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Magazin Mitbestimmung

: Martin Pohl: Mitbestimmung der Arbeitnehmer 'übersehen'

Ausgabe 07/2005

Der Baukonzern Strabag wollte als die erste europäische Aktiengesellschaft in die Geschichte eingehen. Dabei haben das Unternehmen und ein bereitwilliger Richter die Mitwirkung der Arbeitnehmer "übersehen". Die muss vor der Eintragung des Unternehmens geregelt sein.

Von Martin Pohl
Dr. Martin Pohl ist Diplom-Kaufmann und Fachreferent Betriebswirtschaft im Bundesvorstand der IG BAU in Frankfurt.

Im August 2004 erhielt der Vorsitzende des Europäischen Betriebsrats der Strabag einen Brief der Unternehmensleitung. Darin wurde er gebeten, "möglichst umgehend" mit der Firmenleitung in Kontakt zu treten, "um den vorgegebenen Terminplan einhalten zu können, damit die Bauholding Strabag SE als Marketingstrategiemaßnahme am 8. Oktober 2004 oder unmittelbar danach ins Firmenbuch eingetragen werden kann."

Als über die deutschen Mitglieder des Eurobetriebsrats das Schreiben beim Bundesvorstand der IG BAU einging, rieb man sich auch hier erstaunt die Augen - zum einen über die Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE) "als Marketingmaßnahme", - rechtzeitig zum 8. Oktober 2004, wenn die SE-Verordnung in Kraft treten sollte.

Mehr noch aber war man erstaunt, dass die künftige "Bauholding Strabag" offenbar amtlich eingetragen werden sollte, ohne dass zuvor vom Unternehmen ein "Besonderes Verhandlungsgremium" besetzt mit Arbeitnehmervertretern einberufen wird. Denn genau dies sieht das Gesetz vor. Danach nimmt das "Besondere Verhandlungsgremium" mit dem Arbeitgeber Verhandlungen darüber auf, wie die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, sprich Information, Konsultation und Partizipation, in der Aktiengesellschaft geregelt werden sollten.

Das Gesetz sieht weiterhin vor: Erst mit dem Abschluss einer Vereinbarung oder im Falle des Scheiterns der Gespräche könne frühestens nach sechs Monaten die Eintragung einer SE erfolgen.

Ein Coup ohne Arbeitnehmerbeteiligung
 
Warum war das "übersehen" worden? Ein Anruf beim Firmenregistergericht in Klagenfurt verschaffte Klarheit. Demach hatte der zuständige Richter dem Unternehmen die Eintragung zugesagt und sie nach Aussage des Gerichtsmitarbeiters bereits vorgeprüft. Weil dieser Richter aber an besagtem Stichtag, dem 8. Oktober, in Urlaub gehen wollte, sollte die Registrierung des Unternehmens um eine Woche verschoben werden.

Wir verwiesen auf das "Besondere Verhandlungsgremium", der Richter wiederum verwies auf ein Schreiben, das er von der "Bauholding Strabag" erhalten hatte: Darin hatte das Unternehmen dem Richter mitgeteilt, dass der "Europäische Betriebsrat von der Errichtung eines besonderen Verhandlungsgremiums und Bekanntgabe der Arbeitsdaten … Abstand nimmt".

Doch davon konnte keine Rede sein. Die IG BAU informierte sofort die "Europäische Förderation der Bau- und Holzarbeiter" (EFBH) sowie die europäischen Partnergewerkschaften. Gespräche mit dem Vorstand der deutschen Tochter "Strabag AG", um eine Verbindung zur österreichischen Muttergesellschaft aufzunehmen, blieben ohne Erfolg.

Daraufhin ergriffen die für Mitbestimmung zuständigen Vorstandsmitglieder der IG BAU, Dietmar Schäfers, und des DGB, Dietmar Hexel, die Initiative. Sie baten eine Wiener Anwältin, den Richter in Klagenfurt auf die Rechtslage aufmerksam zu machen. Besonders hingewiesen wurde auf das "Besondere Verhandlungsgremium" und seine Voraussetzung für die Eintragung einer SE.

Der Richter antwortete unserer Anwältin am 5. Oktober 2004 lapidar: "Ein diesbezüglicher Antrag auf Eintragung dieser Umwandlung ist bislang beim Firmenbuch des Landgerichts Klagenfurt nicht eingelangt." Er wollte also von dem Vorgang offiziell nichts gewusst haben. Nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub trug derselbe Richter die "Strabag Bauholding" am 12. Oktober als Europäische Aktiengesellschaft ein.

Wenn diese Art der Eintragung einer Europäischen Aktiengesellschaft Schule macht, würde die Mitbestimmung in Europa auf der Strecke bleiben. Darüber waren sich die Gewerkschaften unter dem Dach der europäischen EFBH sowie die Mitbestimmungsexperten aus der Hans-Böckler-Stiftung, dem DGB-Bundesvorstand und der IG BAU rasch einig. Klar war auch, man muss die Kräfte bündeln: Gemeinsam beauftragten die für die Strabag zuständige Gewerkschaft in Belgien, die österreichische Arbeiterkammer sowie die IG BAU die Wiener Anwältin, rechtliche Schritte gegen die nicht gesetzeskonforme Eintragung als SE vorzunehmen.

