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Magazin Mitbestimmung

: Der Bergmann im Bundestag

Ausgabe 03/2006

Adolf Schmidt war Vorsitzender der einflussreichen IG Bergbau und Energie, er saß für die SPD im Bundestag, als das Mitbestimmungsgesetz von 1976 verabschiedet wurde und war ein Verfechter des Kompromisses.


Von Kay Meiners und Margarete Hasel

Wer zu Adolf Schmidt will, fährt am besten mit dem Zug nach Wattenscheid. Der Bahnhof ist eine schmucklose Haltestelle, etwas heruntergekommen, und wirklich bemerkenswert ist nur das uralte, ergraute Bahnsteigdach aus vernieteten Eisenträgern, das sich seine Eleganz über die Zeiten bewahrt hat. Leicht kann man sich ein paar Jahrzehnte zurückversetzen, und man sieht, wie die Kohlekumpel von der Schicht nach Hause kommen, wie sie mit schwarzen Fingernägeln auf ihre Fahrräder steigen und sich auf ihre Familien freuen.

Wir wollen den Mann treffen, der 17 Jahre lang Vorsitzender der IG Bergbau und Energie (IG BE) war, den einflussreichsten Lobbyisten der Kumpel im Bundestag der 70er Jahre. Mit Helmut Schmidt, der im Mai 1974 Kanzler wird, hat er mehr als den Namen gemeinsam. Seine Kritiker sehen in ihm einen reaktionären Sozialdemokraten, seine Freunde loben seinen Pragmatismus. Schmidt selbst sagt von sich, er wolle "anständige Politik für anständige Leute machen". Als er im Jahr 1969 den Vorsitz seiner Gewerkschaft übernimmt, ist der Steinkohlenbergbau längst im freien Fall. Noch gibt es 250 000 Kumpel. Als Schmidt sein Amt im Jahr 1985 aufgibt, sind es noch rund 165 000.

80 Jahre ist Schmidt heute alt. Er kommt am 18. April 1925 im hessischen Holzhausen bei Homberg zur Welt, hat sechs Geschwister. Sein Vater arbeitet als Schlosser im Braunkohlentagebau, nebenher unterhält er eine kleine Landwirtschaft. 1939, als der Zweite Weltkrieg beginnt, beginnt Adolf Schmidt eine Lehre als Grubenschlosser bei der Braunkohlen- und Brikett-Industrie AG in Frielendorf, kurz Bubiag. Kohle, so wird den Lehrlingen eingebläut, ist der einzige heimische Energieträger.

Dass Bergleute jemals arbeitslos werden könnten, ist unvorstellbar - mit diesem Argument nehmen die Nazis im Herbst 1943 sie sogar aus der Arbeitslosenversicherung heraus. Als Schmidts Lehre im Jahr 1942 zu Ende ist, wird er noch kurze Zeit zurückgestellt und dann 1943 zur Kriegsmarine eingezogen. Er gerät schließlich in englische Kriegsgefangenschaft.

Als er freikommt, nimmt er seine Arbeit bei der Bubiag wieder auf. 1947, mit 22 Jahren, wird er Betriebsrat und schließt sich zwei Jahre später der SPD an. In diesen Jahren lernt er seine Frau kennen, die aus einem Nachbardorf stammt. Die IG BE schickt ihn 1950 zum Studium an die Akademie der Arbeit nach Frankfurt. Danach arbeitet er hauptamtlich für seine Gewerkschaft.

Das Wendejahr für die deutsche Kohle

Im Jahr 1957 erreicht die Beschäftigung im westdeutschen Steinkohlenbergbau mit mehr als 600 000 Arbeitsplätzen einen Höchststand, noch sind 157 Steinkohlenbergwerke in Betrieb. Doch 1957 ist auch das Jahr, in dem es zu den ersten Feierschichten kommt - Kurzarbeit ohne Lohnausgleich. Der Preis für eine Tonne schweres Heizöl, wie es die Industrie braucht, fällt zwischen 1957 und 1960 von 140 auf 60 Mark, der Preis für leichtes Heizöl, wie es in Haushalten verwendet wird, von 242 auf 125 Mark.

