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HBS Böckler Impuls

Wirtschaftspolitik: Wenig nachhaltiger Wohlstand

Ausgabe 19/2017

Das BIP allein sagt wenig darüber aus, ob sich die Wirtschaft nachhaltig entwickelt. Das IMK hat mit einem breiteren Ansatz untersucht, ob Deutschland auf dem richtigen Weg ist.

Was hat die deutsche Bundesregierung in den vergangenen Jahren erreicht? Die Staatsfinanzen sind solide, die Lage am Arbeitsmarkt ist gut. Doch in sozialer und ökologischer Hinsicht bestehen große Mängel. Und die Investitionen in die  Zukunft sind ungenügend. Das IMK stellt der Politik ein gemischtes Zeugnis aus. IMK-Forscher Fabian Lindner hat untersucht, wie sich Deutschland seit 2008 entwickelt hat und welche von der Bundesregierung und von Wissenschaftlern für sinnvoll erachteten Ziele erreicht wurden. Die wichtigsten Ergebnisse: 

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf hat sich seit 2008 schwächer entwickelt, als es den Zielvorstellungen der Forscher entspricht. So wuchs das BIP pro Kopf im Schnitt nicht um 1,25 Prozent im Jahr, sondern nur um 0,8 Prozent. Dies ist der IMK-Analyse zufolge vor allem der Finanzkrise geschuldet. Das Ziel der Europäischen Kommission, einen Leistungsbilanzüberschuss von nicht mehr als 6 Prozent zu erreichen, wurde weit verfehlt: Statt zu sinken, ist der Leistungsbilanzsaldo 2016 auf 8,4 Prozent des BIP angestiegen, was „eine Stabilitätsgefahr für den Rest des Euroraums und die Weltwirtschaft“ darstelle. Positiv bewertet das IMK dagegen die zuletzt deutliche Zunahme des Konsums. 

Die Beschäftigung hat sich in den vergangenen Jahren erfreulich entwickelt. Hier hat Deutschland das im Rahmen der sogenannten Europa-2020-Strategie vereinbarte Ziel einer Beschäftigungsquote von 77 Prozent der 20- bis 64-Jährigen übertroffen. 2016 lag die Quote bei 78,6 Prozent. Viele der in den letzten Jahren hinzugekommenen Jobs sind keine Vollzeitstellen und der Anteil der atypischen Beschäftigung bleibt weiterhin hoch. Der Staatshaushalt verzeichnet seit 2013 Überschüsse, womit die Vorgaben der europäischen Schuldenregeln deutlich übererfüllt sind. Die wesentlichen Ursachen sind konjunkturbedingt sprudelnde Steuereinnahmen und geringe Zinskosten. Die Staatsschuldenquote ist im Zuge der Bankenrettung angeschwollen, seit 2010 aber rückläufig. Sie sinkt schneller als das EU-Regelwerk fordert. Kritisch bewertet das IMK die Ausgabenseite: „Sehr schlecht“ hätten sich die Nettoinvestitionen entwickelt. Seit 2013 gleichen die Investitionen nicht einmal den laufenden Verschleiß von Gebäuden oder Verkehrswegen aus. Die öffentliche Infrastruktur verfällt. 

Die Armutsrisikoquote lag mit 15,7 Prozent im Jahr 2016 deutlich über dem Zielwert von zwölf Prozent. Besonders bei den Älteren erwarten die Wissenschaftler in Zukunft einen weiteren Anstieg. Die Ungleichheit der Einkommen „stagniert auf hohem Niveau“. Lediglich einer der sozialen Indikatoren hat sich zum Besseren entwickelt: Die Quote der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ohne höheren Schulabschluss ist gesunken und hat den von der Regierung angestrebten Zielwert mit 10,3 Prozent nur um 0,3 Prozentpunkte verfehlt. Auf den ersten Blick fielen auch die gestiegenen Bildungsausgaben je Schüler positiv auf, schreiben die IMK-Forscher. Dahinter stecke jedoch vor allem ein demografisches Phänomen: konstante Ausgaben bei sinkender Schülerzahl.

Die Treibhausgasemissionen werden nicht so weit zurückgehen, wie sie es nach den Beschlüssen der Pariser Weltklimakonferenz von 2015 müssten – und wie es sich die Bundesregierung selbst vorgenommen hat. Von 2008 bis 2016 sind sie gerade einmal um sieben Prozent gesunken. Bis 2020 müssten sie um weitere 17 Prozent sinken, um das Emissionsziel der Bundesregierung noch zu treffen. Die größten Fortschritte ließen sich hier mit einem Ende der Kohleverstromung erzielen – was allerdings „mit sozialen und wirtschaftlichen Kosten verbunden“ wäre. Ein Zielkonflikt, den man nicht einseitig lösen dürfe, betonen die Forscher. „Es wäre falsch, das ökologische Nachhaltigkeitsziel auf Kosten des Beschäftigungsziels zu lösen“, sagt IMK-Direktor Horn. „Aber wenn die Strategie stimmt und entsprechend investiert wird, ist es möglich, in den betroffenen Regionen wegfallende Arbeitsplätze durch neue zu ersetzen.“ 

Der Energieverbrauch ist weit weniger gesunken, als unter ökologischen Gesichtspunkten erforderlich wäre. So hat der Verbrauch von Primärenergie zwischen 2008 und 2016 nur um 6,5 Prozent abgenommen. Die Selbstverpflichtung der Bundesregierung, den Verbrauch zwischen 2008 und 2020 um 20 Prozent zu drosseln, ist damit kaum mehr realistisch. 

Die Artenvielfalt in Deutschland ist deutlich zurückgegangen, was sich etwa am sogenannten Vogel-Index ablesen lässt, der ein guter Indikator für die Biodiversität, also die landschaftliche Vielfalt, ist. Bereits 2002 hatte sich die damalige Regierung auf die Fahnen geschrieben, bis 2015 wieder das Niveau der 1970er-Jahre erreichen zu wollen. Tatsächlich stagniert der Wert auf deutlich niedrigerem Niveau. Hinzu kommt ein dramatisches Insektensterben. 

Insgesamt macht die Bestandsaufnahme deutlich, dass „viel zu tun ist, um die Nachhaltigkeit in Deutschland zu steigern“. Dabei bestünden in Teilbereichen durchaus Zielkonflikte. Im Großen und Ganzen sei die nötige Stoßrichtung jedoch klar: Der Staat muss seinen in der Finanzpolitik gewonnenen Spielraum nutzen, um den ökologischen Umbau voranzutreiben – und gleichzeitig durch gezielte Umverteilung die Einkommensunterschiede reduzieren.

  • Die meisten Wohlstandindikatoren unter- beziehungsweise überschreiten die angestrebten Werte. Zur Grafik

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