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Magazin Mitbestimmung

: Folgenreiche Fehlentscheidungen

Ausgabe 05/2007

OUTSOURCING Den Kostenargumenten der Arbeitgeber bei Verlagerungs-Plänen Paroli zu bieten fällt vielen Betriebsräten schwer. Ein IG-Metall-Projekt macht sie jetzt für solche Auseinandersetzungen fit.



Von CHRISTOPH MULITZE. Der Autor arbeitet als freier Journalist in Düsseldorf.


Das Geschäft der Atlas Copco Energas GmbH in Köln brummt. Die Auftragslage beim Hersteller von Turbinen und Turbokompressoren für Industrieanlagen hat sich in den vergangenen drei Jahren verdoppelt. Die Geschäftsführung ist mehr als zufrieden, sie hat den Betriebsrat darüber informiert, knapp zehn Millionen Euro in die mechanische Werkstatt zu investieren. Ohne den Betriebsrat würde es die mechanische Fertigung bei Atlas Copco heute gar nicht mehr geben.

VOM PROBLEMFALL ZUM VORBILD_ Rückblick ins Jahr 2002: Die Geschäftsführung konfrontiert den Betriebsrat mit dem Vorhaben, die Werkstatt teilweise oder sogar komplett zu schließen und Fremdfirmen mit der Fertigung zu beauftragen. Grundlage sind Berechnungen einer Unternehmensberatung. Demnach liegen die Herstellungskosten um zwei Drittel über dem Einkaufspreis. In zwei verschiedenen Szenarien soll das Fertigungsvolumen um 50 bis 70 Prozent reduziert werden. Betroffen davon wären zwischen 30 und 63 der insgesamt rund 460 Arbeitsplätze.

Atlas Copco könnte angeblich eine Million Euro pro Jahr sparen und den Unternehmensgewinn vor Steuern von einem auf acht Prozent steigern. "Diesen Berechnungen standen wir skeptisch gegenüber, konnten sie aber nicht entkräften. Es fehlte uns einfach das betriebswirtschaftliche Know-how", gibt Udo Bonn, Betriebsratsvorsitzender bei Atlas Copco, zu. Deshalb schaltete der Betriebsrat die Technologie­beratungsstelle (TBS) Köln ein.

In einem mehrtägigen Workshop stellten Betriebsrat und TBS zunächst gemeinsam einen Maßnahmeplan auf. Erster Schritt: Die Kostenberechnung der Arbeitgeberseite wurde überprüft. Mit Hilfe der Einkaufsabteilung wurden sowohl Angebote potenzieller Zulieferer aus Deutschland und Tschechien als auch Transportkosten sowie die Kosten möglicher Qualitätsmängel und Ablaufprobleme ermittelt. Das Ergebnis war ernüchternd: Die Kostenvorteile einer Verlagerung ließen sich nicht wegrechnen.

In weiteren Schritten versuchte der Betriebsrat nun, die Geschäftsführung davon zu überzeugen, dass die Auslagerung zum Verlust von Schlüsselkompetenzen und damit zu wirtschaftlichen Nachteilen außerhalb der Kostenbetrachtung führen würde: Beispielsweise könnte auf kurzfristige kundenspezifische Wünsche nicht mehr eingegangen werden. Diese fehlende Flexibilität wäre ein Wettbewerbsnachteil und würde Kunden vergraulen. Die­se Argumente stießen allerdings auf taube Ohren.

Deshalb erarbeiteten der Betriebsrat und die TBS-Sachverständigen schließlich Vorschläge, wie Geld einzusparen sei - denn das war für das Management der wichtigste Effekt des Outsourcing-Vorhabens. Betriebsrat und Geschäftsführung verhandelten darüber, und am Ende stand eine Betriebsvereinbarung mit Beschäftigungssicherung für alle Mitarbeiter über drei Jahre. Die beiden entscheidenden kostenreduzierenden Maßnahmen: Durch verbesserte Arbeitsabläufe wurden die Vorgabezeiten in der Produktion um insgesamt zehn Prozent reduziert, und die Arbeitszeit wurde flexibilisiert.

"Der Betriebsrat war erfolgreich, weil er nicht klein beigegeben, sondern eine eigene Strategie zur Beschäftigungssicherung entwickelt und die Mitarbeiter vom ersten Tag an aktiv in die Auseinandersetzung einbezogen hat", sagt Kai Beutler, damals der federführende TBS-Berater und heute Geschäftsführer der Betriebsratsstrategieberatung bsb GmbH in Köln. Während der Auseinandersetzung trug die Belegschaft T-Shirts mit dem Aufdruck "Outsourcing - nein, danke!" Diese Solidarität mit den betroffenen Kollegen war mehr als bloße Symbolik. "Es war uns wichtig, die gesamte Belegschaft zu mobilisieren. Wir haben der Geschäftsführung damit gezeigt, dass wir uns als Einheit verstehen", sagt Bonn.

