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Wilde Streiks sind in Deutschland die Ausnahme. Im Jahr 1973 aber entlädt sich im Kölner Ford-Werk der Frust türkischer Gastarbeiter. Magazin Mitbestimmung

Rätselhaftes Fundstück: Streik, ganz wild

Ausgabe 01/2020

Wilde Streiks sind in Deutschland die Ausnahme. Im Jahr 1973 aber entlädt sich im Kölner Ford-Werk der Frust türkischer Gastarbeiter. Von Marc von Lüpke

Ende August stehen im Kölner Ford-Werk alle Bänder still. Protestierend ziehen Arbeiter über das Gelände. Sie tragen Plakate vor sich her, auf denen steht: „1 DM mehr für alle“. Was auf den ersten Blick nach einer regulären Tarifrunde aussieht, ist in Wahrheit ein wilder, unorganisierter Streik. Rund 10 000 Beschäftigte haben am 24. August ihre Arbeit eingestellt. Es sind vor allem Gastarbeiter aus der Türkei. Der Unmut der Aufrührer hat einen aktuellen Anlass und langfristige Gründe. Gerade ist bekannt geworden, dass rund 300 türkische Arbeiter entlassen werden sollen, weil sie zu spät und ohne ärztliche Beglaubigung aus ihrem Urlaub in der Heimat zurückgekehrt sind. Kein Wunder, angesichts der schwierigen Reise in die Türkei, die viele mit dem Auto absolvieren. Zugleich herrschen ohnehin Unmut und Frustration unter den türkischen Ford-Arbeitern. Denn sie verrichten bei Ford meist die schwersten, aber am schlechtesten bezahlten Arbeiten. Ihrer Forderung nach mehr unbezahltem Urlaub ist bislang nicht entsprochen worden.

Dabei sind die türkischen Arbeiter wichtig für Ford. Etwa 38 Prozent der Belegschaft stellen sie in dieser Zeit, der Großteil schafft an den Fließbändern. Auch die deutschen Arbeiter sind unzufrieden. 1973 müssen sie wie ihre türkischen Kollegen einen kräftigen Preisanstieg hinnehmen bei einem gleichzeitig schwachen Tarifabschluss. So sympathisieren zunächst auch manche deutschen Arbeiter mit den türkischen Kollegen. Die vom Unternehmen zugesagte einmalige Teuerungszulage reicht vielen nicht, jetzt, wo alles teurer wird. Die Inflationsrate des Vorjahres betrug 5,5 Prozent, in diesem Jahr werden es 7,1 Prozent sein. Doch der Betriebsrat und die IG Metall lehnen einen wilden Streik ab. 

Da auf der anderen Seite auch linke und kommunistische Gruppen agieren, wandelt sich der Arbeitskonflikt zu einer Art Kulturkampf. Schließlich stehen die türkischen Streikenden weitgehend allein da, die deutschen Arbeiter distanzieren sich mehr und mehr vom Ausstand. Eine Truppe aus Vorarbeitern, Werkschutzangehörigen, belgischen Streikbrechern, Zivilpolizisten und leitenden Angestellten bricht den Widerstand schließlich mit Gewalt, die Streikführer werden der uniformierten Polizei überstellt. Am 30. August ist alles beendet, die türkischen Arbeiter haben keine Forderung durchsetzen können. Stattdessen werden einige von ihnen entlassen.

Rätselfragen

Mit welchem Land schloss die Bundesrepublik Deutschland 1955 ihr erstes Anwerbeabkommen für Arbeitskräfte ab?

In welchem Jahr legte Unternehmensgründer Henry Ford in Köln-Niehl den Grundstein für das dortige Ford-Werk?

Armando Rodrigues de Sá wurde 1964 als millionster Gastarbeiter in Westdeutschland gefeiert. Von welchem Hersteller stammte das Moped, das ihm zu diesem Anlass geschenkt wurde?

Alle richtigen Einsendungen, die bis zum 1. April 2020 bei uns eingehen, nehmen an einer Auslosung teil.

Preise

1. Preis: Gutschein der Büchergilde Gutenberg, Wert 100 Euro

2.–4. Preis: Gutschein der Büchergilde Gutenberg, Wert 50 Euro

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Redaktion Mitbestimmung 

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Fax: 02 11/77 78-120

Auflösung der Rätselfragen 6/2019

13. Zusatzartikel 

Rotes Meer

Abraham Lincoln

  • Wilder Streik bei Ford in Köln. (Foto: imago images/Klaus Rose)

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