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HBS Böckler Impuls

Gesundheit: Schleichend Richtung Kopfpauschale

Ausgabe 14/2010

Die geplante Gesundheitsreform belastet kleine Einkommen stärker als größere. Das fundamentale Finanzierungsproblem der Gesetzlichen Krankenversicherung geht sie nicht an.

Eine Mehrheit der Bevölkerung lehnt laut Umfragen Pauschalprämien im Gesundheitssystem ab, daher spricht die Bundesregierung nur noch von einer "Ausweitung der Zusatzbeiträge". Doch wenn nach 2011 die Arbeitgeberbeiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung eingefroren und Kostensteigerungen über einkommensunabhängige Zusatzbeiträge bezahlt werden, dann bedeutet das faktisch "den Einstieg in die Kopfpauschalenfinanzierung". Darauf weisen Simone Leiber und Florian Blank in einer Analyse hin. Weil pauschale Beiträge einen regressiven Verteilungseffekt haben, bedeutet das: "Geringe und mittlere Einkommen schultern die Reform", so die Professorin an der Fachhochschule Düsseldorf und der Sozialversicherungsexperte des WSI.

Die finanziellen Folgen berechnet haben Stefan Greß, Professor an der Hochschule Fulda, Klaus Jacobs und Sabine Schulze vom Wissenschaftlichen Institut der AOK. Die Zusatzbeiträge werden demnach die bereits bestehende relative Ungleichbelastung von Gering- und Gutverdienern verschärfen. Inklusive eines durchschnittlichen monatlichen Zusatzbeitrags von 16 Euro, wie ihn das Bundesversicherungsamt für 2014 prognostiziert, gehen von kleineren Brutto-Einkommen zwischen 450 und 1.000 Euro bis zu zehn Prozent als Arbeitnehmeranteil für die Krankenversicherung ab. Dabei ist der so genannte Sozialausgleich schon berücksichtigt. Bis zur Beitragsbemessungsgrenze von 3.750 Euro sinkt die relative Belastung dann langsam, jenseits dieser Marke rapide. Ein Gutverdiener muss nur etwa fünf Prozent seines Einkommens überweisen. Die Zusatzbeiträge vergrößerten die Ungleichheit zwar eher moderat, so die Forscher. Doch immerhin werde die Reform "von ihren Urhebern nicht nur als gerecht, sondern zugleich als Strukturreform mit Zukunftsperspektive bezeichnet". Beiden Ansprüchen entsprächen die Pläne nicht.

Auch Leiber und Blank kritisieren neben dem Gerechtigkeitsdefizit die mangelnde Nachhaltigkeit. Denn an der größten Schwäche der Krankenkassen ändert sich nichts: Zentrale Finanzierungsquelle bleiben die Arbeitseinkommen, deren Anteil am Bruttoinlandsprodukt seit langem sinkt. Kapital- und Gewinneinkommen haben zugelegt, sollen aber weiter außen vor bleiben. So entstehe keine sichere Finanzierungsbasis, warnen die Experten. Wenn die Gesundheits-Zuschüsse aus Steuermitteln nicht steigen - was die Bundesregierung nicht plant - "ist mit ungedeckten Finanzierungslücken und sozialen Härten durch direkte Kostenbeteiligung, Leistungskürzungen oder höhere Zusatzbeiträge zu rechnen".  

  • Kleinere Einkommen werden durch die Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung relativ stärker belastet als größere. Die von der schwarz-gelben Bundesregierung geplanten Zusatzbeiträge verschärfen dieses Ungleichgewicht noch weiter. Zur Grafik

Simone Leiber, Florian Blank: Nachhaltige Finanzierung des Gesundheitssystems ohne Kopfpauschalen, in: WSI-Mitteilungen 10/2010.

Stefan Greß, Klaus Jacobs, Sabine Schulze: GKV-Finanzierungsreform: schwarz-gelbe Irrwege statt gezielter Problemlösungen. In: Gesundheits- und Sozialpolitik 4/2010.

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