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Magazin Mitbestimmung

: Die falsche Brille aufgesetzt?

Ausgabe 03/2005

Betriebliche Beschäftigungs- und Standortsicherungspakte tragen maßgeblich bei zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Eine Trendwende am Arbeitsmarkt können sie nicht herbeiführen. Welche Stellschrauben müssen bewegt werden?

Von Gustav A. Horn
Privatdozent Dr. Horn ist Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. gustav-horn@boeckler.de

Beherrschendes Thema fast aller wirtschaftspolitischen Debatten und Talkshows ist das - auch im europäischen Vergleich - geringe Wachstum der deutschen Volkswirtschaft. Krisen- und Untergangsszenarien werden gezeichnet, die in der Frage gipfeln: Ist Deutschland noch zu retten? Ein besonderes Augenmerk liegt dabei immer auf der Lohnentwicklung, die von den meisten Beobachtern als entscheidende Ursache für die krisenhaften Phänomene gesehen wird.

Unbestreitbar ist, dass spätestens seit den 80er Jahren Wachstum und Beschäftigung in Deutschland viel zu schwach sind. Maßvolle Aufschwünge, die nach nur allzu kurzer Zeit wieder zusammenbrechen und oft in einer zähen Stagnation enden, prägen das Bild der konjunkturellen Entwicklung, begleitet von einer sich verfestigenden Arbeitslosigkeit und verstärkt durch die Folgen einer ökonomisch schlecht konzipierten Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Damit konnte und kann sich niemand zufrieden geben. Sowohl die CDU-geführte als auch die jetzige Bundesregierung versuchten und versuchen der wirtschaftlichen Probleme Herr zu werden. Bis jetzt ohne durchschlagenden Erfolg.

Wie manches begann

Mit dem Antritt der Regierung Kohl - seinerzeit Wende genannt - hatte sich ein grundlegender Perspektivenwechsel in der Wirtschaftspolitik abgezeichnet. War zuvor unter der Regierung Schmidt die Lösung der Probleme auf der Nachfrageseite gesucht und die Wirtschaft mit gewissem Erfolg, nicht zuletzt dank staatlicher Nachfrageprogramme, wieder auf einen vernünftigen Wachstumspfad gebracht worden, orientierte sich die neue Regierung verstärkt auf die Angebotsseite des Marktes.

Ursächlich hierfür waren die hohen Inflationsraten, die damals die tatsächlich aggressive Lohnpolitik ausgelöst hatte. Sie veranlassten die Bundesbank, mit Zinserhöhungen einzuschreiten, um die Inflationsrate wieder zu senken, und die Bundesregierung, den Erfolg dieser Programme grundsätzlich in Frage zu stellen und auf eine eher angebotsorientierte Politik einzuschwenken.

Lediglich die Wirtschaftspolitik während der Vereinigung durchbrach diesen neuen Kurs. Um die Wirtschaft der DDR in der Phase des Übergangs in die Marktwirtschaft der Bundesrepublik zu stabilisieren, wurde ein gewaltiges Nachfrageprogramm aufgelegt. Mit Erfolg: Die massiven Transfers sowohl für Investitionen als auch für den Konsum stabilisierten die Wirtschaft Ostdeutschlands. Tragisch war nur, dass das Grundproblem bei der Vereinigung tatsächlich eher auf der Angebotsseite lag.

Schließlich war die ostdeutsche Wirtschaft in ihrer gesamten Struktur weder auf den nationalen noch auf den internationalen Wettbewerb vorbereitet. Wesentlich verschärfend kam hinzu, dass durch den Umstellungskurs von 1:1 zwischen der DM und der Mark der DDR sowie durch die rasche Lohnangleichung jeder Rest an Wettbewerbsfähigkeit vernichtet wurde. Das Ergebnis ist bekannt. Nach einem kurzen Strohfeuer ging die ostdeutsche Wirtschaft in einen Steilflug nach unten, von dem sie sich bis auf den heutigen Tag nicht erholt hat.

Kaum überraschend haben diese Ergebnisse nicht gerade zur wirtschaftspolitischen Akzeptanz von Nachfragepolitik beigetragen. Im Gegenteil: Das Beispiel Ostdeutschland wird immer wieder gerne als Beleg für die Unwirksamkeit von Nachfragepolitik angeführt. Im konkreten Fall stimmt dies sogar. Generell zeigt das Beispiel freilich nur, dass Nachfragepolitik bei Angebotsproblemen nicht hilft. Es zeigt hingegen nicht, dass es generell keine Nachfrageprobleme gibt.

