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HBS Böckler Impuls

Pflege: Arbeitszeit ist schlecht verteilt

Ausgabe 07/2017

In der Pflege sind viele Frauen in Teilzeit beschäftigt, die gern mehr arbeiten würden. Vollzeitbeschäftigte sind hingegen oft enormen Belastungen ausgesetzt. Eine denkbare Lösung wäre die "große Teilzeit für alle".

Teilzeitarbeit ist in Pflegeberufen gang und gäbe, überall in Europa. Das zeigt eine Analyse von Lena Hipp, Nadiya Kelle und Lydia-Maria Ouart. Die drei Forscherinnen vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) haben dazu Daten der europäischen Arbeitskräfteerhebung aus dem Jahr 2014 ausgewertet. Dass in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern so viel Teilzeit gearbeitet wird, hat zum einen historische Gründe: Pflegeaufgaben wurden stets von Frauen „nebenbei“ erledigt, zusätzlich zu privater Haus- und Familienarbeit, so die WZB-Wissenschaftlerinnen. Zum anderen erfordern sie einen höchst flexiblen Arbeitseinsatz, denn die Aufgaben lassen sich nicht beliebig verschieben und gleichmäßig über den Tag verteilen. Zum Beispiel fällt in Altenheimen besonders viel Arbeit am Morgen an, wenn die Bewohner Hilfe beim Waschen, Anziehen und Frühstücken benötigen.

So kommt es, dass die Teilzeitquoten im Pflegesektor in vielen europäischen Ländern über dem Durchschnitt aller Beschäftigten liegen. Insbesondere die weniger qualifizierten Hilfskräfte erreichen oft nur geringe Stundenzahlen. In Deutschland arbeiten sie zu fast 60 Prozent in Teilzeit. Und mehr als 20 Prozent der Hilfskräfte würden gern länger arbeiten. Bei Fachkräften fallen die Zahlen niedriger aus.

Daraus sei jedoch keineswegs zu schließen, dass in der Pflegebranche nun eine pauschale Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf beispielsweise 39 Stunden anzustreben sei, betonen die Forscherinnen. Schließlich gibt ein großer Teil der Pflegerinnen – über 80 Prozent sind Frauen – an, keine volle Stelle anzustreben, weil die Arbeit physisch wie psychisch so belastend sei, dass sie mehr freie Zeit zum Ausgleich benötigen.

Es gehe vielmehr darum, Arbeitszeitmodelle zu entwickeln, die ein angemessenes Auskommen, eine „nachhaltige Balance zwischen Arbeits- und Erholungsphasen“ sowie die Vereinbarkeit zwischen Job und Familie ermöglichen. Dadurch würden Pflegejobs attraktiver und weniger Beschäftigte würden der Branche nach vergleichsweise kurzer Zeit den Rücken kehren. Gleichzeitig wären die Weiterbildungsangebote auszubauen, um die Kluft zwischen Fach- und Hilfskräften zu verringern. „Eine von mehreren Möglichkeiten“, die bereits „im politischen Diskurs angekommen“ sei, ist Hipp, Kelle und Ouart zufolge die „große Teilzeit für alle“. Ein solches Konzept, das einerseits den Interessen der Beschäftigten entspricht und andererseits dem Fachkräftemangel entgegenwirkt, könnte auch anderen Branchen zum Vorbild gereichen.

  • Unterbeschäftigung kommt bei Hilskräften in der Pflege deutlich öfter vor als bei anderen Beschäftigten. Zur Grafik

Lena Hipp, Nadiya Kelle, Lydia-Maria Ouart: Arbeitszeiten im sozialen Dienstleistungssektor im Länder- und Berufsvergleich, WSI-Mitteilungen 3/2017, April 2017
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