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HBS Böckler Impuls

Beschäftigung: Kluge Verteilung der Arbeitszeit federt Krisenfolgen ab

Ausgabe 18/2009

Die Wirtschaft ist eingebrochen, nicht aber der Arbeitsmarkt. Dass in der Krise bisher so viele Jobs gerettet wurden, ist vor allem Arbeitszeitkonten und der Kurzarbeit zu verdanken. Betriebsräte berichten, was die Unternehmen zur Beschäftigungssicherung unternommen haben.

Die deutsche Wirtschaft leidet im Vergleich zu anderen europäischen Ländern oder den USA besonders unter der Wirtschaftskrise. Von Anfang 2008 bis Sommer 2009 schmolz nur in Italien das Bruttoinlandsprodukt noch stärker. Trotzdem hat die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik kaum zugenommen, ganz im Gegensatz zu den anderen westlichen Industrieländern. "Die Betriebe reagieren offensichtlich nicht mit Entlassungen, sondern versuchen, den Auftrags- und Umsatzeinbruch über andere Wege abzufedern", erklären WSI-Arbeitsmarktexperten den Unterschied. Eine repräsentative Befragung des WSI von über 2.300 Betriebsräten macht nun erstmals sichtbar, was Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten zur Beschäftigungssicherung unternommen haben - und wodurch die glimpfliche Arbeitsmarktbilanz im Abschwung möglich wurde.

Arbeitszeitkonten und Kurzarbeit sichern Stellen. Viele Jobs konnten bislang gerettet werden, weil die Firmen den Arbeitseinsatz intern an die Auftragslage angepasst haben. In der Wirtschaftskrise werden Instrumente interner Flexibilität besonders intensiv genutzt, stellen die WSI-Forscher Claudia Bogedan, Wolfram Brehmer und Alexander Herzog-Stein fest. Das wichtigste waren die nach den Boomjahren 2007 und 2008 gut gefüllten Arbeitszeitkonten. In fast jedem dritten Betrieb wurden den Betriebsräten zufolge vorhandene Guthaben von Arbeitszeitkonten abgetragen oder gar Zeitschulden auf den Konten angesammelt - Stunden, die geleistet werden müssen, wenn die Nachfrage wieder anzieht. Oftmals haben die Unternehmen auch ihre Arbeitsorganisation geändert, um Arbeitsplätze zu erhalten. Zudem formulierte jeder achte Betrieb die Urlaubsregelungen neu, jeder zehnte reduzierte Entgeltbestandteile.

Als Instrument gegen die Krise wird von der Öffentlichkeit vor allem die staatlich geförderte Kurzarbeit wahrgenommen. Die Kurzarbeit hat in der Tat einen erheblichen Beitrag zum Beschäftigungserhalt geleistet, das bestätigen auch die Wissenschaftler des WSI - in der praktischen Bedeutung aber rangiere sie hinter den Arbeitszeitkonten. Nur jeder fünfte Betrieb setzte Kurzarbeit ein. Das "deutsche Arbeitsmarktwunder", von dem Forscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sprechen, beruht demnach nicht allein auf dem Kurzarbeitergeld. "Die Unternehmen haben zahlreiche kleine Stellschrauben bedient", sagt Claudia Bogedan vom WSI. Die Vielfalt der eingesetzten Instrumente war für die Experten überraschend. Dass diese zum Einsatz kamen, dürfte auch an der eingespielten Zusammenarbeit von Management und Betriebsräten in den betroffenen Branchen liegen. Das ist ein Grund dafür, warum die Unternehmen den von der Finanzkrise ausgelösten Stresstest bislang so gut bestanden haben, so das WSI.

