Forschungsprojekt: Neue Kultur des Helfens oder Schattenökonomie?

Engagement und Freiwilligenarbeit im Strukturwandel des Wohlfahrtsstaats

Projektziel

Freiwilliges Engagement wird zunehmend als Pfeiler der Daseinsvorsorge adressiert. Das Projekt fragt nach den Problemen, die mit dem staatlichen Rückgriff auf diese Ressource einhergehen. Anhand von Fallstudien in Baden-Württemberg und Brandenburg werden Prozesse der Instrumentalisierung, der De-Professionalisierung und Informalisierung von Arbeit sowie Politisierungen im Engagement analysiert.

Veröffentlichungen

van Dyk, Silke und Tine Haubner, 2021. Community-Kapitalismus. Neue soziologische Perspektiven auf Sorgearbeit, Sozialstaat und Ökonomie, kleine reihe, Hamburg: Hamburger Edition , 176 Seiten.

Haubner, Tine, 2021. Ehrenamt als Arbeit?. Zur Aktualisierung einer arbeitssoziologischen Analyse, In: Bernhard Emunds, Julian Degan, Simone Habel und Jonas Hagedorn (Hrsg.), Freiheit - Gleichheit - Selbstausbeutung. Zur Zukunft der Sorgearbeit in der Dienstleistungsgesellschaft, 6. Band, Marburg: Metropolis-Verlag, S. 239-264.

van Dyk, Silke, Tine Haubner und Laura Boemke, 2021. Gemeinwohldienst oder Gratisarbeit?. Zur politischen Ökonomie von Freiwilligenarbeit im Gegenwartskapitalismus, PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 51(3), S. 537-565.

van Dyk, Silke, Laura Boemke und Tine Haubner, 2021. Solidarität mit Geflüchteten und Fallstricke des Helfens, Berliner Journal für Soziologie, 31, S. 445-473.

Haubner, Tine, 2020. Die neue "heimliche Ressource der Sozialpolitik"?. Soziales Engagement als geschlechterpolitisch ambivalenter Möglichkeitsraum im Community Kapitalismus, Österreichische Zeitschrift für Soziologie,, 2020(45), S. 447-463.

van Dyk, Silke, Laura Boemke und Tine Haubner, 2020. Fallstricke des Helfens oder Sternstunden der Solidarität?. Engagement für Geflüchtete im Spannungsfeld von Indienstnahme, Rassismus, Charity und Politisierung, Bürger & Staat, 2020(3), S. 136-143.

Haubner, Tine, Laura Boemke und Silke van Dyk, 2020. Im Westen nichts Neues, im Osten noch selten?. Freiwilliges Engagement im Spannungsfeld von Nachwende-Erbe und neuen Herausforderungen, Voluntaris - Zeitschrift für Freiwilligendienste und zivilgesellschaftliches Engagement , 2020(1), S. 57-72.

van Dyk, Silke, 2019. Von der Nothilfe zur politischen Ökonomie des Helfens. Flüchtlingshilfe in der Freiwilligengesellschaft, In: Kristina Binner, Karin Scherschel (Hrsg.), Fluchtmigration und Gesellschaft. Von Nutzenkalkülen, Solidarität und Exklusion, Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 32-49.

van Dyk, Silke, 2019. Community-Kapitalismus. Die Rekonfiguration von Arbeit und Sorge im Strukturwandel des Wohlfahrtsstaats, In: Berliner Journal für Soziologie (Hrsg.), Große Transformation? Zur Zukunft moderner Gesellschaften, Wiesbaden: Springer VS, S. 279-296.

van Dyk, Silke und Tine Haubner, 2019. Gemeinschaft als Ressource?. Engagement und Freiwilligenarbeit im Strukturwandel des Wohfahrtsstaats, In: A. Doris Baumgartner, Beat Fux (Hrsg.), Sozialstaat unter Zugzwang? Zwischen Reform und radikaler Neuorientierung, Wiesbaden: Springer VS, S. 259-280.

Haubner, Tine, 2019. Das soziale Band neu knüpfen?. Bürgerschaftliche Sorge-Dienstleistungen im Schatten von Arbeitsmarkt und Sozialstaat, In: Berliner Journal für Soziologie (Hrsg.), Große Transformation? Zur Zukunft moderner Gesellschaften, Wiesbaden: Springer VS, S. 197-209.

Projektbeschreibung

Kontext

Im Zuge der Restrukturierung zum aktivierenden Sozialstaat, forciert durch die Krise der Staatsfinanzen und eine Krise sozialer Reproduktion, gewinnt das sorgende Potenzial unbezahlter Arbeit – auch jenseits familiärer Kontexte – (sozial-)politisch an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund ist eine Umdeutung der sozialen Frage in eine Frage der fürsorglichen Gemeinschaft zu beobachten, bei der zunehmend die moralische Pflicht zur gemeinwohldienlichen Aktivität aller Sozialstaatsbürger*innen proklamiert wird. Freiwilligenarbeit und Engagement avancieren dabei, so die Ausgangsbeobachtung des Projekts, in Zeiten sich krisenhaft wandelnder Familien- und Geschlechterverhältnisse zum Lebenselixier des Gegenwartskapitalismus.

