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Magazin Mitbestimmung

: In der Schuldenfalle

Ausgabe 01+02/2009

KOMMUNEN Deutsche Städte stehen vor dem finanziellen Kollaps - auch weil sie ihr Heil in alternativen Finanzierungsinstrumenten gesucht haben. Mit riskanten Leasing-Verträgen und Zinswetten setzten Kämmerer das Kapital der Bürger aufs Spiel.

Von Ingmar Höhmann, Journalist in Köln

Das Gelsenkirchener Grillo-Gymnasium stand vor dem großen Wurf: Im Zuge des Prestigeprojektes "Stadtumbau West" sollten die Schüler eine nagelneue Turnhalle erhalten, ein öffentlicher Platz vor dem Gebäude sollte zum Flanieren einladen. Doch aus den Plänen wird nichts, denn den Stadtentwicklern kommt ein alter Vertrag in die Quere: Gelsenkirchen hatte das Grillo-Gymnasium im Jahr 2001 an Finanzinvestoren aus den USA verkauft. Der sogenannte Cross-Border-Leasing-Vertrag (CBL-Vertrag) verlangt vor Umbauten ein Gutachten eines amerikanischen Anwaltsbüros - auf Kosten der Stadt. "Solche Gutachten gibt es nicht unter 100.000 Dollar", sagt Schulleiter Manfred Gast. "Das kann Gelsenkirchen nicht bezahlen."
Die nächsten 20 Jahre wird das Grillo-Gymnasium nun auf alle Extras verzichten müssen - denn so lange gilt der CBL-Vertrag. Frank Baranowski (SPD), seit fünf Jahren Oberbürgermeister der Ruhrmetropole, ist auf die Finanzpolitik seines CDU-Vorgängers nicht gut zu sprechen: "Die Kommunalaufsicht hätte solche Verträge verbieten müssen", sagt er. "Jetzt wird uns die Stadtentwicklung aus den USA diktiert."
Gelsenkirchen ist zum Opfer seiner eigenen Finanztricksereien geworden - und steht damit nicht allein da. Viele Kommunen leiden unter den Folgen von riskanten Geschäften, die Ratsmehrheiten sowohl von SPD als auch CDU einst als Allheilmittel für klamme Haushalte gefeiert hatten. Zinswetten, Währungsgeschäfte und internationale Steuertricks wurden vielerorts zum Alltag der kommunalen Schuldenmanager. "Die Städte sind auf den internationalen Finanzmärkten als Global Player aufgetreten", sagt Robert Kösling, selbstständiger Gutachter für öffentliche Infrastruktur. "Nun stehen sie vor der Pleite."