Aber welche Motive trieben das Unternehmen zu diesem voreiligen Schritt? Die Ambition, die erste SE in Europa zu gründen und damit in die Geschichte einzugehen? So abwegig ist das nicht. Denn der Chef und Hauptaktionär der Strabag, Dr. Hans-Peter Haselsteiner, ist ein ehrgeiziger Unternehmer. Er baute das mittelständische Bauunternehmen seiner Schwiegereltern Schritt für Schritt - Rückschläge eingeschlossen - zu einem Baukonzern aus - mit Tochtergesellschaften in fast allen mittel- und mittelosteuropäischen Ländern.

In Deutschland hält er eine Mehrheitsbeteiligung an der "Strabag AG". Aus der Insolvenzmasse der "Walter Bau AG" kaufte er zahlreiche Unternehmen. Alles in allem beschäftigt er deutlich über 10 000 Mitarbeiter allein in Deutschland, im Gesamtkonzern über 30000 Menschen. Das Unternehmen "Bauholding Strabag" wurde im Juli 2003 von der Wiener Börse genommen und gehört jetzt ganz der "Finanz Industrie Management AG". Die Aktien dieser Holding werden knapp zur Hälfte von der österreichischen Raiffeisen-Gruppe gehalten. Der Haupteigentümer ist mit 50 Prozent plus einer Aktie eine Aktionärsgruppe um Hans-Peter Haselsteiner.

Durch die SE entfallen nationale Aufsichtsgremien

Erklärtes Ziel von Dr. Haselsteiner ist es, die nationalen Tochtergesellschaften unterhalb der "Bauholding Strabag" auf die SE zu verschmelzen. Damit würden die nationalen Aufsichtsratsgremien entfallen. Kolleginnen und Kollegen aus allen EU-Staaten haben dann denselben Arbeitgeber, mit dem sie Arbeitsverträge schließen: die SE mit Sitz im österreichischen Spittal. Damit können die Arbeitnehmer europaweit eingesetzt werden - beim stets gleichen Arbeitgeber. Das setzt zwar - theoretisch - nationale Arbeitsgesetze nicht außer Kraft, doch ob die Konsequenzen der SE-Verordnung auf Entlohung, Arbeitssicherheit und Entsendung - um einige Bereiche zu nennen - von deren Vätern wirklich im Detail durchdacht worden sind, ist fraglich. Das bedeutet, dass der Mitbestimmung im Unternehmen selbst eine besondere Verantwortung zukommt.

Aber die muss erstmal geregelt sein. Wir haben die EU-Kommission, Direktion für Arbeit und Soziales, gebeten, in diesem Fall tätig zu werden. Vor allem aber haben die Gewerkschaften Widerspruch gegen den Verwaltungsakt der SE-Eintragung eingelegt. Bei unserem juristischen Vorgehen stand die Satzung der "Bauholding Strabag SE" im Mittelpunkt. Das Unternehmen hat das so genannte "dualistische System" als Unternehmensverfassung gewählt. Demnach bleibt es bei einer Trennung zwischen Aufsichtsrat und dem von ihm kontrollierten Vorstand.

Da kein "Besonderes Verhandlungsgremium" eingerichtet worden war, konnte nicht rechtskonform geregelt werden, wie überhaupt Arbeitnehmeraufsichtsräte in der SE bestellt werden sollten. Das hing sozusagen in der Luft. In der alten Strabag AG sind die Arbeitnehmervertreter des Aufsichtsrats, ein Drittel aller Aufsichtsräte, nach österreichischem Aktiengesetz von den österreichischen Arbeitnehmern gewählt worden. Bei der Umwandlung der AG in die SE hatte man die Arbeitnehmeraufsichtsräte der alten AG durch einseitigen Beschluss der Kapitalseite einfach "mitgenommen".

Die Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter ist ebenfalls nicht entlang der gesetzlichen Vorgaben geregelt worden. Dafür zuständig ist in der SE der SE-Betriebsrat. Auch dessen Rechte und Pflichten müssen durch das "Besondere Verhandlungsgremium" mit dem Arbeitgeber geklärt werden.

Einfach den alten Eurobetriebsrat der AG in einen SE-Betriebsrat umzubenennen würde der aktuellen Lage juristisch kaum gerecht. Hinzu kommt, dass im existierenden Eurobetriebsrat Vertreter aus einigen osteuropäischen Staaten fehlten, weil sie bisher nicht hineingewählt worden waren.

Damit ist eine Situation entstanden, die keiner will. Am wenigsten wollen die Arbeitnehmer, dass sich die beabsichtigte "positive Marketingstrategiemaßnahme" in ihr Gegenteil verkehrt. Mittlerweile sicherte Dr. Haselsteiner in einem Gespräch gegenüber der IG BAU die Einberufung des "Besonderen Verhandlungsgremiums" zu. Dazu hat die Wiener Anwältin der Arbeitnehmerseite gemeinsam mit dem Notar des Unternehmens Schritte erarbeitet. Die Vertreter der beteiligten Gewerkschaften werden sich in Wien treffen, um ihre Position abzusprechen. Erste Gespräche der Arbeitnehmervertreter mit ihren Gewerkschaften hat es bereits gegeben.

Die Verhandlungen über die Mitwirkung der Arbeitnehmer in der "Bauholding Strabag" können beginnen. Dabei setzen wir auf ein Klima des Vertrauens und der Sozialpartnerschaft. Das ist eine wesentliche Voraussetzung, um das Modell "Mitbestimmung" mit seinen Vorteilen passgerecht auf die Bedürfnisse der neuen "Bauholding Strabag SE" und deren Mitarbeiter zu übertragen.

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