Betriebe planen keine Massenentlassungen. Ganz ohne Beschäftigungsabbau ging der Abschwung allerdings nicht vonstatten. Wo Leiharbeiter engagiert waren, mussten diese meist als Erste gehen. 28 Prozent der Betriebsräte berichten aber auch, dass ihr Unternehmen die Stammbelegschaft verkleinert habe; in einzelnen Branchen waren es sogar bis zu 35 Prozent. Diese Firmen verlängerten befristete Verträge nicht, boten Abfindungen an, verhängten einen Einstellungsstop, übernahmen Auszubildende nicht. In rund 14 Prozent der Betriebe kam es zu betriebsbedingten Entlassungen.

Soweit die Betriebsräte informiert sind, ist für die kommenden Monate ein moderater Personalabbau zu erwarten, jedoch nicht in dem Umfang wie von Politik und Wissenschaft zunächst befürchtet. Laut der im Sommer geführten Umfrage sind keine Entlassungen im großen Stil vorgesehen. Nur jeder fünfzigste Betriebsrat rechnet damit, dass sein Unternehmen demnächst eine betriebliche Auffanggesellschaft benötigt.

Ähnliche Erwartungen wie die Betriebsräte haben auch viele Manager. Das berichtet das IAB, für dessen Betriebspanel im zweiten Quartal rund 8.000 Vertreter von Unternehmen befragt wurden. 71 Prozent der Manager rechnen für das nächste Jahr mit einer konstanten Zahl an Beschäftigten, 16 Prozent mit weniger, 13 Prozent sogar mit mehr Arbeitsplätzen. Das Fazit des IAB für den bisherigen Verlauf der Krise: "Obwohl die Betriebe nur selten neue Mitarbeiter einstellen wollen, haben sie doch weitgehend versucht, ihre Beschäftigten zu halten."

Von der gegenwärtigen Krise sind alle Branchen in Mitleidenschaft gezogen worden, am stärksten aber Firmen, die zuvor in der Regel ausgesprochen erfolgreich waren: Industriebetriebe, die in erster Linie für den Export produzieren und im Westen angesiedelt sind. Diese Unternehmen haben sich meist sehr intensiv um Beschäftigungssicherung bemüht und werden das nach Einschätzung der Betriebsräte auch weiter tun. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Wirtschaftssektoren fallen teilweise recht groß aus, so die Forscher des WSI: Unter den Anbietern von Grundstoffen oder Investitionsgütern haben drei von vier Unternehmen auf die Krise mit interner Flexibilität reagiert. Bei Banken und Versicherungen - die Branchen, von der die Krise ausging - war es dagegen nur eins von fünf Unternehmen.

Das Instrumentarium, das zur Beschäftigungssicherung zur Verfügung steht, wird sich allerdings in den kommenden Monaten verändern. Die Arbeitzeitkonten sind inzwischen fast ausgereizt. Das Guthaben ist aufgebraucht, die Personaler wollen nicht noch höhere Zeitschulden anhäufen. Zudem laufen zum Jahresende die Sonderkonditionen für den Bezug des Kurzarbeitergeld aus. Die Wissenschaftler des WSI sprechen sich für eine Verlängerung dieser Regelung aus. Das sei nötig, damit nicht zeitgleich die beiden wichtigsten Instrumente zum Beschäftigungserhalt wegfallen.

  • in Überblick darüber, was die Unternehmen bisher zur Beschäftigungssicherung getan haben - und was sie noch planen. Zur Grafik
  • Die Unternehmen haben viele Jobs retten können, weil sie sich an die gesunkene Nachfrage mit interner Flexibilität anpassten. Zur Grafik
  • Von der Krise betroffen sind vor allem Unternehmen im Westen, die für den Export produzieren. Betriebe, die Investitionsgüter anbieten, leiden mehr als Dienstleister oder das Baugewerbe. Zur Grafik

Claudia Bogedan, Alexander Herzog-Stein, Wolfram Brehmer: Betriebliche Beschäftigungssicherung in der Krise. Eine Kurzauswertung der WSI-Betriebsrätebefragung 2009 (pdf), Dezember 2009 (pdf)

IAB-Kurzbericht: Wie Betriebe in der Krise Beschäftigung stützten 18/2009

Übersicht WSI-Bebriebsrätebefragung 2009

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