Wie sich alles ändern sollte

Angebotsorientierte wirtschaftspolitische Konzepte gewannen weiter stark an Zustimmung. Dabei spielte die Beurteilung der Lohnentwicklung eine entscheidende Rolle. Insbesondere der Sachverständigenrat in seiner Mehrheit hat in einer Vielzahl seiner jährlichen Gutachten beklagt, dass die Löhne zum einen zu hoch und zum anderen zu inflexibel im Hinblick auf einzelne Betriebe und Qualifikationen festgelegt würden.

Diese zunächst intellektuellen Überlegungen, denen sich im Laufe der Zeit die überwiegende Mehrzahl der Ökonomen und auch der Politiker anschloss, haben mittlerweile ihre Spuren bei der Lohnfindung hinterlassen. Die Lohnzuwächse sind deutlich abgeschwächt, und die Flächentarifverträge sind durch zahlreiche betriebliche Ausnahmeregelungen durchlöchert. In Ostdeutschland ist die Tarifbindung ohnehin nur noch marginal vorhanden.

Um die Lohnentwicklung der vergangenen Jahre insgesamt beurteilen zu können, ist es wichtig, zwischen den verschiedenen Lohngrößen zu unterscheiden und den Maßstab zu ihrer Beurteilung klar zu definieren. Der Sachverständigenrat hat seine Kritik immer wieder an den Tariflöhnen entzündet. Maßgeblich für die Unternehmen sind aber die Arbeitskosten - das sind die effektiven Löhne, die sich aus den Tariflöhnen und der Berücksichtigung der Lohndrift ergeben plus der Sozialversicherungsbeiträge der Unternehmen.

Wenn also über Lohnzurückhaltung geredet wird, ist es nur sinnvoll, die Arbeitskosten insgesamt zur Grundlage der Beurteilung zu machen, denn allein diese sind für die Unternehmen als Kostenfaktor von Bedeutung.

Streit gibt es auch über den Maßstab, anhand dessen beurteilt werden kann, ob eine Lohnzurückhaltung vorliegt oder nicht. Üblicherweise wurde als Lohnzurückhaltung verstanden, wenn der Zuwachs hinter der Summe aus Produktivitäts- und Preissteigerungen zurückbleibt. In diesem Fall werden die Gewinne der Unternehmen erhöht, und die Angebotsbedingungen verbessern sich. Nimmt man dies als Kriterium, herrscht in Deutschland seit zehn Jahren Lohnzurückhaltung in Bezug auf die Arbeitskosten.

Der Sachverständigenrat hat in seinem vorletzten Gutachten nun die Definition verschärft, indem er zusätzlich noch einen Abschlag für vorangegangene Beschäftigungsverluste fordert. Selbst mit dieser verschärften Definition errechnet sich aber für die vergangenen zehn Jahre eine Lohnzurückhaltung. Nur bei Verwendung der eigentlich ungeeigneten Tariflöhne lassen sich die Schlussfolgerungen des Sachverständigenrates einigermaßen begründen.

Damit sind im Hinblick auf die Lohnentwicklung die Forderungen der angebotsorientierten Wissenschaftler und Politiker eigentlich erfüllt worden. Der Erfolg der Berater war aber noch viel größer. Neben einer maßvollen Lohnentwicklung wurde auch immer wieder Zurückhaltung im Hinblick auf konjunkturpolitische Maßnahmen gefordert.

Konjunktur ist in der Sichtweise der gängigen Angebotstheorie nur eine temporäre Schwankung um den Trend, die zu stabilisieren wegen ihres erratischen Auftretens in der Regel nicht möglich und wegen ihrer Kurzfristigkeit auch nicht lohnend ist. Daher die Forderung nach einer konjunkturpolitischen Zurückhaltung sowohl der Geld- als auch insbesondere der Finanzpolitik, die durch konjunkturpolitische Maßnahmen zudem nur Schulden anhäufe.

Auch diese Forderung wurde in der Eurozone weitgehend befolgt. Die Geldpolitik reagierte nur zögerlich und weitaus weniger ausgeprägt als beispielsweise die amerikanische Zentralbank auf die jüngste Schwäche. Der Finanzpolitik fehlte zudem angesichts der Beschränkungen durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt ein hinreichender Bewegungsspielraum, um angemessen auf die Belastungen vor allem in der jüngsten Konjunkturschwäche zu reagieren. Mithin gingen von der gesamtwirtschaftlichen Politik kaum Stabilisierungsimpulse aus. Entsprechend zäh verlief die Erholung.

Wie es weitergehen könnte

Vor dem Hintergrund der zähen Krise und der vermeintlichen Unwirksamkeit einer nahezu allseits geschmähten Nachfragepolitik ist es nicht verwunderlich, dass in jüngster Zeit selbst die absurdesten Vorschläge ausgiebig und mit Heilserwartung diskutiert werden. Hauptsache sie erhöhen die Gewinne und sind einzelwirtschaftlich begründet, und das heißt heute in der Regel aus der Sicht des einzelnen Unternehmens.

