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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Wir verhandelten nächtelang'

Ausgabe 03/2006

Seine Karriere ist eng mit dem Kampf um die Mitbestimmung verbunden: Otto Graf Lambsdorff über die FDP in den 70er Jahren und über die Unternehmensmitbestimmung von heute


Mit Otto Graf Lambsdorff sprachen in Bonn Cornelia Girndt und Margarete Hasel.


Anfang 1974 lag der Entwurf der Regierungskoalition zu einem Mitbestimmungsgesetz vor. Es folgte ein Aufschrei der Wirtschaft. Zwei Jahre später sah das Gesetz ziemlich anders aus, da war die Doppelstimme drin und der Minderheitenschutz - alles Dinge, die die Gewerkschaften strikt ablehnten. Wie ist Ihnen dieses Kunststück gelungen?
Nun ja, es war wie immer bei Gesetzgebungsverfahren. Es wird ein Referentenentwurf gemacht, der geht an die Verbände, die fangen dann an loszulegen. Natürlich sind sie gekommen und haben gesagt: "Das passt uns nicht, das wollen wir so oder das wollen wir anders." Das ist auch nicht zu kritisieren.

Wir sind natürlich neugierig, wie die Wirtschaft über die mitregierende FDP versuchte, dem Mitbestimmungsgesetz die Zähne zu ziehen.
Es spricht alles dafür, dass sie das versucht haben und dass wir für Gespräche offen waren. Dass die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände nicht herzlich erfreut war über die Beschlüsse des Freiburger Parteitages 1971 und die Entwicklung in der FDP, liegt auch auf der Hand.

War das sozialreformerische Profil der FDP in den 70er Jahren ein liberaler Ausrutscher?
Beim Freiburger Parteitag hat sich die FDP ausdrücklich und klar zur Mitbestimmung bekannt, allerdings mit Einschränkungen, die den Gewerkschaften und dem sozialdemokratischen Koalitionspartner nicht gefielen. Wir sind immer der Meinung gewesen, dass die Montanmitbestimmung unakzeptabel ist, weil sie verfassungswidrig ist. Nur ist das seinerzeit nicht festgestellt worden, weil die Einspruchsfrist abgelaufen war. Die Arbeitgeber haben damals nicht das Bundesverfassungsgericht angerufen.

Wie wurde denn innerhalb der Koalition um den Mitbestimmungskompromiss gerungen?
Wir verhandelten nächtelang und über die Wochenenden hinweg im Bundeskanzleramt und im Kanzlerbungalow. Friedhelm Farthmann war dabei, Herbert Wehner war dabei und die Ministerialbeamten aus dem Bundesarbeitsministerium; Karl Fitting war einer der Experten für die Mitbestimmung an der Seite des Arbeitsministers wie auch Hellmut Wissmann, der später Präsident am Bundesarbeitsgericht wurde.

War absehbar, dass die oppositionelle CDU mit großer Mehrheit dem Mitbestimmungsgesetz zustimmen würde?
Erstmal musste eine Einigung innerhalb der Koalition gefunden werden. Das war höchst kompliziert und höchst schwierig und hat eben zu wirklich langen und teilweise erbitterten Verhandlungen und Gesprächen geführt, bis wir uns einigen konnten. Dann erst konnte man der Opposition etwas auf den Tisch legen und fragen: "Wollt ihr oder wollt ihr nicht?"

Mit großer Mehrheit wurde das Gesetz am 18. März 1976 vom Bundestag angenommen - auch wenn das strittige Wahlverfahren außen vor blieb. Sie haben den Entwurf für die mitregierende FDP begründet.
Die Debatte lief den ganzen Tag, die Bundesdrucksache zählt knapp 100 Seiten. Beim Nachlesen empfinde ich fast Wehmut, mit welcher Intensität man damals noch im Plenum des Bundestages diskutieren konnte. Heute geht alles im Schnellverfahren.
 
