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HBS Böckler Impuls

Demokratie: Neue Wege für politische Beteiligung

Ausgabe 20/2008

Zwischen den Wahlterminen haben Bürger meist wenig Einfluss auf die Politik. Ein neues Instrument der Bürgerbeteiligung könnte auf kommunaler Ebene mehr Mitsprache ermöglichen.

Die Planungs-, Verwaltungs- und Dienstleistungsaufgaben des Staates nehmen ständig zu. Was nicht mit wächst, sind die Möglichkeiten der Bürger zur Mitsprache. Das Gemeinwesen entwickelt sich so zu einem System, in dem die "Mehrheit auf Selbstbestimmung zugunsten einer immer einflussreicher werdenden 'politischen Klasse'" verzichtet, schreiben der Soziologieprofessor Helmut Klages und seine Mitarbeiter in einer aktuellen Veröffentlichung. Die Wissenschaftler haben mit Förderung der Hans-Böckler-Stif­tung  ein neues Beteiligungskonzept für die kommunale Ebene entwickelt und in Modellversuchen getestet. Das ­Bürgerpanel kann die repräsentative Demokratie um ein Element direkter Beteiligung ergänzen. Als Vorbild dienten Bürgerinformations- und -beteiligungsverfahren, die in Großbritannien schon länger eingesetzt werden.

Hohe Hürden für Bürgerbehren. Die bisher bestehenden, über das Wahlrecht hinausgehenden, Beteiligungsmöglichkeiten werden selten genutzt, zeigt eine Untersuchung aus dem Jahr 2006: In den zurückliegenden 50 Jahren gab es in den knapp 14.000 deutschen Kommunen nur gut 2.800 Bürgerbegehren. Nach Klages und seinen Co-Autoren liegt dies jedoch nicht in erster Linie am politischen Desinteresse der Bürger. Den Grund sehen die Forscher eher in organisatorischen Hürden, die einzelne Bürger oder kleinere Gruppen von Bürgern kaum überwinden können - zum Beispiel viele hundert Unterschriften zusammenzutragen. Faktisch sind Bürgerbegehren entgegen ihrer Intention häufig die Folge "politikinterner Entscheidungen", so das Gutachten. Sie werden oft nicht von der Bevölkerung, sondern der Opposition im Rathaus angestoßen.

Doch das ist nicht der einzige Haken traditioneller Beteiligungsansätze: Bürgerbegehren oder ähnliche Verfahren ermöglichen keine kontinuierliche Mitgestaltung der Politik, sondern lösen nur Einzelfragen. Sie blitzen "da und dort wie Sternschnuppen" auf, schreiben Klages und Kollegen. Außerdem sei oft fraglich, wie repräsentativ die Ergebnisse sind, denn bei geringer Gesamtbeteiligung können sich leicht spezielle Interessengruppen durchsetzen. Dies sei neben Kostenargumenten und dem hohen Zeitaufwand ein Grund dafür, dass Politiker der Bürgerbeteiligung oft mit Skepsis begegnen. Im schlimmsten Falle tragen solche Ansätze dazu bei, dass als Gegenstück zur Politikverdrossenheit der Bürger eine ohnehin bereits erkennbare Bürgerverdrossenheit der Politiker weiter anwächst, schreiben die Autoren.

Bürgerpanels: regelmäßige, repräsentative Befragung. Ausgangspunkt des Panel-Konzepts ist eine repräsentative Stichprobe der Wahlberechtigten, etwa 750 bis 1.000 Personen. Sie wird aus den Karteien der Einwohnermeldeämter zusammengestellt. Ein solcher repräsentativer Personenkreis wird zu wichtigen lokalpolitischen Fragen mehrmals im Jahr schriftlich oder per Internet befragt. Aber interessierte Bürger müssen nicht warten, bis das Los bei einer Stichprobenziehung auf sie fällt: Jeder, der möchte, kann einen Fragebogen anfordern und ausfüllen, auch wenn er nicht in der Zufallsstichprobe enthalten ist. Der Vergleich zwischen den Äußerungen der Bürger in der Zufallsstichprobe und den Äußerungen derer, die sich aus eigener Initiative beteiligen, hilft dabei, die Resultate besser einzuordnen. Im Gegensatz zu traditionellen Befragungen wird beim Bürgerpanel unmittelbar erkennbar, wenn eine besondere Gruppe - beispielsweise die Akademiker in einem bestimmten Stadtviertel - ihre Spezialinteressen artikuliert. Anhand der Zufallsstichprobe lassen sich die Resultate aber zu einem repräsentativen Meinungsbild zusammenfügen. Dies erhöhe die "Legitimität" der Äußerungen der Bürger und damit die Chance, von Politikern akzeptiert zu werden, erwarten die Wissenschaftler.

Die Erfahrungen aus Modellversuchen in Arnsberg, Herford, Speyer und Viernheim offenbarten den Forschern zufolge weitere Vorzüge des Panel-Ansatzes: Das Kosten-Nutzen-Verhältnis habe sich als sehr günstig erwiesen. Die "Niederschwelligkeit", das heißt der geringe Aufwand für die Bürger, sorgte für eine rege Beteiligung. Differenzierte Fragebögen und regelmäßige Wiederholungen ermöglichten einen fortgesetzten Dialog zwischen Bürgern und Politik, heißt es in der Studie - im Gegensatz zu sporadischen Veranstaltungen, bei denen die Bürger nur einmal zu Wort kommen, oder zu Großabstimmungen, bei denen sie nur mit ja oder nein stimmen können. Die Autoren gehen davon aus, dass die Zahl der teilnehmenden Bürger im Laufe der Zeit immer weiter wächst. Mit der Panel-Technik könnte sich die "Zuschauerdemokratie" zur "lebendigen Demokratie" wandeln, wenn sich das Verfahren in den Kommunen durchsetzt - und möglicherweise auch den Weg auf Landes- und Bundesebene findet.

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