Nur so ist verständlich, dass Unternehmen glauben, ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern zu können, wenn die Löhne auf Betriebsebene, und zwar immer niedriger als bei der Konkurrenz, festgelegt werden. Das ist der herrschende Lohndruck, der aber letztlich niemandem nützt, weil ja auch der Konkurrent zu diesem Mittel greift oder greifen wird.

Noch absurder sind die Vorschläge zur Ausweitung der Arbeitszeit. Es ist schon überraschend, dass in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, also eines Überschusses an Arbeitskraft, durch eine Ausweitung des Angebots mehr Beschäftigung entstehen soll. Der mit dieser Strategie verbundene Hintergedanke, dass so die Stundenlöhne sinken würden, krankt an zwei Fehlern.

Erstens treten die Lohnsenkungen nur ein, wenn die höhere Stundenzahl tatsächlich nachgefragt wird, was angesichts der Schwäche unwahrscheinlich ist. Und zweitens gilt dann das Argument von oben. Aus einer ähnlichen gedanklichen Quelle speist sich jener Teil der Arbeitsmarktreformen, der über verminderte soziale Absicherung Lohndruck zu erzeugen versucht, um damit die Beschäftigung zu erhöhen.

All diese Vorschläge, so gut sie im Einzelnen gemeint sein mögen, gehen ins Leere, ja schaden sogar, wenn der eigentliche Grund der wirtschaftlichen Krise eine Nachfrageschwäche ist, die durch die extreme Lohnzurückhaltung verschärft wird. So lange man sich dieser Diagnose verweigert und die Kur mittels einer einseitig angebotsorientierten Politik fortsetzt, wird man binnenwirtschaftlich nicht von der Stelle kommen.

Allein die Exporte laufen dank verbesserter internationaler Wettbewerbsfähigkeit gut. Zumindest so lange, bis auch die ausländische Konkurrenz zu Lohnsenkungen greift oder aber die nächste starke Aufwertung kommt. Wachstum und Beschäftigungsausweitung hat die Angebotspolitik bisher nicht beschleunigt. Eine Besserung kann nur ein erneuter Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik erbringen. Das ist ein langer Weg.

Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK)

Das IMK, das zu Beginn des Jahres unter dem Dach der Hans-Böckler-Stiftung neu gegründet wurde, will die anspruchsvolle Auseinandersetzung mit den vorherrschenden neokonservativen und neoliberalen Ideengebäuden suchen - im akademischen Bereich ebenso wie in der wirtschaftspolitischen Diskussion über gesamtwirtschaftliche Fragen.
Viele Ansätze sind bereits vorhanden.

Vor allem in den USA hat sich eine Strömung in der wirtschaftspolitischen Forschung behauptet, die der Wirtschaftspolitik, insbesondere der Geldpolitik, langfristig Wirkungen auf Wachstum und Beschäftigung zuschreibt. In dieser Sicht stehen die vermeintliche Inflexibilität des Arbeitsmarktes und zu hohe Löhne nicht an erster Stelle der Ursachen für die hohe Arbeitslosigkeit, sondern falsche, weil zu wenig expansive wirtschaftspolitische Reaktionen.

Diese Überlegungen werden im Zentrum mehrerer Forschungsprojekte des IMK stehen. Es gilt, die Rolle der Wirtschaftspolitik bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit deutlich zu machen - eine These, die im Widerspruch steht zu der gängigen Behauptung, der Kern der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland liege in den nicht angemessenen Arbeitsmarktinstitutionen.

Eine weitere Forschungslinie wird sein, die Rolle konjunktureller und struktureller Phänomene zu klären. Gegenwärtig wird fast ausschließlich auf strukturelle Phänomene verwiesen, wenn Arbeitslosigkeit erklärt werden soll. Der Konjunktur wird lediglich eine untergeordnete Rolle zugewiesen - sie gilt nur als kurzfristiges Phänomen. Soweit sie lehrbuchmäßig in regelmäßigen Zyklen verläuft, mag das stimmen.

Gerade die jüngste Zeit hat aber gezeigt, dass sich im Zeichen der Globalisierung - und damit auch der raschen internationalen Übertragung von Konjunkturzyklen - Unregelmäßigkeiten eingeschlichen haben, die nicht zuletzt die Prognostiker vor immer neue Herausforderungen stellen. In jedem Fall steht eine Neubewertung der Rolle der Konjunktur an. Die hierzu notwendigen Forschungsarbeiten nebst deren Einsatz bei regelmäßigen Prognosen der Konjunkturentwicklung werden ein weiterer Schwerpunkt des IMK sein.

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