Trotzdem zogen die Arbeitgeberverbände vor das Bundesverfassungsgericht.
Ich habe gesagt: "Lasst das bleiben, dieses Gesetz ist nicht verfassungswidrig, weil wir das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden eingeführt haben." Und das hat das Verfassungsgericht hinterher ja auch bestätigt. Sie können sich nicht vorstellen, wie mühselig es war, diese Fragen in der Koalition zu diskutieren und durchzusetzen. Mit Friedhelm Farthmann bin ich an einem Sonntagnachmittag von Düsseldorf hierher nach Bonn gefahren, da sagt er mir im Auto: "Also wenn das Mitbestimmungsgesetz in dieser Form verabschiedet wird, lege ich mein Mandat nieder." So weit ging das.

Was waren die entscheidenden Punkte?
Das war der leitende Angestellte, das war das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden und das war das von der FDP betriebene Wahlverfahren.

Beim Freiburger Parteitag 1971 hatte sich mit dem Riemer-Modell die wirtschaftsliberale Variante durchgesetzt, das Maihofer-Modell war unterlegen …
(Lacht) Glücklicherweise hatten wir eine Stimme Mehrheit, weil ein betrunkener Jungdemokrat im Keller saß und nicht mit gestimmt hatte …

Wer hatte den auf dem Gewissen …?
Das Maihofer-Modell hatte zwar auch schon den leitenden Angestellten, aber es war sehr stark am Montanmodell orientiert, beinhaltete also die volle rechnerische und rechtlich fixierte Parität, und die wollten wir nicht.

Auf allen Seiten herrschte helle Aufregung. 1975 hat der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates, Philipp von Bismarck, gar von einem "Ermächtigungsgesetz für Fremdbestimmung" gesprochen.
Diese Vergleiche mit dem Dritten Reich hauen jedes Mal daneben, die sollten wir lassen. Aber die Aufgeregtheiten waren da. Die Unternehmer hätten am liebsten kein Mitbestimmungsgesetz gesehen, die waren mit der Drittelparität zufrieden, die Montanmitbestimmung konnten sie nicht mehr abschaffen.

Wahrscheinlich empfanden sie die Mitbestimmung als überflüssige Veranstaltung. Wir fanden das nicht, und deswegen hatten wir Auseinandersetzungen - nicht zuletzt auch mit der Unternehmerseite und den Arbeitgeberverbänden.

Wie haben Sie aus der liberalen Weltanschauung heraus dieses Mitbestimmungs- oder Mitspracherecht begründet?
Ich meine schon, dass die Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse und daraus abgeleitet ein Recht haben, über die Gestaltung des Unternehmens, über Investitionen oder Verlagerungen ins Ausland nicht nur informiert zu werden - das geschieht im Wirtschaftsausschuss -, sondern auch mitentscheiden zu können, mindestens mitreden und mitberaten zu können. Wobei die Anteilseignerseite immer ein Letztentscheidungsrecht haben muss. Das galt damals, das gilt heute.

Wie verträgt sich das mit dem Beschluss Ihrer Partei von 2005: Drittelbeteiligung und keine externen Arbeitnehmer im Aufsichtsrat.
Das ist die offizielle Meinung der FDP. Was die Drittelparität angeht, so habe ich dafür durchaus Sympathie, aber ich glaube nicht, dass das ein essenzielles Problem ist.

Und was die Gewerkschaftsvertreter betrifft?
An diesem Punkt habe ich öffentlich meiner Partei widersprochen. Meinen Erfahrungen nach schadet es nicht - um das einmal ganz zurückhaltend zu sagen -, wenn man auf der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat jemanden sitzen hat, der über den Horizont des Unternehmens hinausschauen kann. Die Entscheidung darüber sollte man allerdings den Betriebsangehörigen überlassen. Wobei das Vorschlagsrecht für die Kandidaten schon die im Betrieb vertretene Gewerkschaft haben muss. Wie soll man das sonst organisieren?

Wo sehen Sie noch Revisionsbedarf?
Bei der Größe der Aufsichtsräte. 20 Mitglieder halte ich generell nicht für zweckmäßig. Die Anforderungen an die Aufsichtsräte haben sich erheblich erhöht. Viele Unternehmen suchen auf der Anteilseignerseite händeringend Kandidaten. Kein Mensch nimmt noch ein Aufsichtsratsmandat an, ohne gegen Haftungsansprüche abgesichert zu sein.