Diese unmissverständliche Haltung, nicht nur über einen Sozialplan verhandeln, sondern das gesamte Outsourcing-Projekt verhindern zu wollen, hat das Management nach anfänglichem Zögern schließlich an den Verhandlungstisch gebracht. "Es hat sich dann allerdings kooperativ verhalten und war jederzeit kompromissbereit", lobt Bonn. Dieses Verhalten war keineswegs selbstverständlich. Schließlich musste die Geschäftsführung nicht nur alle Zahlen offenlegen, sondern auch ihre mittel- und langfristige Unternehmensstrategie preisgeben. "Atlas Copco Energas ist einer von wenigen Betrieben, bei denen der Betriebsrat es geschafft hat, Outsourcing komplett und nachhaltig zu verhindern", sagt Beutler.

"KOMPETENZ & INNOVATION"_ Das Beispiel von Atlas Copco zeigt zweierlei: die Tendenz vieler Unternehmensberatungen, Outsourcing und Offshoring voranzutreiben, und die Defizite der Betriebsräte in betriebswirtschaftlichen und unternehmensstrategischen Angelegenheiten. "Viele Betriebsräte, die mit Outsourcing-Plänen konfrontiert werden, fühlen sich inhaltlich damit überfordert und trauen sich deshalb nicht, eine Gegenposition zu beziehen", sagt Steffen Kinkel, Leiter der Abteilung Industrie- und Serviceinnovationen am Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe. Mittelfristig sollten sich die Arbeitnehmervertreter wappnen, indem sie sich betriebswirtschaftlich weiterbilden.

Kinkel gehört zu den externen Wissenschaftlern eines Projektes, das die IG-Metall-Bezirke Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg gemeinsam ins Leben gerufen haben: "Kompetenz & Innovation". Dieses Projekt soll dazu beitragen, den Zeitgeist zu verändern. "Der Billiger-Strategie der Arbeitgeber wollen wir eine konstruktive Besser-Strategie entgegensetzen", sagt Detlef Wetzel, IG-Metall-Chef in Nordrhein-Westfalen. Der besondere Ansatz: Betriebsräte und Wissenschaftler sind in diesem Projekt vereint.

"Uns ist es wichtig, für Betriebsräte den aktuellen Forschungsstand aufzubereiten und sie damit für ihre Auseinandersetzung im Betrieb zu unterstützen", sagt Inger Korflür von der Sustain Consult Beratungsgesellschaft für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung mbH in Dortmund. Die Ergebnisse der Wissenschaft sollen Betriebsräte bestärken, neben Kostenaspekten gleichberechtigt auch qualitative und strategische Fragen wie Lieferfähigkeit und Qualität zum Thema zu machen. Korflür: "Letztlich ist alles eine Frage der Bewertung: Sind dem Unternehmen die Kosten oder qualitative Aspekte wichtiger?"

In Workshops bearbeiten die Betriebsräte gemeinsam mit den Wissenschaftlern aktuelle Fallbeispiele aus dem Alltag. Im ersten von zunächst vier Teilprojekten geht es um Outsourcing/Offshoring. Anschließend stehen Leiharbeit und deren Auswirkungen auf die Innovation, der Umgang mit älteren Mitarbeitern und die Innovationskultur im Fokus der Fallbearbeitungen. Weitere sechs Themenbereiche, die inhaltlich noch nicht feststehen, folgen. Am Ende werden alle Resultate auf ihre Generalisierbarkeit hin überprüft, und jedes der zehn Teilprojekte wird mit einem umfassenden Memorandum abgeschlossen.

Als eine Art Musterbeispiel, wie mit dem Thema Outsourcing umgegangen werden kann, dient Atlas Copco. "Dort wurde das Problem auf sehr pfiffige Weise gelöst", sagt Inger Korflür, die Verlagerungen nicht grundsätzlich ablehnt. "Sie können sinnvoll sein, wenn sie marktorientiert sind oder Zeit schaffen für lohnendere Tätigkeiten. Dann kosten sie auch nicht unbedingt Arbeitsplätze", meint sie. Ein Unternehmen, das outsourcen möchte, muss auf jeden Fall gut aufgestellt sein. Wer hier in Deutschland seine Probleme nicht in den Griff bekommt und deshalb ins Ausland geht, nimmt die Probleme mit. "Probleme lassen sich aber nicht durch Verlagern lösen", warnt Korflür.

