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Magazin Mitbestimmung

: Ende der Blockade?

Ausgabe 03/2011

EUROBETRIEBSRAT Jahrzehntelang hebelte der Logistiker Kühne+Nagel Arbeitnehmerrechte aus. Jetzt steht er vor der Gründung eines Eurobetriebsrats. Von Dirk Schäfer

Dirk Schäfer ist Journalist in Dortmund/Foto: Volkmar Schulz, Keystone

Das jüngste Treffen der Betriebsräte des Logistikkonzerns Kühne+Nagel mit den zuständigen Gewerkschaftsvertretern im Januar in Brüssel brachte eine Überraschung. Erschienen waren auch Arbeitgebervertreter aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien, um eine - wie der Konzern im Vorfeld signalisiert hatte - "Sondierung der Möglichkeiten zur Bildung eines Eurobetriebsrats vorzunehmen". "Das Management bewegt sich jetzt ganz offiziell auf uns zu", berichtet Michael Kalis, der Konzernbetriebsratsvorsitzende, und sieht Chancen auf ein Ende der jahrelangen Blockadepolitik und Rechtsstreitigkeiten.

Die reichen zurück in das Jahr 1997, als der Konzern sich weigerte, die Anzahl der Beschäftigten sowie ihre Verteilung auf die EU-Mitgliedsstaaten bekannt zu geben - Daten, die die Arbeitnehmervertreter für die beabsichtigte EBR-Gründung dringend benötigten. Und auf die sie gesetzlichen Anspruch hatten.

10 000 Mitarbeiter beschäftigt Kühne+Nagel hierzulande, weltweit sind es 56 000, sehr viel mehr aber erfuhr auch der KBR nicht. Das simple Kalkül: ohne detaillierte Informationen kein EBR.

HÖCHSTRICHTERLICHE OHRFEIGE_ Der halb offiziellen Kontaktaufnahme durch die Arbeitgeberseite im Januar in Brüssel folgte Mitte Februar ein offizielles Angebot. Man wolle die Gründung eines EBR nun gemeinsam in Angriff nehmen. "Wenn das Angebot ernst gemeint ist, sind wir für Verhandlungen offen", sagt Michael Kalis.

Klar ist: Kühne+Nagel steht unter Druck. Dafür gesorgt hat vor allem ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). 1999 hatte die Arbeitnehmervertretung die Hamburger Tochter von Kühne+Nagel, die größte in Deutschland, auf Herausgabe der Informationen verklagt. Grundsätzlich hätten sich die Hamburger zwar kooperationsbereit gezeigt, so Michael Kalis, aber: "Bei Kühne+Nagel passiert nichts ohne die Zustimmung der Schweizer Zentrale." Dort hält Firmenpatriarch und Hauptaktionär Klaus-Michael Kühne die Fäden in der Hand, ein ausgewiesener Gegner der Mitbestimmung. Mehrmals habe ihm dieser auf Generalversammlungen der AG in der Schweiz unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass ein EBR unerwünscht sei, erinnert sich Kalis. Doch ausgehend vom Hamburger Arbeitsgericht hatte sich die deutsche Arbeitnehmervertretung durch alle Instanzen geklagt, 2004 schließlich gab ihr der EuGH auch letztinstanzlich recht.

Die höchstrichterliche Ohrfeige sorgte für Aufsehen. Das Urteil stieß anderen Arbeitgebern auf, die ähnlich vorgehen, denn für sie wurde ein unliebsamer Präzedenzfall geschaffen. Und bei EU-Politikern geriet das juristische Schlupfloch, durch das Kühne+Nagel zu entkommen versuchte, stärker in den Fokus.

Seit 1994 das Recht geschaffen wurde, einen EBR zu bilden, haben sich mehrere Unternehmen auf gleiche Weise entzogen. Das Gesetz schreibt der Arbeitnehmerseite zwar einen Anspruch auf Informationen zu Mitarbeiterzahlen zu. Diesen Anspruch indes verstanden auch der Tiefkühler Bofrost, der Kassenhersteller ADS Anker oder der Staubsaugerfabrikant Vorwerk nicht als Auftrag. Die Beispiele sind prominent, aber sie sind Ausnahmen. Im Jahr 2010 zählte das Europäische Gewerkschaftsinstitut (ETUI) insgesamt 969 EBR. Mit insgesamt rund 15 Millionen Mitarbeitern stehen sie für mehr als zwei Drittel der Beschäftigten, die unter die Regelung fallen.

Dass sich Kühne+Nagel unter den wenigen Ausnahmen findet, überrascht nicht. Auch auf einem anderen Feld der Mitbestimmung hat sich der Spediteur entzogen: Als 1976 das Mitbestimmungsgesetz verabschiedet wurde, verlegte Klaus-Michael Kühne den Sitz des Unternehmens kurzerhand von Hamburg in die Schweiz. Mehrfach verhinderte die Firma in den kommenden Jahren Aufsichtsräte bei einzelnen Tochtergesellschaften durch das Ändern von Besitzverhältnissen oder der Rechtsform. Dieses Vorgehen ist ebenfalls nicht auf Kühne+Nagel beschränkt: "Aktuell gibt es 45 Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, die sich mittels ausländischen Gesellschaftsrechts der deutschen Mitbestimmung entziehen", berichtet Sebastian Sick, Unternehmensrechtler der Hans-Böckler-Stiftung. Die jüngsten Fälle sind die Modefirma Zara und das Berliner Recyclingunternehmen Alba.

DIE NOVELLE ZEIGT WIRKUNG_ In der EBR-Richtlinie wird nun das Schlupfloch geschlossen. Im Juni soll die neue Richtlinie deutsches Recht werden. Danach ist die Konzernleitung verpflichtet, die erforderlichen Angaben zu Belegschaft und Unternehmensstruktur bereitzustellen. Zudem muss der EBR in Zukunft vor einer Unternehmensentscheidung konsultiert werden und nicht, wie bislang, erst vor deren Umsetzung. Für Michael Kalis ist ein weiteres Detail maßgebend: Die neuen, besseren Regelungen gelten nicht für EBR, die im Revisionszeitraum zwischen Juni 2009 und Juni 2011 gegründet wurden. Erreichte also Kühne+Nagel vor dem Stichtag Anfang Juni eine EBR-Vereinbarung, wären die alten, schwächeren Vorgaben bindend.

Bewegt sich Kühne+Nagel also, weil die Zeit davonläuft? "Die bisherige Haltung des Managements spricht dafür", sagt Michael Kalis. An einen grundsätzlichen Sinneswandel mag der Gewerkschafter nicht glauben. Trotzdem hofft er noch auf eine einvernehmliche Lösung - und wartet auf ein annehmbares Angebot.

Ende März treffen sich in London Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter von Kühne+Nagel unter der Leitung der Europäischen Transportarbeiter-Förderation (ETF) erneut. Es geht um die spannende Frage: Wie kann und will Kühne+Nagel nunmehr die Bildung eines EBR vorantreiben? Für die Arbeitnehmerseite steht fest: Auf ein Besonderes Verhandlungsgremium werden sie sich nicht einlassen. Sie wollen bis zur Gründung eines EBR nicht weitere drei Jahre hingehalten werden - so lange währt die vorgesehene Verhandlungsfrist. "Unser offizieller Antrag auf Bildung des Besonderen Verhandlungsgremiums wurde bereits 1997 von der Arbeitgeberseite abgelehnt, die Frist für Verhandlungen mit diesem Gremium ist also 2000 abgelaufen", verdeutlicht Kalis die Position der Arbeitnehmerseite. Und weiß dabei Rechtsexperten auf seiner Seite.

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