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HBS Böckler Impuls

Migration: Neue Heimat, neues Rollenbild

Ausgabe 03/2017

Einstellungen zur Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau hängen eher vom Umfeld als von der Herkunft ab: Migranten denken nach kurzer Zeit ähnlich wie Alteingesessene.

Das Thema Integration war schon immer sehr umstritten, auch vor den jüngsten Debatten um die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Verbreitet sind unter anderem Klischees, wonach Frauen aus nahöstlichen Kulturkreisen auch nach der Einwanderung von ihren Familien auf eine Rolle als Hausfrau und Mutter beschränkt würden. Wie wenig stichhaltig solche Thesen sind, zeigt eine Studie von Karen Breidahl und Christian Albrekt Larsen. Die Politikwissenschaftler von der Universität Aalborg haben untersucht, was Einheimische und Einwanderer in Europa über Frauen und Karriere denken. Ihrer Analyse zufolge dürften traditionelle Überzeugungen kein unüberwindliches Hindernis für die Integration von Migrantinnen in den Arbeitsmarkt darstellen: Wer einwandert, passt seine Ansichten rasch an die Denkmuster der neuen Heimat an.

Die Forscher haben Daten des European Social Survey aus den Jahren 2004, 2008 und 2010 ausgewertet. Von den Teilnehmern in 30 europäischen Staaten sind 13.500 im Ausland zur Welt gekommen. Die Befragten mussten unter anderem Stellung nehmen zu der Aussage, dass Frauen bereit sein sollten, zugunsten der Familie im Beruf kürzerzutreten. Der Grad der Zustimmung wurde auf einer fünfstufigen Skala erfasst.

Das Ergebnis: Die Einstellungen von Migranten und Einheimischen zum Thema Frauenerwerbstätigkeit seien „nahezu identisch“, so die Autoren. Unabhängig von der Herkunft äußerten sich die Befragten beispielsweise in Nordeuropa und den Niederlanden progressiv, in der Ukraine, Russland, Zypern und der Türkei ziemlich traditionell. Die Korrelation zwischen den Ansichten der Alteingesessenen und denen der Zuwanderer, die auf einer Skala von null bis eins gemessen wird, beziffern die Politologen auf 0,92 bei den Frauen und 0,88 bei den Männern. Auch wenn man nur die „nicht-westlichen“ Immigranten aus Asien, Lateinamerika und Afrika betrachtet, ist die Korrelation mit 0,81 sehr hoch.

Russen in Finnland denken progressiv

Dasselbe Bild ergibt sich sogar dann, wenn man die Analyse auf Einwanderer aus ein und demselben Land beschränkt: Gebürtige Russen hegen in Finnland vergleichsweise progressive Überzeugungen, in der Ukraine konservative. Wer in Deutschland geboren wurde und in Schweden lebt, hält Frauenerwerbstätigkeit für wichtiger als Deutschstämmige in Griechenland oder der Schweiz, wo traditionelle Vorstellungen von Mutterschaft eine größere Rolle spielen.

Auch wenn man Faktoren wie das Geschlecht, die Bildung, das Alter oder die Religiosität herausrechnet, ändert sich an dem grundsätzlichen Ergebnis nichts: Maßgeblich sind in erster Linie die vor Ort üblichen Ansichten. Die Länge des Aufenthalts im Zielland wirkt sich der Analyse zufolge kaum auf die Überzeugungen aus. Das heißt: Die Anpassung scheint sich mit hoher Geschwindigkeit abzuspielen. Nach Ansicht der Wissenschaftler spräche das dafür, dass Einstellungen zu Geschlechterrollen weniger tief verwurzelt und stabil sind, als oft angenommen wird.

  • Die Einstellungen von Migranten und Einheimischen zum Thema Frauenerwerbstätigkeit sind nahezu identisch. Zur Grafik

Karen N. Breidahl, Christian Albrekt Larsen: The myth of unadaptable gender roles, Journal of European Social Policy 5/2016

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