Sie haben weithin Aufsichtsratserfahrung. Wie gut läuft es in der Praxis?
Der Umgang ist vernünftig, und es läuft zielbewusst, am Unternehmen orientiert. Mit Ausreißern muss man zurechtkommen. Ich habe zum Beispiel bei IVECO Magirus einmal das Doppelstimmrecht benutzt bei der Bestellung eines Personalvorstandes, gegen den es Widerstand von der IG Metall gab. Aber hinterher waren doch alle zufrieden.


Trotz Doppelstimme - manchmal passiert es, dass die Arbeitnehmerbank zusammen mit einer Anteilseignerfraktion die Mehrheit hat.
Wir wissen alle, dass bei DaimlerChrysler der bisherige Vorstandsvorsitzende kurz vor der Hauptversammlung nicht wiederbestellt worden wäre, wenn nicht geschlossen die Arbeitnehmerseite und ein paar Anteilseigner für ihn gestimmt hätten. Sehen Sie sich an, was sich zur Zeit bei VW tut. Natürlich gibt es über die beiden Bänke hinweg gelegentlich Koalitionen. Bei der Lufthansa sind drei Gewerkschaften vertreten. Glauben Sie, die stimmen immer einheitlich ab? Natürlich nicht. Mehr darf ich nicht sagen.

War in der alten Deutschland AG die Kapitalseite homogener als mit den Finanzinvestoren von heute?
Endlich ist die alte Deutschland AG aufgebrochen worden. Aber was für eine verrückte Entwicklung! Wir haben jahrelang gegen die Macht der Banken in den Unternehmen argumentiert und dem Finanzminister Waigel vorgeschlagen, die steuerliche Belastung für den Verkauf von Industriebeteiligungen zu mindern. Daraus ist nie was geworden. Dann kam plötzlich Herr Eichel - mit der Nulllösung. Ich war völlig verdutzt. Wenn er den Steuersatz halbiert hätte, wäre es genug gewesen, auf so viel brauchte der Staat nicht zu verzichten.

Herr Rogowski hat 2004 gesagt, die Mitbestimmung sei ein historischer Irrtum.
Der Auffassung bin ich nicht. Das halte ich für falsch.

Aber?
Ich bin dafür, dass wir Mitbestimmung haben. Ich bin dafür, dass wir die Aufsichtsräte verkleinern. Ich bin dafür, dass wir die Arbeitnehmer in den Unternehmen entscheiden lassen, durch wen sie vertreten werden wollen.

Schon heute muss sich jeder Kandidat von der Arbeitnehmerseite der Wahl stellen …
… und ich habe auch durchaus eine Sympathie dafür, zu überlegen, ob wir nicht im größeren Maße auf die Drittelbeteiligung zurückgehen müssen, dies vor allem unter europäischen Gesichtspunkten. Auch die Gewerkschaften müssen verhindern, dass Unternehmensgründungen im Ausland erfolgen, bloß um die deutsche Mitbestimmung zu vermeiden.

Andere Standortfaktoren sind doch entschieden wichtiger. Wir beobachten, dass dieses Bedrohungsszenario stark Interessen geleitet herangezogen wird.
Es gibt immer viele Faktoren. Wer die Mitbestimmung grundsätzlich attackieren will, der wird sie natürlich als das Erzübel darstellen, weswegen Investitionen ausbleiben und Arbeitsplätze fehlen. Aber eine Rolle spielt sie schon - vor allem bei Neugründungen. Die europäische Aktiengesellschaft sichert ja auch nicht die deutsche Mitbestimmung, sondern lässt sie sehr schnell hinten runter fallen.

Es muss verhandelt und neu konfiguriert werden. Dabei macht es schon einen entscheidenden Unterschied, ob die Rückfallposition die Drittelbeteiligung oder die Fastparität ist.
Die Konstellation des 76er Gesetzes fördert zwei Dinge, die mich immer gewaltig gestört haben. Eines ist, dass häufig genug in Aufsichtsräten Dinge miteinander verknüpft werden, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, etwa: "Wir stimmen der neuen Fabrik nur zu, wenn es auch eine neue Kantine gibt."

Und was stört Sie noch?
Gefährlicher ist die Abhängigkeit der Vorstände von den Arbeitnehmervertretern und Gewerkschaftern, wenn es um die Verlängerung ihrer Vorstandsverträge geht. Das ist im Fall DaimlerChrysler, bei Herrn Schrempp, ja deutlich sichtbar geworden. Das war übrigens auch schon Ende 1974 sichtbar geworden bei den Anhörungen im Bundestag zum Mitbestimmungsgesetzentwurf.

