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Kerstin Mai ist Betriebsrätin am Bosch-Standort für Car-Multimedia in Hildesheim, seit 2017 ist sie KBR-Vorsitzende und seit April 2018 EBR-Vorsitzende. Magazin Mitbestimmung

Mitbestimmung: Ein ganz besonderer Spirit

Ausgabe 02/2019

Mitte der 1990er Jahre wurden Europäische Betriebsräte dank einer EU-Richtlinie Realität – nachdem viele Jahre zuvor die länderübergreifende Zusammenarbeit schon intensiviert worden war. Zwei Beispiele, bei denen der Mehrwert dieser Kooperation schnell klar wird, sind BASF und Bosch. Von Andreas Kraft

Den Brexit wird es zumindest im BASF-Europabetriebsrat (EBR) nicht geben. „Wenn Großbritannien die EU verlässt, werden die Kollegen von dort im Europäischen Betriebsrat bleiben“, sagt Sinischa Horvat, der Vorsitzende des Europäischen Betriebsrats von BASF. „Zumindest da können wir den Brexit verhindern. Was das Ganze für BASF insgesamt bedeutet, ist aber noch gar nicht abzusehen.“ Zu viel ist inzwischen auf EU-Ebene geregelt. Was bedeutet der Austritt für die Zölle? Was sind die wirtschaftlichen Folgen? Und was wird sich rechtlich verändern? Schließlich hat die sogenannte REACH-Verordnung (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) für die EU bislang das Chemikalienrecht harmonisiert. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit hat das enorm vereinfacht. „Muss das künftig für Großbritannien alles neu gemacht werden?“, fragt Horvat.

Auch bei Bosch ist Europa zumindest im EBR größer als die EU. Dort gehört nicht nur die Schweiz dazu, sondern auch die Türkei. „Das ist einfach ein wichtiger Produktionsstandort“, sagt Kerstin Mai, die EBR-Vorsitzende. „Deshalb hat man früh entschieden, die Türkei in den Europäischen Betriebsrat zu integrieren.“ Neben Türkisch und Deutsch werden, wenn bei den Sitzungen des EBR 38 Vertreter aus 23 Ländern zusammenkommen, je nach Anwesenheit der Delegierten bis zu 13 Sprachen gesprochen. „Bei unseren Sitzungen sind immer Dolmetscher dabei, die alles simultan übersetzen“, sagt Mai. Das sei auch nötig. Schließlich seien die Themen ziemlich komplex. „Da ist es schon gut, wenn man in seiner Muttersprache arbeiten kann.“

Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es dank einer EU-Richtlinie die Europäischen Betriebsräte. Sie dürfen in Unternehmen mit mehr als 1000 Arbeitnehmern gegründet werden, wenn von den Beschäftigten mindestens 150 in zwei Ländern tätig sind. Inzwischen sind es europaweit mehr als 1000 Gremien. In etwa 1000 weiteren Unternehmen hätten die Beschäftigten das Recht, einen Europäischen Betriebsrat zu gründen. Doch ist vielen anscheinend unklar, was sie davon hätten – außer mehr Arbeit. Die Richtlinie selbst ist, was die Ausgestaltung angeht, ziemlich vage. Wirkliche Mitbestimmungsrechte für die Beschäftigten legt sie nicht fest. Es heißt nur: Die konkreten Rechte des EBR regelt eine firmeninterne Vereinbarung.

„Es kommt also darauf an, was die Arbeitnehmervertreter daraus machen“, sagt Norbert Kluge, Direktor des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmenspraxis (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung. „Wenn sie das Gremium mit Leben füllen, kann es wirklich Wirkung entfalten.“ So wie bei BASF oder Bosch. Die beiden Unternehmen zeigen, wie der EBR mehr Rechte für die Beschäftigten schaffen kann. „Wir tauschen uns im EBR natürlich über unsere jeweiligen Rechte auf der nationalen Ebene aus“, sagt Sinischa Horvat. „Da nehmen viele auch Anregungen für bessere Standards mit nach Hause, die sie früher wahrscheinlich gar nicht diskutiert hätten.“ Wie die EU an sich, trägt also auch der EBR zu einer Harmonisierung bei und wird zu einem Vehikel, die Standards nach oben anzugleichen.

