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HBS Böckler Impuls

Mitbestimmung: "Es ist noch nichts entschieden"

Ausgabe 02/2017

Die EU-Kommission hat sich positiv zur Mitbestimmung im Aufsichtsrat geäußert. Das heißt aber noch nicht, dass sich der Europäische Gerichtshof diesem Urteil anschließen muss.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) muss in Kürze darüber entscheiden, ob die deutsche Unternehmensmitbestimmung europarechtskonform ist. Aus der EU-Kommission heißt es, „dass die bestehenden deutschen Vorschriften als mit dem EU-Recht vereinbar angesehen werden können“. Die Rechtsvertreter von Deutschland, Österreich, Frankreich, den Niederlanden und Luxemburg haben Ende Januar bei einer EuGH-Anhörung das deutsche Mitbestimmungsgesetz unterstützt. Mitbestimmungsexperte Norbert Kluge von der Hans-Böckler-Stiftung erklärt, warum das Verfahren trotzdem weiterhin offen ist.

Die Kommission stellt sich hinter die Mitbestimmung. Ein gutes Zeichen?

Die EU-Kommission hat klargestellt, dass sie Arbeitnehmermitbestimmung als ein wichtiges politisches Ziel ausdrücklich anerkennt. Daraus leitet sie das Recht der EU-Mitgliedsstaaten ab, Mitbestimmungsrechte so zu verteidigen, wie sie im nationalen Kontext vorgesehen sind. So weit, so gut. Aber das beruhigt mich nicht. Wer die jüngste Anhörung vor dem EuGH beobachten konnte, dem ist nicht entgangen, dass die Ausführungen der EU-Kommission nicht so eindeutig positiv waren, wie die Pressemitteilung das jetzt nahelegt. Es ist noch nichts entschieden.

Was könnte denn passieren?

Gelegentlich ist zu hören: „Macht es doch so wie in Dänemark“. Danach könnten auch Arbeitnehmer im Ausland an Gremienwahlen im Land teilnehmen, allerdings sehr begrenzt als Arbeitnehmer in unselbständigen Niederlassungen der dänischen Unternehmen im Ausland. Der Generalanwalt, auf dessen abschließende Stellungnahme es stark ankommt, hat sehr interessiert nach der Übertragbarkeit der dänischen Regelung gefragt.

Könnte man mit der dänischen Lösung nicht leben?

Die dänische Vorstellung von Arbeitnehmerbeteiligung unterscheidet sich gravierend von der deutschen Mitbestimmung. Sie ist nur aus dem eigenen nationalen Kontext heraus erklärbar – wie die Unterschiede der Mitbestimmungsregelungen in den 18 EU-Mitgliedstaaten mit Mitbestimmungsrechten insgesamt auch. Wir müssen und wollen aus Arbeitnehmersicht eine Regelung in einem anderen EU-Mitgliedsstaat nicht bewerten. Aber es ist ersichtlich, dass das hier nicht als europäische Lösung konzipiert ist.

Warum lässt sich die dänische Lösung nicht in die deutsche Mitbestimmung einbauen?

In Dänemark sind die Unternehmensleitungen gesetzlich für die Durchführung der Wahlen von Arbeitnehmervertretern in den Verwaltungsrat verantwortlich – übrigens in Unternehmen ab 35 Beschäftigten. Im Unterschied dazu organisieren die Beschäftigten in Deutschland die Wahlen ihrer Vertreter in den mitbestimmten Aufsichtsrat selbst und unabhängig von der Unternehmensleitung.

Warum ist es so wichtig, wer die Wahlen organisiert?

Der Mitbestimmung in Deutschland liegt die normative Vorstellung zu Grunde, dass der Vorstand eines Unternehmens vom Aufsichtsrat auch mit gesellschaftspolitischer Perspektive kontrolliert wird. Das hat viel mit den Demokratie- und Transparenzwerten in der Sozialen Marktwirtschaft zu tun. Die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat großer Unternehmen ist dafür bewusst eigenständig aufgestellt. Gerade dadurch wird die Legitimität der Arbeitnehmervertreter sichergestellt. Dieser gesetzlich verankerte Grundsatz schlägt sich in den Wahlordnungen nieder. Und die kann der deutsche Gesetzgeber nicht einfach auf das Ausland ausdehnen – wie auch umgekehrt dänische Regelungen nicht einfach ins deutsche Recht eingepflanzt werden können.

Der Initiator des Verfahrens hat wiederholt erklärt, dass es ihm nicht um eine Abschaffung der Mitbestimmung gehe, sondern um ihre Europäisierung. Ist das überzeugend?

In seinem Schriftsatz heißt es eindeutig, dass es ihm um die Entfernung der Arbeitnehmervertreter aus dem Aufsichtsrat geht. Dieser Widerspruch fiel in der Anhörung auf, der Prozessvertreter von Luxemburg hat das explizit angesprochen. Es geht dem Kläger hier darum, über den Umweg Europa die Abschaffung des nationalen Rechts auf Mitbestimmung zu erreichen.

Norbert Kluge ist Leiter der Abteilung für Mitbestimmungsförderung in der Hans-Böckler-Stiftung

Weitere Informationen auf dem Mitbestimmungsportal

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