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HBS Böckler Impuls

Atypische Beschäftigung: Niedriglohnfalle Minijobs

Ausgabe 01/2013

In der westdeutschen Provinz haben bis zu 40 Prozent der erwerbstätigen Frauen einen Minijob. Was das für sie bedeutet, erklärt Arbeitsmarktexperte Alexander Herzog-Stein.

Im Jahr 2011 gab es bundesweit 7,4 Millionen geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Jeder fünfte Arbeitsvertrag lief also auf 400-Euro-Basis. Im ländlichen Raum Westdeutschlands ist der Anteil oft viel höher, besonders bei Frauen. Warum sind Minijobs dort so beliebt?

Herzog-Stein: Beliebt ist da wohl der falsche Ausdruck. Politisch wurden die falschen Rahmenbedingungen geschaffen. Auch fehlen oft schlicht Alternativen. In Westdeutschland sollte die geringfügige Beschäftigung ab den 1970ern Frauen etwas an den Arbeitsmarkt heranführen. In den 1990er-Jahren wollten dann immer mehr Frauen eine Erwerbsarbeit aufnehmen. Traditionelle Rollenbilder gerade auf dem Land, fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten, die steuerliche Begünstigung der geringfügigen Beschäftigung und fehlende andere Teilzeitangebote ließen die Zahl der Minijobberinnen nun stark anschwellen. Im Osten ist die Lage anders, denn in der DDR war die Erwerbsbeteiligung von Frauen wesentlich höher. Die meisten übten eine Vollzeittätigkeit aus. Diese starke Erwerbsorientierung haben ostdeutsche Frauen nach der deutschen Vereinigung beibehalten.

Seit Anfang des Jahres ist ein Verdienst von bis zu 450 Euro steuer- und für die Beschäftigten abgabenfrei. Eine gute Entwicklung?

Herzog-Stein: Nein, überhaupt nicht. Wer in einem Minijob arbeitet, erwirbt kaum Ansprüche auf soziale Sicherung. Und für zwei Drittel der Minijobber ist dies das einzige bezahlte Arbeitsverhältnis. Sie haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Minijobbende Ehefrauen sind zumeist über ihren Mann krankenversichert. Auch ihre Rentenansprüche sind sehr gering. Was, wenn die Ehe scheitert?

Viele Minijobber schätzen doch gerade, dass von ihrem Verdienst nichts abgezogen wird – brutto ist gleich netto.

Herzog-Stein: Hört sich zunächst auch prima an. Untersuchungen liefern jedoch Indizien dafür, dass Minijobber in der Praxis niedriger bezahlt werden als andere Beschäftigte – obwohl das natürlich verboten ist. Das geht dann so: Wer für eine bestimmte Tätigkeit in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung 800 Euro brutto erhielte, hätte bei Lohnsteuerklasse V nach allen Abzügen unter Umständen noch 400 Euro. Nicht selten erhalten Minijobber in der betrieblichen Praxis dann eben für dieselbe Tätigkeit nur 400 Euro. Der Arbeitgeber führt pauschal 30 Prozent in die Sozialkassen ab – und spart so Personalkosten. Insgesamt bekommen mehr als 80 Prozent der geringfügig Beschäftigten nur einen Niedriglohn. Die niedrigeren Personalkosten machen es zudem für Arbeitgeber attraktiv, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung durch Minijobs zu ersetzen.

Gäbe es denn Alternativen zum Minijob?

Herzog-Stein: Wir brauchen eine generelle Debatte darüber, was für einen Arbeitsmarkt wir wollen. Eine vom Staat subventionierte geringfügige Beschäftigung, die noch dazu die klassische Rollenverteilung in der Familie zementiert, ist nicht mehr zeitgemäß. Volkswirtschaftlich sinnvoller wäre ein einheitliches sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis mit einer kurzen Vollzeit, die es für beide Geschlechter ermöglicht, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren.

  • Ländlich, westlich, weiblich: In der westdeutschen Provinz haben bis zu 40 Prozent der erwerbstätigen Frauen einen Minijob. Zur Grafik

Alexander Herzog-Stein ist Arbeitsmarktexperte der Hans-Böckler-Stiftung. Die Minijob-Daten für jeden Stadt- und Landkreis enthält die WSI-Datenbank „Atypische Beschäftigung“.

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