Die Argumente der Arbeitgeber für Outsourcing sind fast immer dieselben: Sie wollen die Kosten senken. Dabei denken sie gar nicht immer ernsthaft ans Verlagern - häufig reicht die Androhung eines solchen Szenarios schon, um die Mitarbeiter in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Sozialwissenschaftler Elke Ahlers, Fikret Öz und Astrid Ziegler haben für eine Hans-Böckler-Studie mehr als 2000 Betriebsräte in West- und Ostdeutschland zu Standortver­lagerungen befragt.

Das Ergebnis der repräsentativen Untersuchung: Rund 16 Prozent der Betriebe in Deutschland mussten sich schon mit diesem Thema beschäftigen - knapp neun Prozent haben tatsächlich verlagert. Die anderen haben den Betriebsräten und Belegschaften weit reichende Zugeständnisse bei Löhnen und Gehältern, Sonderzahlungen, Arbeitszeitregelungen und Arbeitsbedingungen abgetrotzt. "Die Drohkulisse allein reicht oft schon, um die Arbeitnehmervertreter in die Knie zu zwingen", sagt Korflür.

HOHE FOLGEKOSTEN STATT ERSPARNIS_ Auch der Betriebsrat und die Geschäftsführung der Happich Fahrzeug- und Industrieteile GmbH in Wuppertal verhandeln zurzeit. Vor einem Jahr hatte das Unternehmen, das in Wuppertal zirka 230 Mitarbeiter beschäftigt, bereits die Logistik nach Bor in Tschechien verlagert. 52 Stellen wurden am deutschen Standort gestrichen. In diesem Jahr, so der Plan des Arbeitgebers, sollte die Fertigung einer neuen Türengeneration für die Caravan-Industrie folgen: Direkt neben dem Logistiklager in Bor war ein Fertigungszentrum geplant.

Betroffen davon wären etwa 15 Mitarbeiter. Das Vorhaben allerdings stockt. Der Grund: Es gibt in Deutschland bei der Produktion dieser neuen Türen zahlreiche Probleme. Mit der Produktion würde Happich gleichzeitig die Probleme verlagern, und das ist der Geschäftsführung im Moment zu riskant. "Für die etwa 200 Einzelteile dieser Tür haben wir rund 50 verschiedene Lieferanten.

Klar, dass der Produktionskreislauf noch nicht optimal ist", sagt Betriebsrat Björn Neerfeld, der sich zweifach fit macht für die Auseinandersetzung mit dem Happich-Management: Er nimmt an den IG-Metall-Workshops zum Outsourcing teil und bildet sich zum Veränderungsmanager an der Universität Bochum weiter. In Bor müsste das komplette Zuliefer-Netzwerk neu aufgebaut werden - und Happich hätte zudem die sprachlichen und steuerrechtlichen Barrieren sowie das Problem der Transportwege zu bewältigen.

Der neue Happich-Geschäftsführer hat sich vor einigen Wochen auf einen gemeinsamen Workshop mit den Wissenschaftlern aus dem Projekt "Kompetenz & Innovation" und dem Betriebsrat eingelassen, um alle Argumente für und wider eine Produktionsverlagerung nach Tschechien zu erörtern. Fraglich scheint, ob es allein die aktuellen Pläne sind, die ihn dazu veranlasst haben. Betriebsrat Neerfeld vermutet, dass schon die Verlagerung der Logistik ein finanzieller Flop gewesen ist: "Es war sehr aufwändig, die Mitarbeiter in Bor einzuarbeiten.

Viele Kollegen aus Wuppertal waren oft und lange dort, und das dürfte sehr teuer gewesen sein." Sein Fazit nach einem Jahr: "Wir sind durch die Verlagerung weder besser noch billiger geworden." Die Ausgangslage in den Verhandlungen sieht er trotzdem mit gemischten Gefühlen: Wenn es der Belegschaft gelingt, die Probleme bei der Türenproduktion zu lösen, rückt die Verlagerung der Produktion möglicherweise näher. Hilft sie nicht mit, die Mängel zu bewältigen, steht vielleicht demnächst das gesamte Unternehmen auf der Kippe.