FOLGENSCHWERE CBL-ZOCKEREIEN_ Der gescheiterte Umbau des Grillo-Gymnasiums ist noch ein harmloses Beispiel. In Stuttgart misslang der Bau einer neuen Brücke über den Neckar. Diese wäre über das Gelände eines Klärwerks verlaufen, das per CBL an ausländische Investoren verleast war - doch die waren mit dem Plan nicht einverstanden.
Zwischen 1994 und 2004 haben mehr als 150 deutsche Kommunen derartige Verträge abgeschlossen. Sie verkauften dabei einen Teil ihrer Infrastruktur und mieteten sie wieder zurück. Müllverbrennungsanlagen, Straßenbahnen, Klärwerke, Kanalisationen, Schulen - die Kämmerer ließen keinen Teil des städtischen Eigentums unberührt.
Auf den ersten Blick verhießen die Transaktionen ein gutes Geschäft: Die Amerikaner schrieben die Summen als Auslandsinvestitionen ab und überwiesen einen Teil der Steuerersparnis direkt an die deutschen Kommunen. Bochum strich für sein Kanalnetz mehr als 20 Millionen Euro ein, Wuppertal 22 Millionen Euro, die Leipziger Verkehrsbetriebe erhielten 27 Millionen Euro für das Schienennetz ihrer Straßenbahn.
Nun stehen die US-Anleger wegen der Finanzkrise unter Druck: Sie haben bei ihren Investments viel Geld verloren und suchen händeringend nach neuen Einnahmequellen. Viele Gesellschaften überprüfen nun die alten CBL-Verträge auf mögliche Schadenersatzansprüche. Die deutschen Kommunen müssen aufpassen, keinen Kündigungsgrund zu liefern. Doch die Verträge sind in kompliziertem Geschäftsenglisch abgefasst und umfassen teilweise mehr als 1000 Seiten. Schon die Erweiterung eines Kanalnetzes oder der Bau einer neuen Schienentrasse für eine verleaste Straßenbahn könnten für eine Schadenersatzklage ausreichen.
Weil die Verträge geheim sind, lässt sich nur schwer abschätzen, wie gut sich die deutschen Städte abgesichert haben. Experten befürchten, dass nur wenige Kommunen alle rechtlichen Schlupflöcher gestopft haben. Gutachter Kösling befürchtet sogar eine regelrechte "Kündigungswelle". Er schätzt den möglichen Schaden für die Kommunen auf bis zu eine Milliarde Euro.
Doch es könnte noch schlimmer kommen. Die Finanzkrise fordert ihren Tribut auch von den Banken, die die Schulden der Investoren übernommen haben, sowie von den Versicherungen, die für die Leasing-Raten bürgen. Ein Beispiel ist der Versicherungsriese AIG, der viele CBL-Geschäfte in Deutschland absicherte. Die US-Regierung konnte das Unternehmen im vergangenen Jahr nur mit milliardenschweren Hilfen vor dem Bankrott retten. Die großen Ratingagenturen haben die Kreditwürdigkeit von AIG drastisch herabgestuft.
Weil der Versicherer keine ausreichende Bonität mehr hat, verlangen die CBL-Verträge nun von den deutschen Kommunen, für neue Sicherheiten zu sorgen. Städte wie Gelsenkirchen, Bochum oder Wuppertal beispielsweise suchen Ersatz-Versicherer mit höherer Kreditwürdigkeit. Die europaweite Ausschreibung verursacht vermutlich Kosten im sechsstelligen Bereich - mögliche Aufschläge auf die Versicherungsprämien noch gar nicht eingerechnet.