Im Kern geht es um Information

Im Zentrum der EBR-Arbeit steht aber meist die Information durch das BASF-Management. Der EBR wird so zum direkten Draht zwischen Konzernspitze und Beschäftigten. „Für uns in Deutschland hat der EBR klar den Vorteil, dass wir früher über anstehende Veränderungen informiert werden, als es vorher der Fall war“, sagt Horvat. Viel größer sei der Unterschied aber noch für die Kollegen aus anderen Ländern, in denen es keine Informationspflichten für die Unternehmensführung gibt wie im deutschen Betriebsverfassungsgesetz. Die Arbeitnehmervertretungsstruktur in den Ländern ist sehr unterschiedlich. In Spanien etwa gibt es Arbeitnehmervertretungen nur auf der Ebene der Standorte. Ein Gremium auf nationaler Ebene wie Gesamt- oder Konzernbetriebsrat, in dem sich die Beschäftigten austauschen könnten, fehlt dagegen. „Durch den EBR haben sie jetzt die Möglichkeit, sich auch auf nationaler Ebene auszutauschen und einen Überblick über die Situation von Bosch in ihrem Land zu bekommen“, sagt Kerstin Mai von Bosch, „und auch die Möglichkeit, sich zu Wort zu melden und Probleme anzusprechen.“

Die reinen Werkstandorte seien oft nicht gut in die übergeordnete Strategie eingebunden. Für den Arbeitgeber habe daher der EBR auch Vorteile. „Durch den Austausch und die persönliche Begegnung besteht überhaupt die Chance, sich gegenseitig besser zu verstehen. Die Arbeitnehmervertreter können durch die Informationen Abhängigkeiten viel besser durchschauen.“

Die Auseinandersetzung habe das durchaus befriedet. In Ländern wie Frankreich oder Spanien werden Konflikte schnell viel weiter eskaliert als in Deutschland. Bei einer Mobilisierung wird dann demonstriert, und es brennen auch mal Barrikaden. „Die Konflikte sind jetzt nicht weg“, sagt Mai. „Aber sie können ganz anders diskutiert werden. Die Kultur hat sich da wirklich verändert.“ Und das kann für beide Seiten viel zielführender sein. Im letzten Jahr habe sich der Delegierte aus Spanien im EBR beim Vorstand darüber beschwert, dass die neue regionale Leitung die etablierte Dialogkultur nicht fortsetzt. Das habe sich schnell wieder gelegt, sagt Mai.

Auch bei BASF schätzt die Unternehmensführung die Vorteile einer transparenten Kommunikation. „Konflikte können angegangen werden, bevor sie explodieren“, sagt Horvat. „Durch die Diskussion im Vorfeld kann eine Strategie verbessert werden. Das Management profitiert da auch von dem Wissen der Arbeitnehmervertreter.“ Aber auch die Beschäftigten profitieren von der Transparenz. „Die Kollegen haben so vor Ort oft einen Wissensvorsprung und können kritische Entscheidungen des lokalen Managements viel besser infrage stellen“, sagt Horvat. Im Fall eines Falles verschaffe es den Betriebsräten in Frankreich oder Italien aber auch mehr Zeit, ihre Protestaktionen besser vorzubereiten.