Fragestellung

Während es in der Engagementforschung an Fallstudien zu einzelnen Engagementfeldern nicht mangelt, fehlt es an wohlfahrtsstaatstheoretisch fundierten, übergreifenden empirischen Analysen, die die Inanspruchnahme unbezahlter oder geringfügig entschädigter Freiwilligenarbeit in unterschiedlichen Feldern in den Blick nehmen. Angesichts der empirisch gut belegten, politischen Adressierung des Engagements als neuer Produktivitätsressource, interessierte uns hier konkret, inwiefern das Fördern, Fordern und In-Anspruch-Nehmen von Engagement und Freiwilligenarbeit im aktivierenden Sozialstaat zum Vehikel von Informalisierungs- und De-Professionalisierungsprozessen in verschiedenen Arbeitsfeldern wird. Außerdem sind wir der Frage nachgegangen, inwiefern bestimmte freiwillige Aktivitäten staatlicherseits für eine (neu-)subsidiäre Daseinsfürsorge in Dienst genommen werden und schließlich wie diese Konstellation von Engagierten erlebt, gedeutet und gestaltet wird.

Untersuchungsmethoden

Unser Methodenmix umfasst Institutionen- und Dokumentenanalysen, teilnehmende Beobachtungen und eine qualitative Interviewstudie mit Expert*inneninterviews, Gruppengesprächen und problemzentrierten Interviews mit Engagierten. An vier Untersuchungsorten in jeweils zwei Mittelstädten und Landkreisen in Baden-Württemberg und Brandenburg wurden 46 Engagierteninterviews, sechs Gruppengespräche sowie vier teilnehmende Beobachtungen bei Schulungsveranstaltungen und Netzwerktreffen von Engagierten durchgeführt. Ferner wurden 80 Interviews mit Expert*innen in den vier Untersuchungsorten sowie auf Länder- und Bundesebene geführt. Daneben bildet ein für den Zeitraum von 2011 bis 2017 erstellter und systematisch kodierter Datenkorpus aus 1250 Dokumenten (z.B. Regierungs- und Parteiprogramme, Veröffentlichungen von Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Kirchen sowie Artikel aus der regionalen und überregionalen Presse) die empirische Basis des Forschungsprojekts.

Darstellung der Ergebnisse

Instrumentalisierung: Freiwillige übernehmen zunehmend zentrale, teilhabesichernde Aufgaben der sozialen Daseinsvorsorge. Während viele Expert*innen dies problematisieren, deuten Engagierte es sehr unterschiedlich: Was die einen als Ausnutzung problematisieren, ist für andere eine notwendige, wünschenswerte Entwicklung.

Informalisierung: Im Spannungsfeld von Freiwilligen- und Erwerbsarbeit entstehen durch Neuregelungen bei den Zuverdienstgrenzen im ALG-II, den Rückbau arbeitsmarktpolitischer Fördermaßnahmen und Fachkräftemangel im Sozialsektor arbeitsrechtliche Graubereiche.

Deprofessionalisierung: Der Einsatz Freiwilliger gewinnt in den Sozialberufen an Bedeutung. Engagement entlastet hier und wirkt sich zugleich nachteilig auf die berufliche Handlungspraxis und Professionalisierungsbestrebungen aus. Fürsorgliche Tätigkeitsanteile werden dabei unter dem Druck von Rationalisierung und Ökonomisierung in den Bereich informeller Hilfen ausgelagert.

Praxis- und Politisierungsthese: Kritik der Engagementbedingungen finden wir hauptsächlich in der Flüchtlingshilfe. Im sorgenahen Engagement lassen sich stattdessen de-politisierende Deutungen rekonstruieren.

Projektleitung und -bearbeitung

Projektleitung

Dr. Tine Haubner
Friedrich-Schiller-Universität Jena Institut für Soziologie
tine.haubner@uni-jena.de

Prof. Dr. Silke van Dyk
Friedrich-Schiller-Universität Jena Institut für Soziologie
Arbeitsbereich Gesellschaftsvergleich
silke.vandyk@uni-jena.de

Bearbeitung

Dr. Emma Dowling
Friedrich-Schiller-Universität Jena Institut für Soziologie
emma.dowling@uni-jena.de

Kontakt

Dr. Eike Windscheid-Profeta
Hans-Böckler-Stiftung
Forschungsförderung
eike-windscheid@boeckler.de

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