Da tauchten die Vorstandsvorsitzenden der großen montanmitbestimmten Gesellschaften auf, und nur einer hatte wirklich den Mut, zu sagen, was bei der Verlängerung von Vorstandsverträgen im Aufsichtsrat vor sich geht. Das war Egon Overbeck von der Mannesmann AG. Alle anderen dachten wohl an ihre eigenen Verträge.

Es wird kein Leben ohne Abhängigkeiten geben. Auch die leitenden Angestellten - gerade wenn sie noch voller Karrierehoffnungen sind - befinden sich in einer Abhängigkeit von den Vorständen. Das hat nicht nur die ULA-Studie gezeigt.
Das sehe ich nicht. Ich habe durchaus erlebt, wie sich leitende Angestellte gegen den Vorstand und auch gegen die Anteilseignerseite im Aufsichtsrat gestellt haben. Aber ich will nicht bestreiten: Auf dieser Welt gibt es nichts ohne Abhängigkeiten, niemand agiert im luftleeren Raum.

Davon kann auch Hermann Rappe berichten. Als er mit Ihnen 1977 noch nachträglich das Wahlverfahren zum Mitbestimmungsgesetz verhandelte, hätten Sie bei einem der morgendlichen Treffen der SPD/FDP-Gruppe zu ihm gesagt: "Jetzt ist Schluss mit der Kasperei, entweder ihr stimmt unserem Vorschlag zu, oder das CDU-FDP-regierte Saarland wird im Bundesrat die Zustimmung zum Kostendämpfungsgesetz verweigern."
Das weiß ich nicht mehr. Sicher ist: Die FDP hätte einem Mitbestimmungsgesetz ohne Minderheitenschutz nicht zugestimmt. Dazu brauchte ich kein Kostendämpfungsgesetz. Wir wollten, dass auch andere gewerkschaftliche Gruppierungen eine Chance haben, und das war nur über den Minderheitenschutz zu erreichen und über ein zugegebenermaßen kompliziertes und auch teures Wahlverfahren.

Worüber die Unternehmen nicht glücklich sind.
Die kritisierten uns und sagten: Uns ist es doch ganz egal, wenn wir denn schon die Gewerkschaften ertragen müssen, dann können wir sie auch von einer Gewerkschaft ertragen, dazu brauchen wir nicht das umständliche Wahlverfahren, das ihr uns hier aufdrängt, das Zeit und Geld kostet. Stimmt alles, aber für uns war der Minderheitenschutz als liberale Partei eine Grundsatzposition.

Der Mitbestimmungs-Kompromiss hat lange Jahre getragen. Können Sie uns erklären, warum die Arbeitgeberseite nun das Paket wieder aufschnürt und damit den Gewerkschaften den Krieg erklärt?
Die Unternehmerseite hat sich arrangiert. Das heißt aber nicht, dass sie die Mitbestimmung ins Herz geschlossen hat und als Kleinod bewahren will. Wenn sie eine Gelegenheit findet, so etwas zu revidieren, einzuschränken, zu ändern, dann wird sie das tun, und diese Gelegenheit bietet sich mit der Europäischen Aktiengesellschaft.



Zur Person
Otto Graf Lambsdorff, 79, ist Ehrenvorsitzender der FDP und Vorsitzender der Naumann-Stiftung. Der wirtschaftsnahe Jurist machte eine steile politische Karriere. Seit 1972 im Bundestag, wurde Lambsdorff auch gleich wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, ab 1977 war er Bundeswirtschaftsminister. Er hat den Bruch der sozial-liberalen Koalition 1982 mitbefördert. 1984 Rücktritt wegen der Flick Affäre, bis 1998 im Bundestag. 1999 hat die rot-grüne Bundesregierung Otto Graf Lambsdorff beauftragt, die Verhandlungen über die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter zu führen. Lambsdorff war in vielen Aufsichtsräten tätig, derzeit hat er ein Mandat bei der Lufthansa, IVECO Magirus und dem Bankhaus HSBC Trinkaus & Burkhardt.

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