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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Wo prekär normal ist

Ausgabe 14/2017

Eine aktuelle Untersuchung über das Verlagswesen zeigt: Vor Prekarisierungstendenzen sind auch wissensintensive Dienstleistungen nicht sicher.

Prekär beschäftigt sind nur die am Rande. Die Stammbelegschaft erfreut sich dagegen weiter sozial abgesicherter Arbeitsplätze. Von diesem Bild gehen Arbeitsmarktforscher oft aus. Entsprechend wird zwischen interner und externer Flexibilität – etwa Arbeitszeitkonten versus Leiharbeit – unterschieden. Allerdings ist fraglich, ob eine solche „trennscharfe Unterscheidung von internen und externen Arbeitsmärkten“ noch zeitgemäß ist. Der Soziologe Markus Tünte von der Universität Duisburg-Essen hat seine Zweifel. Er hat anhand von Fallstudien eine Branche untersucht, in der die Grenzen längst verschwommen sind: das Verlagswesen.

Buch- und Zeitungsverlage sind demnach ein Paradebeispiel für „offene Beschäftigungssysteme“ mit hohen Anteilen „externer Personalflexibilisierung“. Ein Viertel der Beschäftigten sind Soloselbstständige. Sie übernehmen keinesfalls nur Zusatzaufgaben am Rande des Kerngeschäfts oder ergänzen die Stammbelegschaft, wenn besonders viel zu tun ist. Freiberuflich tätige „Revierjournalisten“ erledigen das für viele Zeitungen wichtigste Geschäft: eine kompetente Lokalberichterstattung. In Buchverlagen werden Selbstständige nicht nur für Einzelaufgaben wie Lektorat oder Satz angeheuert, sondern organisieren mitunter die gesamte Produktion. Bei Anzeigenblättern und Zeitschriften sind selbst die Chefredakteure oft Freie.

Die auf 56 Interviews basierende Studie offenbart, wie prekär die Situation vieler hochqualifizierter Soloselbstständiger ist. Im Zeitungssegment zum Beispiel seien die Honorare selten existenzsichernd, so Tünte. Lokaljournalisten sind oft auf weitere Einkommensquellen wie den Verdienst des Partners angewiesen. Ein weiteres Problem der Selbstständigen in der Verlagsbranche: Sie sind oft sehr stark von einem oder wenigen Auftraggebern abhängig, genießen aber keine verbrieften Rechte wie den Kündigungsschutz.

Zwar sei die Verlagswirtschaft ein Extrembeispiel, sagt der Forscher. Sie zeige aber, dass kaum eine Branche gegen Prekarisierungstendenzen gefeit sei, nicht einmal wissensintensive Dienstleistungen. Soloselbstständige, die „in Kernbereichen betrieblicher Wertschöpfung“ tätig sind, gebe es beispielsweise genauso in der Softwareindustrie. Eine klare Abgrenzung zwischen „betriebsinternen Arbeitsmärkten“ und „marktförmiger  Beschäftigung“ von Externen sei in vielen Unternehmen heute nicht mehr möglich.

Markus Tünte: Der Funktionswandel von externen Arbeitsmärkten und die Heterogenität von Prekarisierungsrisiken, Industrielle Beziehungen 1/2017 

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