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Magazin Mitbestimmung

: Schwerstarbeit im Klassenzimmer

Ausgabe 07+08/2009

GESUNDHEIT Lehrer sind einem besonders hohen Risiko ausgesetzt, psychisch zu erkranken. Jeder dritte leidet unter Stress-Symptomen.

Von DOMINIK REINLE, Journalist in Köln. Grafik: SIGNUM

Halbtagsjobber, Urlaubskönige, Freizeitjunkies - der Ruf von Lehrern ist nicht sehr schmeichelhaft. Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), damals noch Ministerpräsident in Niedersachen, brachte die herrschende Volksmeinung 1995 in einem Interview mit einer Schülerzeitung auf den Punkt: "Ihr wisst doch ganz genau, was das für faule Säcke sind." Seither hat sich das Image des Lehrerberufs in der Gesamtbevölkerung wohl kaum verändert.

In einer Studie des Allensbach-Instituts vom März 2009 geben 54 Prozent aller Befragten an, Lehrer klagten viel über ihre berufliche Belastung. 37 Prozent stimmen demnach der Aussage zu, Lehrer hätten zu viel Freizeit. In der Gruppe der Befragten mit Schulkindern ist das Lehrer-Image hingegen deutlich besser: Nur 23 Prozent der Eltern finden, dass Lehrer viel klagen. Außerdem sagen nur 19 Prozent der Eltern, Lehrer verfügten über zu viel Freizeit. Den Unterschied erklärt Allensbach-Geschäftsführerin Renate Köcher durch den Praxisbezug: Während Eltern ein Erfahrungsbild hätten, würden die anderen Befragten alten Stereotypen anhängen.

EIN BERUF MIT BESONDEREN GEFAHREN_ Auch wenn beim allgemein verbreiteten Lehrerbild eine Menge Vorurteile mitschwingen, beneidet die Bevölkerung die Pädagogen nicht: Laut der Allensbach-Untersuchung glauben 52 Prozent der Deutschen, dass der Lehrerberuf sehr anstrengend ist. Diese Einschätzung deckt sich mit der Selbstwahrnehmung vieler Lehrer. 56 Prozent von ihnen fühlen sich durch eine unangemessen hohe Arbeitsintensität belastet. Das zeigt der DGB-Index "Gute Arbeit" zur Arbeitsqualität dieser Berufsgruppe in den Jahren 2007/2008.

Besonders der Zeitdruck macht den befragten Lehrern zu schaffen. Der mehrstündige Unterricht erfordert überdies eine enorme Konzentration. Auch in den Pausen gibt es kaum Chancen zur Entspannung. Wie konfliktreich der Alltag ist, erkennt man daran, dass 34 Prozent der befragten Lehrer angeben, durch emotionale Anforderungen belastet zu sein, wie sie im Spannungsfeld zwischen Schülern, Eltern, Kollegen und Vorgesetzten entstehen. Die durchschnittliche emotionale Belastung aller befragten Berufsgruppen liegt mit 22 Prozent deutlich tiefer. Fast die Hälfte der Lehrer, so der DGB-Index, leidet außerdem unter einem hohen Lärmpegel. Bei allen Befragten sind es weniger als ein Viertel. "Kommen mehrere Faktoren wie Lärm, hoher Arbeitsdruck und große Klassen zusammen, steigt die Belastung nicht linear, sondern exponentiell", erklärt Diplom-Soziologin Tatjana Fuchs vom Internationalen Institut für Empirische Sozialforschung (INIFES). Sie hat den DGB-Index "Gute Arbeit" maßgeblich entwickelt.

Die erhöhte Belastung der Lehrer schlägt sich in ihrem Gesundheitszustand nieder, wie die Erwerbstätigenbefragung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) von 2005 und 2006 ergeben hat: Nur 16 Prozent geben an, dass bei ihnen während und unmittelbar nach der Arbeit keine gesundheitlichen Beschwerden auftreten. Lehrer leiden mehrheitlich an anderen Beschwerden als der durchschnittliche Beschäftigte. So treten physische Beschwerden bei Lehrern seltener als bei den Arbeitnehmern insgesamt auf - mit Ausnahme von Nacken- und Schulterschmerzen. Psychische Beschwerden sind bei Lehrern hingegen deutlich stärker verbreitet. Bei Müdigkeit, Nervosität, Kopfschmerzen und Schlafstörungen liegt die Häufigkeit unter Lehrern jeweils etwa zehn Prozentpunkte über dem Durchschnitt aller Beschäftigten. Von Burn-out sind Lehrer sogar fast dreimal häufiger als andere Beschäftigte betroffen. Besonders der Zeitdruck macht den befragten Lehrern zu schaffen.