Auch im Ruhrpott rüsten die Leute ihre Heizungen auf Öl und Gas um, das Supertanker und Fernleitungen heranschaffen. Die Frauen müssen keine Kohle mehr aus dem Keller und Asche aus der Wohnung schleppen. Aber der Preis für den neuen Komfort ist hoch: Die teure Kohle, die ihre Männer aus der Erde holen, lässt sich immer schlechter verkaufen. Bis 1967, in nur zehn Jahren, reduziert sich die Zahl der Zechen auf 81, die Zahl der Beschäftigten halbiert sich auf weniger als 300 000. Dass der Wiederaufbau Deutschlands und das Wirtschaftswunder den Niedergang des Bergbaus bedeuten würde, wer hätte das ein paar Jahre vorher gedacht?

Mit dem Taxi fahren wir nach Bochum-Eppendorf. Hier, wo Verkehrslärm noch immer ein Fremdwort ist, hier haben die Schmidts gebaut, als sie in den 60er Jahren ins Ruhrgebiet zogen. Ein typisches Einfamilienhaus, die Haustür mit Kupfer beschlagen. "Schmidt Adolf GewerkschaftsSekr." steht noch immer im Telefonbuch. Die Tür öffnet sich, Schmidt, die Haare kurz, im sportlichen Pullover, bietet uns einen Kaffee an. Von der Sitzecke blickt man direkt auf seinen Schreibtisch, der vor einem riesigen Fenster steht, mit viel Grün dahinter und einer Bergarbeitersiedlung aus den 20er Jahren.

"Wir haben alles versucht", sagt Schmidt, "wir haben demonstriert, sind nach Bonn marschiert mit 100 000 Leuten, wir haben schwarze Fahnen getragen und Trauermärsche geblasen, immer in der Hoffnung, damit die Krise beenden zu können. Aber als wir erkannten, dass es Strukturprobleme sind, da wurde uns klar: Entweder wir gestalten diesen Prozess mit, oder wir stehen daneben und krakeelen." Ohne Mitbestimmung, davon ist er überzeugt, wäre die Krise im Bergbau nicht zu bewältigen gewesen.

Die Gewerkschaft als Versicherung der SPD

Adolf Schmidts Karriere ist eng mit den Wahlerfolgen der Sozialdemokratie verknüpft. 1965 wurde er Bezirksleiter der IG BE in Hessen/ Rheinland-Pfalz und 1966 Vorstandsmitglied seiner Gewerkschaft - im November 1969 bestimmten ihn die Delegierten zum Nachfolger Walter Arendts, der Arbeitsminister wurde. Im Jahr 1972 zog er mit einem SPD-Mandat in den Bundestag ein - ebenso wie Hermann Rappe, Vorstandsmitglied und später Vorsitzender der IG Papier, Chemie, Keramik.

Während Rappe einer Kommission der SPD vorstand, die mit dem Koalitionspartner FDP um einen Kompromiss bei der Unternehmensmitbestimmung rang, kämpfte Schmidt vor allem um Subventionen. "Den Niedergang einer Branche bis fast zur Bedeutungslosigkeit zu begleiten, das war mein Job", sagt er. Bescheiden unterschlägt er, dass er zugleich das Beste herausgeholt hat - so gut, dass die konservative Tageszeitung "Die Welt" ihm einen "glänzenden strategischen Rückzug" bescheinigte. 

Die Gewerkschaften waren die Lebensversicherung der SPD, die Partei umgekehrt in vielerlei Hinsicht der politische Arm der Gewerkschaften. "Man war Politiker, um etwas für die Steinkohle zu erreichen", sagt Schmidt, "deswegen saßen auch meine Vorgänger wie Heinrich Imig oder Walter Arendt im Bundestag. Ein Mensch, der im Dienste der Bergarbeiter stand, gehörte in das Parlament." Die Netzwerke waren die gleichen, die auch beim Mitbestimmungsgesetz eine Rolle spielten.

