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HBS Böckler Impuls

Arbeitskosten: Deutschland kann sich höhere Löhne leisten

Ausgabe 12/2019

Die Wirtschaft kann höhere Arbeitskosten gut verkraften. Das wahre Problem ist ein anderes: Mangelnde Investitionen gehen zulasten der Produktivität und gefährden den Wohlstand.

  • Anderswo in Westeuropa steigen die Lohnstückkosten schneller. Zur Grafik

Für eine Stunde Arbeit zahlten deutsche Unternehmen im vergangenen Jahr durchschnittlich 35 Euro. Damit lag Deutschland lediglich im westeuropäischen Mittelfeld – in fünf anderen Ländern waren die Arbeitskosten in der privaten Wirtschaft höher. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen sie in Deutschland um 2,3 Prozent, einen halben Prozentpunkt weniger als im Durchschnitt der Europäischen Union. Zu diesen Ergebnissen kommt der Arbeits- und Lohnstückkostenreport des IMK von Alexander Herzog-Stein, Ulrike Stein und Rudolf Zwiener.

Auf lange Sicht haben die Arbeitskosten nur sehr mäßig zugelegt: Im Zeitraum von 2001 bis Ende 2018 verzeichnete die Bundesrepublik den drittgeringsten Anstieg innerhalb der EU, dahinter lagen nur noch Griechenland und Portugal. Erst in den vergangenen Jahren, in denen die Wirtschaft kräftig boomte, seien die Löhne und damit die Arbeitskosten in Deutschland wieder etwas stärker gestiegen, heißt es im Report des IMK. Es bestehe aber immer noch „Spielraum nach oben“. Ähnlich fiel der Trend bei den Lohnstückkosten aus, die für die internationale Wettbewerbsfähigkeit eine größere Rolle spielen. Zu den Arbeitskosten zählen neben dem Bruttolohn die Arbeitgeberanteile an den Sozialbeiträgen, Aufwendungen für Aus- und Weiterbildung sowie bestimmte Steuern. Die Lohnstückkosten setzen die Arbeitskosten ins Verhältnis zur Produktivität. Das IMK nutzt für seine Studie die neuesten verfügbaren Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat.

Industrie profitiert von günstigen Dienstleistungen

Auffällig ist, dass in Deutschland die Arbeitskosten für Dienstleistungen deutlich niedriger liegen als in der Industrie: Im verarbeitenden Gewerbe betrugen sie zuletzt 40 Euro pro Arbeitsstunde, im privaten Dienstleistungssektor waren es 32,50 Euro. In Deutschland sei der Abstand zwischen beiden Sektoren größer als in jedem anderen EU-Land, so die Autoren des Reports. Nutznießer sei die Industrie, die Vorleistungen der Dienstleistungsbranchen günstig einkaufen kann. Dadurch entsteht nach Berechnungen des IMK insgesamt eine Kosteneinsparung von rund vier Euro pro Stunde. Während der Dienstleistungssektor die Industrie hierzulande deutlich entlaste, sei es insbesondere in den mittel- und osteuropäischen Ländern umgekehrt.

Nachholbedarf bei den Lohnstückkosten

Auch die Lohnstückkosten legten im Zeitraum von 2000 bis Ende 2018 nur mäßig zu – im längerfristigen Durchschnitt nur um 1,1 Prozent pro Jahr. Im vergangenen Jahr lag die Rate zwar immerhin bei 2,8 Prozent, da der Produktivitätsfortschritt aufgrund des schwächeren Wirtschaftswachstums im Jahresverlauf faktisch zum Stillstand kam. Dennoch ist der Nachholbedarf immer noch groß: Trotz der Zuwächse in den vergangenen Jahren sind die Lohnstückkosten seit Einführung des Euros deutlich schwächer gestiegen als in fast allen anderen Mitgliedsstaaten der Währungsunion – und schwächer, als mit dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank vereinbar ist. Diese Entwicklung trug laut IMK auch zu den ausgeprägten wirtschaftlichen Ungleichgewichten im Euroraum bei. Eine langfristig „stabilitätskonforme“ Wachstumsrate der Lohnstückkosten müsste nach Ansicht der Wissenschaftler bei knapp zwei Prozent pro Jahr liegen. Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen sei dadurch nicht gefährdet. Zumal eine „Rückkehr zu normalen Lohnerhöhungen“ keine Belastung für die deutsche Wirtschaft darstellt, sondern sich im Gegenteil als Stärke erweist: Die höheren Löhne steigern den privaten Konsum, was wiederum für eine stärkere Binnennachfrage sorgt. Dies habe „die deutsche Volkswirtschaft in den letzten Jahren auf einen ausbalancierteren Wachstumspfad geführt“, schreiben Herzog-Stein, Stein und Zwiener.

  • Deutschlands Industrie zahlt vergleichsweise wenig für Vorleistungen aus der Dienstleistungsbranche. Zur Grafik

Investitionsschwäche ist das größte Problem

Während die deutsche Wirtschaft die höheren Arbeitskosten gut verkraften kann, macht ihr ein anderes Problem zunehmend zu schaffen: die marode öffentliche Infrastruktur. Inzwischen geben in Umfragen rund zwei Drittel der deutschen Unternehmen an, durch Infrastrukturmängel regelmäßig in ihren Geschäften behindert zu werden. Dies erklärt auch, warum sie sich trotz anhaltend hoher Gewinne, niedriger Schuldenstände und günstiger Finanzierung in den vergangenen Jahren mit Investitionen zurückgehalten haben. Dadurch, dass Investitionen ausgeblieben sind, wurde das Produktivitätswachstum gebremst. „Das ist problematisch, weil langfristig das Produktivitätswachstum den Verteilungsspielraum bestimmt. Weniger Produktivität bedeutet dann am Ende: niedrigeres Lohnwachstum, weniger Gewinne und für alle weniger Einkommen“, erklärt Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK. Die Zahlen aus dem Arbeitskostenreport belegten, dass die Investitionsschwäche zunehmend den deutschen Wohlstand gefährdet. Damit die Unternehmen wieder mehr investieren, müsse der Staat mit gutem Beispiel vorangehen, fordert Dullien: „Und das heißt: Wir brauchen mehr staatliche Investitionen.“

Alexander Herzog-Stein, Ulrike Stein, Rudolf Zwiener: Arbeits- und Lohnstückkostenentwicklung 2018 im europäischen Vergleich, IMK Report Nr. 148, Juli 2019

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