AUF DER JAGD NACH DEN RISIKEN_ Angesichts ihres Gesundheitszustandes und der Arbeitsbedingungen können sich 34 Prozent der Lehrer nicht vorstellen, bis zur Rente durchzuhalten. Weitere 16 Prozent sind sich nach dem DGB-Index 2007/2008 diesbezüglich unsicher. Dass die Sorgen begründet sind, zeigen die Angaben des Statistischen Bundesamtes. Im Jahr 2007 gingen knapp 20 000 verbeamtete Lehrer in den Ruhestand - davon ließ sich nahezu jeder Vierte (23 Prozent) wegen Dienstunfähigkeit pensionieren. Zwar hat die Zahl der Frühpensionierungen kontinuierlich abgenommen, seit 2001 Abschläge bei Pensionierungen wegen Dienstunfähigkeit eingeführt wurden. Dennoch ließen sich auch 2007 mehr Lehrer wegen Dienstunfähigkeit pensionieren als allgemein im öffentlichen Dienstes, wo der Anteil bei 17 Prozent liegt.

Mediziner der Freiburger Universitätsklinik um Studienleiter Professor Joachim Bauer haben in den Jahren 2005 und 2006 erstmals analysiert, welche Faktoren es genau sind, die Lehrer krank machen. Das Ergebnis der von der Berliner Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin unterstützten Untersuchung, die an Freiburger Gymnasien und Hauptschulen durchgeführt wurde, ist beunruhigend: Offene Feindseligkeit, schwere Beleidigungen und Aggressivität erwiesen sich - neben zu großen Klassen - als die bei weitem stärksten Einzelfaktoren, welche die Lehrergesundheit belasten. 43 Prozent der Lehrer waren innerhalb eines Jahres Ziel massiver verbaler Angriffe, sieben Prozent haben Beschädigung persönlichen Eigentums erlebt, mehr als vier Prozent wurden mit körperlicher Gewalt bedroht, und 1,4 Prozent erlebten innerhalb des Zeitraums körperliche Gewalt. Bei den Hauptschulen liegen die Zahlen sogar noch etwas höher.

Wie ähnliche Untersuchungen bestätigt auch die Freiburger Lehrerstudie: 29,8 Prozent der Lehrkräfte leiden an medizinisch relevanten Stress- und Belastungssymptomen, insbesondere an Schlafstörungen und depressiven Beschwerden. "Die Daten zeigen erneut, dass schulische Lehrkräfte nach Umfang und Art einer andauernden Spitzenbelastung ausgesetzt sind", so Bauer. Er spricht von "Schwerstarbeitern im Klassenzimmer". Der Lehrerberuf ist nach Bauer ein klassischer Beziehungsberuf. Die Lehrerausbildung werde aber dieser Besonderheit nicht immer gerecht.

"Lehrkräfte, die zwar fachlich gut sind, aber nicht gelernt haben, gegenüber Schülern wirksam aufzutreten, sind nicht nur ineffiziente Ausbilder, sie verschleißen sich auch selbst und werden schneller krank", so Bauer. "Viele Lehrkräfte verfügen über kein ausreichendes Wissen darüber, wie man gelingende Beziehungen gestaltet - vor allem dann, wenn man es mit zunehmend schwierigen Partnern zu tun hat." Die Freiburger Forscher haben daher unter anderem mit Unterstützung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ein Kompetenztraining für Lehrer entwickelt. Das Ziel der Lehrer-Coachinggruppen heißt "Gesundheitsprophylaxe durch Stärkung der Beziehungskompetenz".

