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Studie: Positiver Effekt auf Wachstum, Arbeitsmarkt und Alterssicherung : Mehr Investitionen helfen, den Belastungsanstieg durch demografischen Wandel deutlich zu reduzieren

06.06.2018

Höhere Staatsausgaben, die zur Hälfte als Investitionen in öffentliche Infrastruktur und Wohnungsbau und zur anderen Hälfte in bessere Bildung, Verwaltung, Pflege und Rentenleistungen fließen, würden in den kommenden 15 Jahren Wachstum und Beschäftigung in Deutschland deutlich steigern: Die Zahl der Erwerbstätigen liegt dann Mitte der 2030er um zwei Millionen Personen höher als ohne entsprechende Investitionspolitik. Damit würde ein Wachstumsprogramm nicht nur den öffentlichen Investitionsstau auflösen, sondern auch dazu beitragen, die Alterssicherung in Deutschland langfristig ohne Eingriffe bei Rentenniveau und Renteneintrittsalter zu stabilisieren. Unterstützt werden sollte das Programm durch stärkere Lohnanhebungen. Denn durch höhere und besser bezahlte Erwerbstätigkeit wird die trotz demografischen Wandels auch in Zukunft noch bestehende Unterbeschäftigung am deutschen Arbeitsmarkt reduziert und durch mehr und höhere Beitragszahlungen die soziale Sicherung gestärkt. Durch die zusätzlichen Einnahmen der Sozialkassen blieben die Auswirkungen der gesellschaftlichen Alterung finanziell gut beherrschbar. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.

„In den vergangenen Wochen hatten rentenpolitische Katastrophenszenarien wieder Konjunktur, welche die Pläne der Bundesregierung zur Stabilisierung der Alterssicherung als unbezahlbar darstellen“, erklärt IMK-Alterssicherungsexperte Dr. Rudolf Zwiener. „Allerdings blenden Studien mit diesem Ergebnis systematisch aus, dass die wichtigste Stellschraube für die Gestaltung des demografischen Wandels am Arbeitsmarkt liegt. Eine umfassende Analyse zeigt dort große Gestaltungsspielräume. Kurz gesagt: Mehr und besser bezahlte Arbeit statt `Rente mit 70´“, fasst Zwiener die Ergebnisse seiner umfangreichen Modellrechnungen zusammen.

Sie ergänzen eine kürzlich vorgestellte Studie, in der Forscher der Hans-Böckler-Stiftung, der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und der AK Wien gezeigt haben, dass die Belastungen des demografischen Wandels für Arbeitsmarkt und Alterssicherung bis 2060 durch eine bessere Erwerbsintegration von Frauen, Migrantinnen und Migranten sowie Älteren auf etwa ein gutes Drittel bis ein Fünftel reduziert werden können. Voraussetzung dafür ist, dass durchaus realistische Ziele erreicht werden: Die genannte Pufferwirkung um knapp zwei Drittel bis vier Fünftel lässt sich erreichen, wenn in Deutschland bis 2050 eine Erwerbsbeteiligung erreicht wird, wie sie Schweden bereits heute hat.

Das vom IMK nun durchgerechnete Ausgabenprogramm würde dafür bis Mitte der 2030er Jahre wichtige Weichen stellen. In seiner Simulation mit dem gesamtwirtschaftlichen Modell des IMK kalkuliert Zwiener die Effekte einer Wachstumsstrategie, bei der die öffentliche Hand Investitionen und Staatsausgaben so erhöht, dass das Geld zu je einem Viertel in öffentliche Infrastruktur wie Straßen oder Breitbandnetze, in den Wohnungsbau, in Bildung, Verwaltung und Pflege sowie in höhere Sozialleistungen bei Pflege und Rente fließt. Das Programm läuft in Schritten über 15 Jahre. Alle drei Jahre wird die jährliche Summe um 16 Milliarden Euro erhöht, so dass am Ende gut 60 Milliarden Euro pro Jahr dafür ausgegeben werden. Bei den veranschlagten Summen hat sich der IMK-Forscher an verschiedenen Studien zum Investitionsbedarf bei Wohnungen, Infrastruktur, Bildung, Rente und Pflege orientiert.