Bundespolitik im Partykeller

In seiner Doppelfunktion als Vorsitzender der Gewerkschaft und Abgeordneter des Bundestages bekam Adolf Schmidt die Diskussionen um das Gesetz aus erster Hand mit. Als Anfang 1975 die gewerkschaftlichen Positionen und der Koalitionsentwurf zum Mitbestimmungsgesetz zunehmend auseinander drifteten, war er es, der versuchte, seinen Einfluss geltend zu machen. Am 11. Februar treffen sich der Bundeskanzler, Arbeitsminister Arendt und die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften zu einem vertraulichen Gespräch in Adolf Schmidts Hausbar. Sie liegt direkt unter dem Wohnzimmer, in dem wir sitzen.

Ziel des Treffens war es, Verständigungsmöglichkeiten zwischen der Regierung und den Gewerkschaften auszuloten - und dabei möglichst auch die skeptische DGB-Spitze und die IG Metall dazu zu bringen, wenigstens unter der Hand ein Plazet zu erteilen. Wirklich geheim blieb das Treffen nicht - schon die Sicherheitsleute, die am Tag zuvor die Straße genau in Augenschein nahmen, hatten die Lokalpresse angelockt. "Die haben vielleicht einen Aufwand getrieben", sagt Schmidt, "hier, wo noch nie ein Fahrrad weggekommen ist."

Am Ende durfte WAZ-Reporter Willi Lütkehaus sogar ein Bild machen: der Kanzler am runden Tisch, neben ihm Rudolf Sperner für die IG Bau-Steine-Erde, Minister Walter Arendt, DGB-Chef Heinz-Oskar Vetter, Karl Hauenschild für die IG Chemie, Papier, Keramik, Karl Buschmann für die Gewerkschaft Textil und Bekleidung. IG-Metall-Chef Eugen Loderer war, wenn Schmidt die Erinnerung nicht trügt, gar nicht erst zu dem Termin gekommen. Der WAZ-Reporter war, so berichten Bekannte noch heute, mächtig stolz auf den Schnappschuss. Der Anlass des Treffens blieb ihm aber wohl verborgen - zitierte er doch Adolf Schmidt mit den banalen Worten: "Wir wollten mal zusammen unter uns Männern ein vernünftiges Glas Bier trinken!"

Viel gesprächiger ist Schmidt auch heute noch nicht, was den Termin angeht. Nur so viel sagt er: "Das Bier und der Schnaps haben nichts geholfen. Es war ein schöner Abend, aber was wir vorhatten, mussten wir gegen den Willen des DGB-Vorsitzenden Heinz-Oskar Vetter tun." Dann fügt er hinzu: "Nicht mal eine stille Einsegnung vom DGB hat es gegeben." Etwas enttäuscht klingt das immer noch.

Vetter blieb unversöhnlich, und Loderer erklärte noch im November 1975 zum geplanten Gesetzentwurf: "Wir tragen einen solchen Kompromiss nicht mit. Das ist allein Sache der Regierung und des Parlaments."

Ganz anders argumentierte Adolf Schmidt in seiner Rede, die er am 18. März 1976 im Bundestag hielt. Er erklärte, dass "von uns und durch die Geschichte niemand nach dem beurteilt wird, was er gewollt hat; wir müssen uns nach dem beurteilen lassen, was wir getan haben". .



 

INTERVIEW "Was machbar war, haben wir erreicht"

Adolf Schmidt, ehemals Vorsitzender der IG BE, über den Weg von der Montanbestimmung zum Mitbestimmungsgesetz von 1976 und die Zwänge der sozial-liberalen Koalition.


Kollege Schmidt, sind die deutschen Gesetze zur Mitbestimmung Kinder der Gewerkschaften oder Kinder der Regierungen?
Beide Gesetze, das von 1951 und das von 1976, sind auf sehr eigenwillige Weise zustande gekommen. Nach dem Krieg lebten wir in kaputtgemachten Städten, die Stahlbarone waren eingesperrt - das war der Hintergrund unserer Urabstimmung für einen Streik. Schließlich hat Bundeskanzler Adenauer dann eine Kommission zur Montanmitbestimmung berufen - und was diese Kommission ausarbeitete, hat dann das Parlament als Gesetz beschlossen.