Doch bisweilen stößt die EBR-Arbeit auch an ihre Grenzen – einfach weil die Arbeitnehmervertreter bei einem Konzern wie Bosch, der 410 000 Menschen in 440 Regional- und Tochtergesellschaften in rund 60 Ländern beschäftigt, nicht in allen Themen fit sein können. „Ein Betriebsrat, der aus einem Automobilstandort kommt und sich mit Dieselmotoren und Zündkerzen auskennt, ist nicht unbedingt ein Experte, wenn es um Smart Home, Waschmaschinen oder Akkuschrauber geht“, sagt Kersin Mai. Der EBR muss sich dieser Herausforderung stellen. Eine Struktur entlang der Geschäftsbereiche kann da helfen. Im Bereich des Antriebsstrangs für Fahrzeuge ist das schon ziemlich gut gelungen. Mit drohenden Fahrverboten für Dieselmotoren und der E-Mobilität steht der Geschäftsbereich vor einem Umbruch. Seit Anfang 2018 treffen sich die Arbeitnehmervertreter zweimal im Jahr mit den Spitzenmanagern der Sparte. „Der Arbeitgeber war sehr schnell dazu bereit, das Gremium einzurichten“, sagt Mai. „Dahinter steht sicher auch die Hoffnung, die Veränderungsprozesse mit Anstand über die Bühne zu bringen.“

Motor der europäischen Einigung

Doch der Europäische Betriebsrat bringt nicht nur Konzerne und Beschäftigte voran, er vertieft auch die europäische Integration. „Das Friedensprojekt Europa ist mir ein Herzensanliegen“, sagt die EBR-Vorsitzende. „Dass Europa momentan so unter Druck ist, tut mir wirklich weh.“ Bei Bosch erlebt sie hautnah die Spannungen zwischen den alten Industriestandorten in West­europa und neuen Standorten in Osteuropa, wo die Löhne einfach niedriger sind. „Dort möchte man zwar aufholen, aber – so der Eindruck – auch eine gesunde Distanz wahren, um den Nimbus als Niedriglohnland nicht zu verlieren.“ Doch auch dort spüre man inzwischen den Druck des zunehmenden Wettbewerbs. Der EBR helfe aber dabei, die Spannungen abzubauen, ist sich Mai sicher: „Wenn sich die Menschen kennenlernen und sich über ihre Lebenssituation austauschen, wächst auch das Verständnis, dass jeder Arbeitsplatz für den einzelnen Menschen einen Wert hat. Ganz egal, wo der jetzt ist.“ Nur so werde es auch möglich, einen fairen Ausgleich zwischen den Standorten hinzubekommen.

Bei BASF ist die Situation deutlich weniger kritisch. „Standorte gegeneinander auszuspielen ist eher schwierig“, sagt Sinischa Horvat. In der Chemieindustrie ist vor allem der Bau der Anlagen teuer, die Personalkosten fallen da nicht sonderlich ins Gewicht. Horvat beobachtet in seiner Arbeit, wie der EBR auch zur Verständigung beiträgt: „Wenn ich mich mit einem Kollegen aus Italien über die Arbeitsmarktreformen dort unterhalte, erfahre ich ganz andere Details und auch, was es für die Menschen konkret bedeutet, als wenn ich nur etwas darüber in der Zeitung lese.“ Damit entstehe auch Schritt für Schritt eine europäische Solidarität unter den Beschäftigten: „Wir haben da wirklich einen ganz besonderen Spirit.“ 

  • Kerstin Mai ist Betriebsrätin am Bosch-Standort für Car-Multimedia in Hildesheim, seit 2017 ist sie KBR-Vorsitzende und seit April 2018 EBR-Vorsitzende. (Foto: Frank Schinski/OSTKREUZ)
  • Brennende Barrikaden beim Generalstreik 2010 in Spanien. Die Proteste waren von Spaniens Gewerkschaften CCOO und UGT organisiert worden. (Foto: Albert Olive/EPA)
  • Sinischa Horvat ist seit über 25 Jahren bei BASF in Ludwigshafen. Seit 2017 ist er dort KBR-Vorsitzender, EBR-Vorsitzender und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender. (Foto:Wolfgang Roloff)
  • Die Citral-Anlage der BASF in Ludwigshafen ist teil des riesigen BASF-Stammwerks, einem der größten chemischen Produktionskomplexe der Welt.(Foto: BASF SE)
  • I.M.U.-Direktor Norbert Kluge bei der Tagung „Europa, wo bleibt die Mitbestimmung?“ in Brüssel (Foto: Horst Wagner)

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