Im Ergebnis ist nach 15 Jahren die Wirtschaft deutlich stärker gewachsen als dies ohne Wachstumsstrategie passiert wäre: Das zusätzliche Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt sechs Prozent. Die Zahl der Erwerbstätigen ist um zusätzlich 4,5 Prozent gestiegen, was rund zwei Millionen Personen entspricht. Dabei erhöht sich die Zahl der Voll- und der Teilzeitbeschäftigten. Ziel ist es, dass Frauen weit seltener als bisher nur in kurzer Teilzeit bzw. Minijobs arbeiten, die kein eigenständiges Auskommen ermöglichen. Damit nähert sich die Erwerbsstruktur in Deutschland dem Referenzmodell Schweden an. Die Nominallöhne entwickeln sich deutlich kräftiger, was auch die Einkommen der Rentnerinnen und Rentner stärkt. Zwar steigen die Lohnstückkosten im Zuge der besseren wirtschaftlichen Entwicklung und höheren Löhne stärker. Der heute sehr große und von vielen Ökonomen und Politikern kritisierte deutsche Leistungsbilanzüberschuss wird deshalb und wegen der stärkeren Binnennachfrage spürbar kleiner. Bei dem höheren Wachstum machen aber auch die Unternehmen bessere Geschäfte, ihre Gewinne steigen um zusätzliche 16 Prozent. „Die Wachstumsgewinne kommen damit Unternehmen und Arbeitnehmern gleichermaßen zu Gute“, schreibt Zwiener.

Fazit des Forschers: „Die Stabilisierung des gegenwärtigen Rentenniveaus wird mit einer solchen Wachstums- und Beschäftigungspolitik unterstützt, und langfristig notwendige Steuer- und Beitragssatzerhöhungen werden damit erheblich reduziert.“ Damit könne der demografisch bedingte Aus-gabenanstieg deutlich reduziert werden, ohne die Leistungsniveaus schmälern zu müssen und ohne das gesetzliche Rentenalter nach oben zu verschieben. Einzige Einschränkung der positiven Perspektive: Ganz ohne Beitragssatzanhebungen werde die Stabilisierung der Alterssicherung auf Dauer nicht gelingen. „Insofern erscheint die Festlegung der Großen Koalition auf eine Deckelung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung bei 20 Prozent bei einer alternden Gesellschaft problematisch“, schreibt Zwiener. Allerdings gilt diese Deckelung genau genommen nur bis 2025 und in der gesetzlichen Rentenversicherung gibt es zudem zahlreiche versicherungsfremde Leistungen, die eigentlich aus Steuern und nicht durch Beiträge bezahlt werden müssten. Der Koalitionskompromiss, zukünftige Fehlbeträge über Steuern zu finanzieren, geht in diese Richtung.

Gemessen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands sei das skizzierte Wachstumsprogramm mit am Ende maximal zwei Prozent vom jährlichen Bruttoinlandsprodukt problemlos finanzierbar. Durch das stärkere Wachstum, das dem Staat höhere Steuereinnahmen beschert, und bei höheren Löhnen finanziere es sich zudem zu einem erheblichen Teil selbst, betont der Forscher. Die Quote der staatlichen Schulden im Verhältnis zum BIP wäre deshalb nach 15 Jahren mit Wachstumsprogramm sogar um knapp fünf Prozentpunkte niedriger als ohne zusätzliche Ausgaben.

Weitere Informationen:

Rudolf Zwiener: Mehr und besser bezahlte Arbeit statt „Rente mit 70“. Modellsimulation einer erfolgreichen Wachstums- und Beschäftigungspolitik zur Bewältigung des demografischen Wandels (pdf). IMK Policy Brief, Juni 2018.

Demografischer Wandel ist beherrschbar: Zusammenfassung und zentrale Grafiken der Demografie-Studie von Hans-Böckler-Stiftung und AK Wien.

Erik Türk, Florian Blank, Camille Logeay, Josef Wöss, Rudolf Zwiener: Den Demografischen Wandel bewältigen: Die Schlüsselrolle des Arbeitsmarktes (pdf). IMK Report 137, April 2018

Kontakt:

Dr. Rudolf Zwiener
Rentenexperte, IMK

Rainer Jung
Leiter Pressestelle

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