Im Jahr 1976 saßen Sie als Gewerkschaftsvorsitzender für die SPD im Bundestag. Der Draht zur Regierung war viel besser als unter Adenauer. Warum blieb das neue Gesetz hinter dem von 1951 zurück?
Weil das Land ein völlig anderes war als 1951, wo die Erinnerung an den Krieg noch ganz frisch war. Hinzu kommt: Wir regierten in einer Koalition mit der FDP. Da muss man Kompromisse machen. Wir haben uns für den machbaren, wenn auch nicht ganz großen Schritt entschieden. Es war das Optimum des Erreichbaren.

Otto Graf Lambsdorff, damals der starke Mann in der FDP, steht bis heute zu diesem Kompromiss.
Wenn es so ist, halte ich das für sehr, sehr ehrenwert. Dass wir dieses Gesetz mit ihm hingekriegt haben, ohne unsere Verfassung zu beschädigen, war eine große politische und diplomatische Leistung.

Haben Sie Verständnis für diejenigen, denen das Gesetz nicht weit genug ging?
Es gab Leute, die gesagt haben: "Alles oder nichts." - Sie hätten ein Scheitern in Kauf genommen. Wenn man nicht im Parlament sitzt, ist das eine recht bequeme Sache. Aber so eine Haltung war nie meine Sache. Diese Leute hätten damals nichts bekommen - und so etwas durften wir nicht tun. Dazu war die Verantwortung zu groß. Trotzdem dürfen die Gewerkschaften von der Forderung nach echter Parität niemals abrücken.

Welcher Politiker hat sich 1976 die größten Verdienste erworben?
In allererster Linie Helmut Schmidt. Wer sonst hätte Graf Lambsdorff auch beeindrucken können? Dann Arbeitsminister Walter Arendt, SPD-Abgeordnete wie Alex Möller.

Wie stark war die Mitbestimmung als Thema im Bewusstsein der Öffentlichkeit präsent?
Die großen Themen waren auch damals schon andere: die Ostpolitik, die Gesellschaftspolitik, Willy Brandts Vision vom blauen Himmel über der Ruhr. Natürlich hatte die Mitbestimmung der Arbeitnehmer mit all dem etwas zu tun. Aber für die Mitbestimmung hat es im Grunde niemals eine Massenbewegung gegeben.

Welche Erfahrung haben Sie bis 1976 mit der Montanmitbestimmung gemacht?
Es war ein gewaltiger gesellschaftlicher Schritt. Dass Arbeitnehmer an der Gestaltung der Unternehmensphilosophie beteiligt waren, hatte es bis dahin noch nicht gegeben. Von den Unternehmen haben da nicht alle mit der gleichen Begeisterung mitgemacht. Ich glaube, heute sind einige Vorbehalte von damals abgebaut - wenn auch nicht alle.

Ab wann hat die Montanmitbestimmung richtig funktioniert?
Ein Meilenstein war der Zusammenschluss von 29 Zechen zur Ruhrkohle AG im Jahr 1968. Die Besitzer wollten eine solche Einheitsgesellschaft nicht - wir waren es, die die gesamtwirtschaftlich richtigste Unternehmensform erzwungen haben. Damals begann die Mitbestimmung erst richtig zu funktionieren.

Die Macht der Belegschaften und die Subventionsmacht der Politik standen zusammen gegen die Besitzer. So haben wir erreicht, was wir wollten, ohne die Unternehmen zu sozialisieren. Das fand ich übrigens auch nie erstrebenswert.

Welche Eigenschaften muss ein Arbeitnehmervertreter mitbringen?
Es gibt die Typen, die tragen in der Belegschaft einen Pullover, um möglichst revolutionär auszusehen, und im Aufsichtsrat tragen sie dann einen Nadelstreifenanzug. Wer nicht im Kern hier und da derselbe bleibt, wer nicht innerlich so stabil ist, auch einmal nein sagen zu können, der wird gelegentlich missbraucht. Wer sich nicht verbiegt, der gewinnt aber bald großen Respekt.

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