VERLUSTREICHE SPEKULATIONEN_ Ganz vorne dabei im globalen Finanzpoker sind Städte aus Nordrhein-Westfalen - nicht nur beim Cross-Border-Leasing. Die Nachrichten über misslungene Spekulationen von Kämmerern häufen sich. So wettete nach Angaben des Bundes der Steuerzahler NRW jede Zweite der knapp 400 Gemeinden auf die Zinsentwicklung. Dortmund, Remscheid, Neuss und Mülheim sorgten dabei im vergangenen Jahr mit Millionenverlusten für Schlagzeilen.
Rekordverdächtiges leistete die Stadt Hagen: Sie steckte 2005 etwa 170 Millionen Euro in zwei sogenannte "Spread Ladder Swaps". Dabei tauschte die Stadt langfristige Kredite mit hohen Zinssätzen gegen kurzfristige Kredite mit niedrigeren Sätzen aus - ein Wette darauf, dass die Differenz zwischen den Zinssätzen wächst. Doch der Markt entschied sich für die andere Richtung.
Der Stadt droht nun ein Verlust von bis zu 50 Millionen Euro. Hagen streitet derzeit vor Gericht mit der Deutschen Bank, die das Geschäft verkauft hatte und nicht ausreichend auf die Risiken hingewiesen haben soll. Nachdem die Stadt in erster Instanz unterlegen war, beschäftigt der Fall nun das Oberlandesgericht Düsseldorf.
Hagens Schuldenberg liegt inzwischen bei mehr als einer Milliarde Euro. Jedes Jahr kommen mehr als 100 Millionen Euro dazu. Der Verlust aus den Zinswetten macht da kaum noch einen Unterschied. "Auch so sind die Probleme schon gigantisch", sagt Pressesprecher Thomas Bleicher. Hagen hat nun einen "Spar-Mentor" eingestellt, eine Art Schulden-Überwacher. Die Lösung: Die Stadt schließt Schulen, Sportanlagen und städtische Einrichtungen. Mehr Investitionen oder eine Stadtaufhübschung wie in Gelsenkirchen? Sprecher Bleicher kann da nur müde lächeln: "Über freiwillige Leistungen brauchen wir gar nicht erst nachzudenken. Dafür ist längst kein Geld mehr da."
Zumindest die Derivatgeschäfte hat der Stadtrat inzwischen verboten. Eine Einsicht, die längst noch nicht in allen deutschen Rathäusern angekommen ist. Viele Kommunen verkaufen ihre Zockereien weiter als modernes Schuldenmanagement. Experten sehen das kritisch: "Komplizierte Finanzgeschäfte erfordern Know-how, das selbst Spezialisten in Banken überfordert", sagt Stefan Schneider, Wissenschaftler beim Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). "Die meisten Stadtkämmerer haben weder die Zeit noch das Wissen, um mit spekulativen Finanzinstrumenten umzugehen."
Doch zu verlockend ist die Aussicht, mit Zockereien an Geld zu kommen, das der reguläre Haushalt nicht mehr hergibt. Die deutschen Kommunen hatten Anfang des vergangenen Jahres 107 Milliarden Euro Schulden - eine Summe, die noch Generationen abzahlen werden. Mehr als ein Viertel der Verbindlichkeiten sind inzwischen Kassenkredite. Ein Problem: "Diese Kassenkredite, deren ursprüngliche Funktion die temporäre Überbrückung von Liquiditätsengpässen war, hat sich in den Kommunen zu einem dauerhaften Finanzierungsinstrument für laufende Ausgaben entwickelt", sagt Monika Kuban, Finanzdezernentin des Deutschen Städtetages.
Die Kommunalpolitiker sind hilflos: "Wir können die Situation durch Sparen gar nicht mehr in den Griff bekommen. Die Möglichkeiten sind längst ausgeschöpft - wir sitzen in der Schuldenfalle", sagt Gelsenkirchens Oberbürgermeister Baranowski. Die Verantwortung für die desaströse Lage liegt seiner Ansicht nach beim Bund: "Die Städte sind ja nicht überschuldet, weil sie goldene Gullideckel gekauft haben. Die Altschulden sind vor allem wegen der hohen Sozialabgaben entstanden. Das sind Ausgaben, die uns aufgedrückt wurden."