DEFIZITE BEIM ARBEITSSCHUTZ_ Für Anne Jenter vom GEW-Hauptvorstand ist allerdings "Verhaltensprävention", die Lehrkräfte in ihrem gesundheitsfördernden Verhalten weiter qualifiziert, nur ein Teil des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Noch wichtiger ist für sie die "Verhältnisprävention": "Wir müssen endlich auch die Rahmenbedingungen so verändern, dass Lehrerinnen und Lehrer weniger gesundheitsgefährdenden Situationen ausgesetzt sind." Seit 1996 ist in der Bundesrepublik das Arbeitsschutzgesetz in Kraft. Doch in den Schulen, so Jenter, wird dieses noch immer nicht systematisch umgesetzt. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten von Professor Wolfhard Kohte von der Universität Halle-Wittenberg, das von der GEW initiiert und der Hans-Böckler- sowie der Max-Traeger-Stiftung in Auftrag gegeben worden ist.

So fehlt es bis heute an einer flächendeckenden Gefährdungsbeurteilung. Nach dem Arbeitsschutzgesetz müssen solche Beurteilungen stattfinden, doch die Messmethoden sind wenig standardisiert. Allein die BAuA listet rund 100 unterschiedliche Erhebungsverfahren auf. Um Personalräten, die im Rahmen der Mitbestimmung an der Auswahl der Instrumente beteiligt sind, eine fundierte Entscheidung zu ermöglichen, hat die GEW daher ein weiteres Gutachten angeregt. Ralf Neuner von der Universität Ulm unterzog 2007 ausgewählte Messverfahren und Fragebögen einer kritischen Überprüfung.

Demnach ist unter anderem ein dänisches Messverfahren, bekannt als Copenhagen Psychosocial Questionnaire zur Erfassung psychischer Belastungen von Lehrern gut geeignet. Das Verfahren wird auch in Deutschland eingesetzt: Das Messverfahren bildet die Basis eines weiterentwickelten Fragebogens, anhand dessen seit 2008 bis 2010 die Freiburger Forschungsstelle Arbeits- und Sozialmedizin (FFAS) an allen 4200 Schulen in Baden-Württemberg die psychische Belastung bei Lehrkräften ermittelt. Der Fragebogen ist in Absprache mit dem Kultusministerium und den Personalvertretungen entstanden.

Doch nicht überall ist man so weit. "Dem hohen Bedarf an Fachkräften für Arbeitssicherheit und Betriebsärzten sowie an Arbeitsschutz-Ausschüssen wird nicht im Entferntesten entsprochen", sagt Jenter. Hier setzt die GEW an. "Wenn für Maßnahmen wie etwa den Einsatz eines Betriebsarztes kein Geld da ist, führen wir Gespräche mit den Landtagsfraktionen, um Druck zu machen", so Jenter.

Entscheidend sei, so sagt sie, dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz nicht wie bisher in Pilotuntersuchungen und Pilotmaßnahmen stecken bleibe. "Das Bundesarbeitsministerium hat sicherzustellen - etwa im Rahmen der Ende 2008 gestarteten Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie -, dass das Bundesgesetz zum Arbeitsschutz tatsächlich umgesetzt wird."

Doch nur auf das Ministerium zu warten wäre aus Sicht der GEW falsch: "Sind Gesundheitsbelastungen an einer Schule einmal bekannt und belegt, können die Personalvertretungen im Rahmen ihres Initiativrechts konkrete Maßnahmen zur Verbesserung vorschlagen", sagt Jenter. "Dieses Recht, das in den Landespersonalvertretungsgesetzen verankert ist, bietet die Möglichkeit, mit dem Dienstherrn Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz zu vereinbaren - gegebenenfalls über die Einigungsstelle."

Mehr Informationen

Tatjana Fuchs/Falko Trischler: Arbeitsqualität aus Sicht von Lehrerinnen und Lehrern. Ergebnisse aus der Erhebung zum DGB-Index Gute Arbeit 2007/2008 (Bestellen unter www.gew-berlin.de/18524.htm)

Anne Jenter/Ulrich Faber: Arbeits- und Gesundheitsschutz der Lehrkräfte. Eine Aufgabe für Schulpersonalräte. Der Personalrat 2008, Heft 2, Seite 8 bis 61

Aktuelle Informationen, Broschüren und Gutachten zum Arbeitsschutz an Schulen und zur Gefährdungsbeurteilung liefert die GEW-Website unter www.gew.de/Arbeits-_und_Gesundheitsschutz_an_Schulen.html

Informationen zum Copenhagen Psychosocial Questionnaire, der in einer weiterentwickelten Form flächendeckend in Baden-Württemberg eingesetzt wird:
http://www.test-schule-copsoq.de/

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