Viele Unternehmensberatungen sehen im Outsourcing und Offshoring ein Allheilmittel zur Kostensenkung - nicht selten zum eigenen Vorteil. Denn es ist finanziell sehr lukrativ, einen solchen Prozess zu begleiten. Da werden die Gesamtkosten, die sich durch eine Verlagerung über einen längeren Zeitraum ergeben, schon mal gerne unterschlagen: Beispielsweise wird bei den Arbeitskosten in Osteuropa nicht berücksichtigt, dass sie erheblich schneller steigen als in Deutschland. Tatsächlich sollte, wer verlagert, mit dreifachen Kosten rechnen: Aufbau des Standorts, Nacharbeit bei der Qualität und - wenn alle Stricke reißen - Rückkehr nach Deutschland. Wer umzieht, weil er für die neue Wohnung weniger Miete zahlen muss, stellt hinterher auch oft fest: Das mit der Ersparnis war eine Milchmädchenrechnung.

Denn er musste renovieren, ein Umzugsunternehmen beauftragen und sich vielleicht auch ein paar Möbel kaufen, weil die alten nicht in die neue Wohnung passen. Trotz geringerer Miete kann der Wohnungswechsel am Ende ein teurer Spaß werden. "Genauso ergeht es vielen Unternehmen, die ihren Standort verlagert haben und später merken, dass sie nicht alle Effekte des Outsourcings berücksichtigt hatten", sagt Korflür, die resümiert: "Outsourcing muss man sich leisten können."

ARGUMENTE FÜR BESSERE ENTSCHEIDUNGEN_ Wissenschaftliche Untersuchungen belegen: Auf jeden vierten bis fünften Verlagerer ins Ausland kommt zwei Jahre später ein Rückverlagerer. Kinkel geht davon aus, dass noch wesentlich mehr Verlagerungen scheitern. "Nicht viele Unternehmen machen eine problematische Entscheidung rückgängig und kehren zurück. Die meisten ziehen das aufgrund der hohen, bereits versenkten Vorbereitungs-, Investitions- und Anlaufkosten durch - egal, wie teuer das noch wird", sagt der Outsourcing-Experte.

Auf der Liste der Rückkehrer steht beispielsweise die Casco Schutzhelme GmbH in Bretnig-Hauswalde. Sie tauschte den Standort Tunesien gegen Sachsen ein - Qualität, Flexibilität und schnellere Innovationsumsetzung sprachen am Ende doch für Deutschland. Der Maschinenbauer Vietz GmbH (Hannover) kehrte reumütig aus China zurück. Die Gründe: Qualitätsmängel und eine unsichere Rechtslage. Ein Joint-Venture-Partner hatte Vietz ausspioniert und Betriebsgeheimnisse geklaut.

Unter diesen strategischen Fehlentscheidungen litten vor allem die Belegschaften. Viele Mitarbeiter verloren durch Verlagerungen ihren Job. Mit Besser-Strategien wäre das zu verhindern gewesen. Auch das soll das Projekt "Kompetenz & Innovation", das für zunächst ein Jahr aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie des Europäischen Sozialfonds gefördert wird, künftig leisten. "Wir müssen der Frage nachgehen, welche Kompetenzen Betriebsräte benötigen, um präventiv handeln zu können. Dynamische Praxis-Wissenschafts-Beziehungen können ein Weg sein, um betriebliche Interessenvertretungen in die Lage zu versetzen, gegebenenfalls auch Alternativen für den Erhalt und den Aufbau von industriellen Arbeitsplätzen zu finden", sagt NRW-IG-Metall-Chef Wetzel.

Bei Atlas Copco wird der Betriebsrat solche Alternativen zunächst nicht suchen müssen: Kai Beutler und seine Beraterkollegen haben berechnet, dass durch die Anschaffung der neuen Maschinen ein Bedarf von zusätzlich mindestens zehn neuen Mitarbeitern besteht.



MEHR INFORMATIONEN
Elke Ahlers/Fikret Öz/Astrid Ziegler: Standort­verlagerung in Deutschland - Einige
empirische und politische Befunde. Edition der Hans-Böckler-Stiftung, Band 194, Düsseldorf 2007

Steffen Kinkel, Christoph Zanker: Globale Produktionsstrategien in der Automobilzuliefer­industrie - Erfolgsmuster und zukunftsorientierte Methoden zur Standortbewertung. Berlin, Heidelberg, New York 2007

PROJEKT "KOMPETENZ & INNOVATION"
IG Metall Nordrhein-Westfalen:
Wolfgang Nettelstroth, Telefon: 0211/45484127
IG Metall Baden-Württemberg:
Frank Iwer, Telefon: 0711/165-81-42

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