Rolle. Zur Grafik

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