DRAMATISCHE FINANZLAGE_ Dieses Jahr werden die Gewerbesteuereinnahmen nach Schätzung des Deutschen Städtetags um vier Prozent sinken - das sind fast zwei Milliarden Euro weniger als 2008. Nach Difu-Angaben schieben die deutschen Kommunen schon jetzt einen Investitionsrückstand von 70 Milliarden Euro vor sich her. "Es ist kein Wunder, dass sich die Städte an alles klammern, was ihnen Geld verspricht", sagt Eberhard Kanski, Experte für Kommunalfinanzen beim Bund der Steuerzahler NRW. "Aber sie wollen nicht wahrhaben, dass es nichts zum Nulltarif gibt."
In ihrer ausweglosen Lage greifen die Städte nach jedem Strohhalm - und lassen Investitionen auch immer häufiger von der Privatwirtschaft finanzieren. Bei Public-Private-Partnership-(PPP)-Projekten baut ein Unternehmen nicht nur Schulen, Krankenhäuser oder Gefängnisse, sondern plant, finanziert und betreibt sie auch. Die öffentliche Hand zahlt nur die Miete - und spart sich so hohe Anfangsinvestitionen. Vielen Politikern gilt PPP als Finanzierungsweg der Zukunft. Bundesländer gründen eigene "PPP-Task-Forces", der Bundestag hat ein eigenes Beschleunigungsgesetz beschlossen, um der öffentlich-privaten Kooperation auf die Sprünge zu helfen.
Bauwirtschaft und Dienstleister frohlocken - denn der PPP-Hype verspricht steigende Umsätze. Schnell sind die Befürworter mit Argumenten zur Hand: Privatunternehmen planen langfristiger, kaufen günstiger ein, zahlen geringere Löhne und arbeiten sowieso schneller und besser als der Staat. Ein Privater, so eine häufig genannte Größe, könne öffentliche Gebäude um bis zu 25 Prozent effizienter bauen und betreiben.
Anders sehen das Kritiker. Statt Einsparungen für den Staat sei das Gegenteil der Fall, sagt Renate Sternatz, PPP-Expertin bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. "Die Privaten rechnen solche Projekte mit unrealistischen Annahmen schön. Vieles kann eine Kommune in Eigenregie günstiger erledigen." Die Städte seien zudem wegen der langen Vertragslaufzeiten über Jahrzehnte den Unternehmen ausgeliefert.
Auch Holger Mühlenkamp, Betriebswirtschaftsprofessor an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, ist skeptisch: "PPP-Modelle dienen oft dazu, dass die Städte keine neuen Schulden ausweisen müssen. Das ist wie jemand, der von seiner Bank keinen Kredit mehr bekommt, aber trotzdem sein Konto überziehen will."
Was die PPP-Befürworter ausklammern: Privatunternehmen haben gegenüber Kommunen eine ganze Reihe an Nachteilen. So müssen sie Umsatzsteuer zahlen, die bei Angestellten der Stadt entfällt. Zudem sind die Refinanzierungskosten höher: "Ein Privatunternehmen kann nie so günstig Kredite aufnehmen wie der Staat", sagt Steuerexperte Kanski. Die Zusatzkosten lassen sich die Unternehmen über die Leasingraten von den Kommunen bezahlen.

ALLHEILMITTEL ÖFFENTLICH-PRIVATE KOOPERATION?_ In Gelsenkirchen sollte die Sanierung des denkmalgeschützten Rathauses durch den Baukonzern Heitkamp, die Deutsche Immobilien Leasing und den Gebäudeausrüster Imtech bei Vertragsschluss im Jahr 2003 nur 35 Millionen Euro kosten - ein Schnäppchenpreis. Doch die Stadt machte einen Fehler: "Der Vertrag sah keine Kostendeckelung vor", sagt Oberbürgermeister Baranowski. "Und die Kosten explodierten."
Zwei Jahre später stellte das Konsortium der Stadt bereits 143 Millionen Euro in Rechnung. Dem Stadtrat reichte es, er kündigte den Vertrag. Jetzt streitet sich Gelsenkirchen mit den Investoren vor Gericht. Das PPP-Abenteuer wird die marode Revierstadt wohl mehr als 40 Millionen Euro kosten. Das Rathaus saniert Gelsenkirchen nun selbst - zu weitaus günstigeren Konditionen.
Als Allheilmittel taugt auch die öffentlich-private Kooperation nicht. "PPP kann günstiger sein - muss es aber nicht. Die Städte müssen darauf achten, dass eine unabhängige Institution die Annahmen über die Wirtschaftlichkeit überprüft", sagt Difu-Wissenschaftler Schneider. Die schlechten Erfahrungen haben auch die Kommunalpolitiker misstrauisch gemacht: Salzgitter, Fürth und Berlin haben geplante PPP-Projekte wegen des hohen Risikos bereits beerdigt. Auch Gelsenkirchens Oberbürgermeister Baranowski will neue Vorhaben lieber noch einmal genau durchrechnen: "In Zukunft wird die Kommunalfinanzierung vorsichtiger sein", sagt er.

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