zurück
HBS Böckler Impuls

Haushaltspolitik: Unberechenbare Schuldenbremse

Ausgabe 01/2011

Das Berechnungsverfahren für die Schuldenbremse ist intransparent und anfällig für Manipulationen, zeigt das IMK.

Der Anspruch ist hoch: Die Schuldenbremse soll die durch die Finanz- und Wirtschaftskrise strapazierten öffentlichen Haushalte wieder ins Gleichgewicht bringen - auf Basis eines anerkannten Verfahrens und im Einklang mit den europäischen Stabilitätsvorschriften. Das komplexe Instrumentarium ist scheinbar objektiv und präzise definiert. Doch tatsächlich enthält es Unschärfen und Schlupflöcher, haben die IMK-Finanzfachleute Achim Truger und Henner Will ermittelt. Dadurch kann der Umfang der künftig zulässigen Verschuldung in Bund und Ländern hoch- oder heruntergerechnet werden - je nach politischem Interesse. "Klagen gegen die eine oder andere Ausgestaltung oder Interpretation werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vor den Verfassungsgerichten landen", warnen die Experten.

Grund dafür ist das überaus komplizierte Verfahren der Schuldenbremse. Es beruht auf der Prämisse, dass sich eindeutig ermitteln lässt, welcher Anteil des staatlichen Defizits in einem bestimmten Jahr auf die kurzfristige konjunkturelle Entwicklung zurückzuführen ist, und wie stark langfristige, strukturelle Defizite zu Buche schlagen. Letztere entstehen dadurch, dass das Niveau der Staatseinnahmen dauerhaft nicht zum Niveau der Ausgaben passt. Auf Bundesebene beschränkt die Schuldenbremse Kredite zur Deckung des strukturellen Defizits ab 2016 auf jährlich 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das sind rund 10 Milliarden Euro. Je nach konjunktureller Lage wird dieses Volumen ausgeweitet oder reduziert: Läuft die Wirtschaft im Vergleich zu einer "Normallage" gut, wird der Verschuldungsspielraum kleiner. Liegt die Konjunkturentwicklung unter dem Schnitt, wächst er.

Nach Untersuchungen des IMK ist aber bereits die Berechnung der "Normallage" methodisch zweifelhaft - denn sie wird auch von der aktuellen Konjunkturentwicklung mitbestimmt. Das hat nach Trugers und Wills Analyse problematische Konsequenzen: Die Bremse zwingt zu einer prozyklischen Finanzpolitik. "Im Aufschwung darf das Defizit zu groß sein und heizt damit die Konjunktur zusätzlich an. Im Abschwung werden die Defizite zu gering bemessen und dämpfen die Konjunktur zusätzlich."

Die Ungenauigkeit wächst noch weiter, weil die Berechnungsvorgaben in den Ausführungsgesetzen zur Schuldenbremse vage sind. Auch der vermeintlich klare Bezugspunkt, dass das Schuldenbremsen-Verfahren mit dem zur Haushaltsüberwachung nach dem Europäischen Stabilitätspakt übereinstimmen muss, hilft nicht weiter, betont das IMK. Die EU-Kommission hat ihre Berechnungsmethode selbst schon mehrmals geändert. Mittlerweile gibt es vier Versionen. Je nachdem, welche angewendet wird, fiele die zulässige Kreditaufnahme des Bundes jährlich um maximal zwei bis drei Milliarden Euro höher oder niedriger aus, so das IMK.

Doch damit sind die Spielräume längst noch nicht erschöpft. Denn das Ausführungsgesetz schreibt auch vor, die Schuldenbremsen-Methodik "unter Berücksichtigung des Standes der Wissenschaft" fortzuentwickeln. Das klingt gut, sorgt aber nicht für mehr Klarheit. Die Gemeinschaftsdiagnose der großen Konjunkturforschungsinstitute hat beispielsweise in ihrem Herbstgutachten 2010 noch an weiteren Stellschrauben gedreht. Die IMK-Experten haben die Varianten nachgerechnet und kommen auf nicht weniger als acht mögliche Versionen, die alle im Einklang mit dem Verfahren der EU-Kommission stehen. Der mögliche Verschuldungsspielraum für den Bund würde danach 2011 um rund 15 Milliarden Euro variieren. Damit, so die Kritik des IMK, ist das Verfahren anfällig für Manipulationen.

Noch schwerer wiegt aus Sicht der Ökonomen ein anderes Problem: Die symbolträchtige Schuldenbremse wird in einer Situation eingeführt, in der die öffentlichen Haushalte strukturell unterfinanziert sind. Das hat nach der IMK-Analyse indes nichts mit staatlicher Ausgabenfreude zu tun. Daten der EU unterstreichen dies. Die deutschen Staatsausgaben sanken zwischen 1998 und 2008 real, also inflationsbereinigt, um 0,2 Prozent pro Jahr. Noch stärker wurden allerdings die Steuern gesenkt. In welchem Ausmaß, zeigt eine Simulationsrechnung des IMK: Wären 2010 noch die Steuergesetze von 1998 in Kraft gewesen, hätten Bund, Länder und Gemeinden in diesem Jahr gut 51 Milliarden Euro mehr an Steuern eingenommen.

  • Das Berechnungsverfahren für die Schuldenbremse ist intransparent und anfällig für Manipulationen, zeigt das IMK. Zur Grafik

Gustav Horn u.a.: Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik 2011. IMK-Report Nr. 59, Januar 2011

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen