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Magazin Mitbestimmung

: 'Das macht sonst niemand'

Ausgabe 06/2010

NORD-SÜD-NETZ Interkulturelle Kompetenzen sind für alle Arbeitnehmervertreter internationaler Konzerne unverzichtbar. Hier leistet das DGB-Bildungswerk gewerkschaftliche Entwicklungsarbeit. Von Sigrid Thomsen

SIGRID THOMSEN ist Journalistin in Hamburg

Entwicklungsminister Dirk Niebel will die Entwicklungshilfe stärker am Interesse deutscher Unternehmen orientieren. Ob das Abkehr von den Gewerkschaften meint, ist nicht gesagt. Dieter Eich, Geschäftsführer des DGB-Bildungswerkes, macht sich derzeit noch keine Sorgen. Das "Nord Süd Netz" im Bildungswerk fördert seit 2001 gewerkschaftliche Projekte im Süden der Weltkugel mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). In vielen dieser Projekte steht die Durchsetzung von internationalen Sozialstandards im Vordergrund. "Auf Gewerkschaftsseite macht das sonst niemand", sagt Eich. "Der Minister will auch die Zivilgesellschaft fördern. Wir hoffen eigentlich eher auf Mittelzuwachs."

LERNPROZESSE IM BAUCH DER GLOBAL PLAYER_ Zu den reichen Gebern gehört das "Nord Süd Netz" mit einem Jahresbudget von knapp drei Millionen Euro bisher nicht. Es nimmt auch Spenden und Zuschüsse von Einzelgewerkschaften, doch der Löwenanteil kommt vom Staat und geht in Projekte im Süden. Dort werden Arbeitnehmervertreter für den sozialen Dialog qualifiziert, also dafür, mit Managern zu verhandeln und international anerkannte Minimalstandards über Arbeitszeiten, Organisationsrechte und Löhne durchzusetzen.

In Vietnam haben an die 2000 noch an Staatsbetriebe gewöhnte Gewerkschaftsmitglieder in Seminaren gelernt, was multinationale Konzerne und Direktinvestitionen sind. Zusammen mit dem brasilianischen Gewerkschaftsinstitut Observatório Social werden Kolleginnen und Kollegen aus deutschen Konzernen - von Bayer über INA-Schaeffler bis ZF - in gewerkschaftlichen Netzwerken zusammengebracht. Dort kommen die Arbeitsbedingungen an verschiedenen Standorten und in zuliefernden Betrieben zur Sprache, werden Strategien zur Durchsetzung von Kernarbeitsnormen entwickelt. "Es ist mühsam", sagt Eich, "manchmal stellen wir fest, dass die Konzern-Vereinbarungen zur sozialen Verantwortung vor Ort noch nicht einmal übersetzt worden sind." Die gewerkschaftlichen Organisationen sind überall anders und gerade in Brasilien sehr zahlreich. Aber, sagt Eich: "Wir können Druck auf Unternehmen ausüben. Dafür brauchen wir unsere Betriebsräte."

Vernetzung in Weltregionen_ Für die Arbeitnehmer sind internationale Kontakte ein Pfund, das sie gegenüber ihren eigenen Arbeitgebern und der Regierung in die Waagschale werfen können. Ein Pfund, das ihnen Respekt einbringt. Einige Arbeitnehmer-Netzwerke erstrecken sich mittlerweile in Lateinamerika über mehrere Länder. Solch ein Ansatz wurde vom "Nord Süd Netz" jüngst auch mit einem Gewerkschaftsinstitut in Südafrika vereinbart. In Johannesburg hat das Bildungswerk Ende 2008 Projektbeteiligte aus Brasilien und Vietnam mit den afrikanischen Kolleginnen und Kollegen zusammengeführt. "Süd-Süd-Austausch wird immer wichtiger", erklärt Nina Berg, die das "Nord Süd Netz" leitet. Die Probleme sind überall ähnlich; mit Arbeitplatzverlagerungen haben alle zu kämpfen. Abgestimmte Gegenstrategien haben mehr Aussicht auf Erfolg. "Gerade diese Netzwerke nützen auch den Kollegen in Deutschland sehr", sagt Nina Berg.

Es geht um das Aufbauen von Ansprech- und Kooperationspartnerschaften. Dabei treffen sich manche der Projektteilnehmer des DGB wie der Brasilianer Filipe Saboya vom Institut Observatório Social oder die Indonesierin Rita Tambunam vom gewerkschaftlichen Forschungszentrum TURC dann wieder bei den zwölfmonatigen Kursen der Global Labour University, etwa an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht, wo den internationalen Gewerkschaftsaktivisten ein Diplomkurs über Gewerkschaftspolitik und Globalisierung geboten wird. An dessen Finanzierung wiederum das DGB Bildungswerk beteiligt ist.

RECHTSBERATUNG_ Bei der internationalen Gewerkschafts-Entwicklungsarbeit wird auch handfeste Unterstützung geleistet. So in Indonesien, wo Beschäftigte wegen ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft entlassen werden und das "Nord Süd Netz" deren rechtliche Beratung finanziert. Oder in Indien mit seinem enormen informellen Sektor. Dort erhält SEWA, eine Vereinigung selbstständiger Frauen, die ihr Geld durch Straßenhandel oder Heimarbeit verdienen, Hilfe für Ausbildung und Kommunikation: SEWA gilt als eine der erfolgreichsten Selbstorganisationen im informellen Sektor weltweit. Sie setzt neuerdings sogar Videos zur rechtlichen und gesundheitlichen Aufklärung ein und erreicht damit auch Frauen in abgelegenen Gebieten. Das hilft ihnen aus der Vereinzelung, die für diesen Sektor so typisch ist.

Solche Arbeit als Entwicklungsprojekt zu gestalten ist ein Balanceakt. Es unterwirft gewerkschaftliche Solidarität den Projektkriterien des Bundesministeriums und macht die deutschen Kollegen zu Gebern, die im Süden zu Empfängern. "Reisen deutscher Gewerkschaftsdelegationen zu Bildungsveranstaltungen im Süden dürfen wir nicht finanzieren", erklärt Nina Berg, "dabei wäre es so wichtig, um die Arbeits- und Lebensbedingungen anderswo wirklich zu verstehen." Allein die Abrechnungs- und Berichtspflichten des BMZ gegenüber den Partnerorganisationen durchzusetzen führt gelegentlich zu Spannungen. "Die türkische Lehrergewerkschaft wollte kein Geld, das vom deutschen Staat kommt", erzählt Nina Berg, "das hängt ja auch immer vom eigenen Verhältnis zum Staat ab."

In seinen Anfängen vor rund 20 Jahren gab das "Nord Süd Netz" den Rahmen ab für den emphatischen Internationalismus gewerkschaftsnaher Solidaritätsgruppen. Die Mittel waren geringer, das Engagement manchmal größer. Auf Solidarität mit unterdrückten Gewerkschaften im rassistischen Südafrika oder unter Militärherrschaft in Lateinamerika konnte man sich leichter einigen. In der globalisierten Welt ist die Solidarität komplizierter geworden.

Von daher hat die entwicklungspolitische Bildungsarbeit in Deutschland einen größeren Stellenwert bekommen. "Wir sind eben auch ein Dienstleister für die Gewerkschaften hier", sagt Bildungswerk-Chef Dieter Eich. Internationales Wissen hilft den deutschen Betriebsräten in global agierenden Konzernen, über ihre heimischen Interessenlagen hinaus die ausländischen Belegschaften mitzudenken. Geht es doch um die Durchsetzung guter Arbeit weltweit, und nicht nur in deutschen Betrieben.

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