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HBS Böckler Impuls

Globalisierung: Sozialstandards helfen Nord und Süd

Ausgabe 07/2009

Nur ein kleiner Teil der Erträge des Welthandels kommt Arbeitnehmern in Entwicklungsländern zugute. Gleichzeitig bedroht der globale Kostenwettbewerb die Sozialsysteme in entwickelten Ländern. Internationale Sozialstandards würden beiden Seiten nützen, Protektionismus nicht.

Unbeschränkte Handelsfreiheit führt laut ökonomischen Standardlehrbüchern zu maximalem Wohlstand. Jede Form von Regulierung würde demnach die internationale Arbeitsteilung und damit die Effizienz der Weltwirtschaft beeinträchtigen. Allerdings blendet diese Theorie einige wichtige Punkte aus, wie der Juraprofessor Felix Ekardt in einer Studie für die Hans-Böckler-Stiftung erläutert. Beispielsweise übersieht sie die ungleiche Einkommensverteilung: Von der angeblichen ökonomischen Effizienz profitieren nur wenige. Die gesamte Wirtschaftsleistung würde Ekardt zufolge sogar noch wachsen, wenn ein Teil des von Entwicklungsländern im Export verdienten Geldes genutzt würde, um die soziale Sicherheit der Arbeitenden zu verbessern. Denn das dürfte sich positiv auf ihre Motivation und Bildungsanstrengungen auswirken. Was in der traditionellen Freihandelstheorie außerdem nicht vorkommt: Umweltprobleme und die psychischen Folgen eines unbegrenzten "weltweiten Wettstreits um immer längere Arbeitszeiten und immer mehr Leistungsdruck". Der Experte für internationales Recht tritt dafür ein, globale ökologische und soziale Mindeststandards im Regelwerk der Welthandelsorganisation (WTO) zu verankern.

Aus der Geschichte der Industrieländer sei bekannt, "dass der Kapitalismus erst an dem Punkt für die breiten Massen vorteilhaft wurde", als es der Politik gelang, ihn "sozial einzuhegen", sagt Ekardt. Bislang fehle aber eine "globale Politikebene", auf der eine internationale Entsprechung zur sozialen Marktwirtschaft entstehen könnte. Ein solcher rechtlicher Rahmen würde einerseits zu Armutsbekämpfung und Umweltschutz in den Entwicklungsländern beitragen und andererseits den westlichen Sozialstaat schützen - vor einem internationalen "Kostenwettbewerb durch Sozialabbau".

Um Arbeits- und Umweltbedingungen in weniger entwickelten Ländern zu verbessern, bieten sich auf den ersten Blick verschiedene Ansatzpunkte, so der Wissenschaftler. Beispielsweise könnten die europäischen Länder Sozial- oder Umweltzölle auf Produkte erheben, die unter problematischen Bedingungen entstanden sind. Die Erlöse könnten Schwellen- und Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt werden, damit diese sie in Öko- und Sozialprogramme investieren. Ein solches Verfahren würde jedoch zu großen Schwierigkeiten bei der Berechnung der "richtigen" Zolltarife und praktisch unlösbaren internationalen Verteilungskonflikten führen, fürchtet Ekardt. Einfache Importverbote seien ebenfalls kaum umzusetzen: Sollte die EU die Einfuhr aller Waren aus China verbieten, weil Arbeitnehmer dort kaum Chancen haben, sich gewerkschaftlich zu organisieren? Auch alle Hoffnung auf uneigennützige, perfekt informierte Verbraucher zu setzen, hält Ekardt für wenig realistisch. Der kleinen Gruppe engagierter Konsumenten dürfte es kaum gelingen, Unternehmen durch Konsumentscheidungen zu sozialer und ökologischer Verantwortung zu zwingen.

Neue WTO-Regeln. Der Wissenschaftler schlägt stattdessen  international gültige Sozialstandards als Bestandteil des Welthandelsrechts vor. Die WTO könnte - zum Teil nach dem Vorbild der EU - zu einem gemeinsamen Markt mit einheitlichen Mindestanforderungen an die Sozialpolitik werden. Das Welthandelsrecht sei "verglichen mit sonstigem Völkerrecht eine relativ zielgenaue und durchsetzungsstarke Ordnung". Daher sei es als Rechtsrahmen besser geeignet als beispielsweise der Normenkatalog der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Die neuen Standards selbst sollten möglichst über die ILO-Normen hinausgehen. Im ersten Schritt könnten die EU-Staaten versuchen, sich auf Sozialversicherungsstandards und gegebenenfalls Mindestlohnbestimmungen zu einigen.

Um es Entwicklungs- und Schwellenländern leichter zu machen, sich auf entsprechende Regeln zu verpflichten, rät der Wissenschaftler, Sozial- und Umweltpolitik zu verknüpfen: Ein weltweiter Emissionshandel würde die Industrieländer dazu zwingen, ärmeren Ländern Emissionsrechte abzukaufen. Damit bekämen sie Geld in die Hand, um gezielt Armut zu bekämpfen. Gleichzeitig würden in den reichen Staaten die Anreize gestärkt, Energieverschwendung und Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren. "So könnte dieser globale sozial-ökologische Gesamtansatz zum Musterbeispiel eines Kompromisses zwischen Gegenwart und Zukunft, zwischen Norden und Süden werden", schreibt Ekardt. Mögliches Vorbild für einen Verständigungsprozess: das von der EU gegenüber Beitrittsländern bereits praktizierte Modell "einheitliche Umweltstandards im Austausch gegen Finanzierungshilfen". Der Forscher betont, seine Vorschläge seien keinesfalls utopisch. Denn angesichts der Finanzkrise und anstehender Verhandlungen über einen neuen internationalen Klimaschutzvertrag stehe "eine stärkere Einrahmung des globalen Marktes ohnehin auf der Agenda der Politik". 

  • Das Welthandelsvolumen hat seit den 1950er-Jahren exponentiell zugenommen. Zur Grafik

elix Ekardt u.a.: Globalisierung und Ungleichheit (pdf), Arbeitspapier 170 der Hans-Böckler-Stiftung, 2009

Mehr Infos zum Projekt "Welthandelsrecht und Sozialstaatlichkeit"

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