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HBS Böckler Impuls

Wirtschaft: Deflation am Horizont

Ausgabe 03/2009

Wegen des weltweit scharfen wirtschaftlichen Einbruchs fürchten viele Experten ein nachhaltiges Absinken der Preise, sprich: Deflation. Nur wenn die Politik konsequent gegensteuert, kann sich die Wirtschaft wieder erholen.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) zeichnet ein düsteres Bild: Die Weltwirtschaft ist in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Für 2009 erwartet der IWF derzeit ein globales Wirtschaftswachstum von lediglich 0,5 Prozent. Wegen der Finanzkrise, fallender Vermögenswerte und des Zusammenbruchs des Unternehmens- und Verbrauchervertrauens drohe eine anhaltende Deflation. Deshalb müssten die Staaten die gesamtwirtschaftliche Nachfrage "noch stärker stützen".

Wie gefährlich nachhaltig sinkende Preise sind, zeigt die wirtschaftliche Entwicklung Japans seit Mitte der 1990er-Jahre. Hansjörg Herr, Professor an der Fachhochschule für Wirtschaft Berlin, hat diese analysiert: Sinkende Löhne trieben das Land nach dem Ende der Aktien- und Immobilienblase in die Deflation - und sorgten für eine Stagnation, die bis heute nicht überwunden ist.

Ein fallendes Preisniveau speist sich aus zwei Faktoren: Zunächst sehen sich die Unternehmen gezwungen, wegen zu geringer Güternachfrage die Produktion zu reduzieren und die Preise zu senken. "Eine Nachfragedeflation ist während eines Abschwungs unumgänglich und tritt regelmäßig auf", so Herr. Gefährlich wird die Lage jedoch, wenn nun auch noch die Löhne sinken.

Deshalb geht der Berliner Wissenschaftler davon aus, dass auch in Deutschland das Risiko einer Deflation gewachsen ist. Denn seit den 1980er-Jahren wurden weltweit nicht nur die Finanzmärkte dereguliert, sondern auch die Arbeitsmärkte.

In Deutschland beispielsweise arbeitet eine immer größere Zahl von Beschäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen. Ein koordinierter Lohnbildungsmechanismus funktioniert nur noch in einem Teil der Wirtschaft: In Teilen des Dienstleistungssektors, in Ostdeutschland und in Kleinunternehmen "sind Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände so geschwächt, dass das hergebrachte System der Lohnverhandlungen nicht mehr funktioniert", schreibt Herr. "Bei hoher Arbeitslosigkeit sind in der gegenwärtigen Lage Senkungen des Lohnniveaus nicht mehr auszuschließen." Das wäre ein deutlicher Schritt in Richtung Deflation.

Ob es wirklich so kommt, hängt von der Politik ab, erläutert Gustav Horn, Wissenschaftlicher Direktor des IMK. Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion spielt er verschiedene Szenarien durch, wie sich die Wirtschaft entwickeln könnte:

1. Die Politik tut nichts. Zwar würde die Eurozone ein wenig von den Konjunkturprogrammen in den USA, Großbritannien und Asien profitieren. Dennoch würde die Arbeitslosigkeit stark steigen, die Löhne der Beschäftigten kämen unter Druck. Gehaltskürzungen würden sich ausbreiten, was wiederum die Preise nach unten drücken würde: der Beginn einer Deflation und damit auch einer lang anhaltenden Depression.

2. Die Reaktion der Politik ist unkoordiniert und kommt zu spät. In diesem Fall wäre für 2009 noch keine wirtschaftliche Erholung zu erwarten, sondern erst Mitte 2010. Doch bis dahin seien die Löhne stark steigendem Druck ausgesetzt. Dementsprechend groß wäre die Deflationsgefahr. Möglich wäre auch eine so genannte Stagdeflation: die Verbindung von wirtschaftlicher Stagnation mit einem nachhaltig sinkenden Preisniveau.

3. Alle Mitgliedstaaten des Euroraums reagieren gemeinsam und gleich Anfang 2009 auf die Wirtschaftskrise. Dies wäre das ideale Szenario gewesen. Ein deutsches Konjunkturpaket wäre nach Berechnungen des IMK um 30 bis 40 Prozent effektiver geworden, wenn die Bundesregierung es mit denen der anderen Mitgliedstaaten koordiniert hätte. Dafür hat Deutschland allerdings zu lange gezögert.

Der Ausweg: Die Bundesrepublik stützt die Wirtschaft nun sehr schnell und um einiges stärker als bislang geplant. Nach den bisherigen Plänen der Bundesregierung beläuft sich der finanzielle Stimulus auf 1,3 Prozent in diesem und 1,4 Prozent im nächsten Jahr. Horn hält einen Stimulus von etwa 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts allein in diesem Jahr für erforderlich. Damit - und mit weiteren Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) - wäre der wirtschaftliche Tiefpunkt vielleicht schon Ende 2009 erreicht. Die Gefahr einer Deflation könnte gebannt sein.

Infobox:
Rettungspläne für die Wirtschaft
Industrienationen rund um den Globus wollen mit mehr oder weniger großen Konjunkturprogrammen helfen, die Wirtschaftskrise zumindest abzufedern . Die EU-Kommission hat sich mit den Mitgliedstaaten auf ein Rettungspaket von insgesamt 200 Milliarden Euro geeinigt. Das wären 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). 30 Milliarden will die Kommission selbst über vermehrte Darlehen der Europäischen Investitionsbank beisteuern. Die restlichen 170 Milliarden sollen die Mitgliedstaaten bereitstellen. Ob das klappt, ist jedoch völlig offen: Nach Schätzungen des Brüsseler Forschungsinstituts Bruegel ist beispielsweise der fiskalische Stimulus des italienischen Rettungspakets negativ. Von ihm geht also sogar eine die Konjunktur dämpfende Wirkung aus. Italien selbst hingegen beziffert das Volumen des Programms auf 4,3 Prozent des BIP.

  • Mit einer Reihe von kurz aufeinander folgenden Zinssenkungen versucht die Europäische Zentralbank, den wirtschaftlichen Abschwung abzufedern. Zur Grafik

IWF: World Economic Outlook, Global Economic Slump Challenges Policies (pdf), Update vom 28. Januar 2009.

Hansjörg Herr: Von der Finanzkrise zu Depression und Deflation, in: WSI-Mitteilungen 11+12/2008

Gustav A. Horn: Danger of Deflation and Stagflation, Briefing Paper für das Europäische Parlament, Januar 2009

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